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Tschüssikowski, »Götjaner« und Konfektionsgeschnatter!
Gibt es ein Leben nach dem Ballaballa? Jörg Burkhards Opus »ex & hopp – kolumnen für die flaschenpost«
Von Theodor Wiesengrund Adorno ist die folgende Aussage überliefert: »Ach, was ich jetzt möchte, ist: die Quintessenz meines Denkens auf einen Zettel schreiben, in eine Flasche stecken und in den Ozean werfen. Dann wird eines fernen Tages auf einer fernen Insel irgendjemand die Flasche finden und öffnen und lesen.« Diesen quintessenziellen Zettel hat Adorno wohl nie geschrieben, und die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher in den Debilitätsclustern deutscher Föjetong-Salons zwischen »audineckarsulm und mordsee« eine größere Beachtung erfahren hätte, ist ebenso unwahrscheinlich wie die, dass die Flaschenpost von Jörg Burkhard im krittlichen Milieu der »literarischen sondermülltransporter« überhaupt wahrgenommen wird. Die Zeiten, da ein Arnfrid Astel Jörg Burkhard und seine Gedichte im SR2-Rundfunk vorstellte, sind schon lang vorbei.
»nach königsblauer tinte riecht zeitgenössischer roman … work in regress for altpapiercontainer … im publikumskörper lauern proseccosuffragetten auf eventuelle fräulein-feindliche nebensätzchen wie katzen vor mauseloch«, und die dauerfaselnden Mainstream-Paladine geben »auf tiefergelegtestem poser-niveau mit bodenberührung bei schlaglöchern« bereits bei Burkhards Namen auf, denn seine Figuren heißen nicht Mia oder Noah wie im Wohlfühlsprech der gehypten Flachware, sondern etwa »chejk mumma don dogan vlademir adolfrancobenitomillipolpot schejkschejkschejkschejkjerson«, »mcmac bramabassa ritzer pfriemel«, oder es ist die Rede von den »piskacktschinskibrüdern«.
Das sind Namensungetüme wie im Joyce’schen »Ulysses«. In »ex & hopp« werden die »kitschapostel, krämer und sakristane« gewarnt: »die stunde der ohrfeigen hat geschlagen.« Die Kolumnen, in sechs Kapitel unterteilt, sind Preziosen der Sprach- und Weltkenntniserweiterung, die Sprache hochgradig durchkomponiert, verdichtet und zweispaltig in Kleinschrift gesetzt. Burkhard seziert die deutsche Sprache, einschließlich ihrer Dialektformen, wie etwa das Mannem-Heidelberger Provinzidiom, sowie den talk-täglich sich über uns ergießenden Wortmüll.
In Fußballerslang artikulieren sich »seltsam frisierte männer philosophische flachwichsereien auf tv-schirm in millibar bei der roten lizzy«. Es geht ums Ganze, »frischwärts ins letzte k. o.«, wobei der Nazidreck als Subebene – »tausend displays flackten im reichsfrakturmodus aus allen gauen … virtuelle blowjobs via 88er-domains mit blondi evi wolfi auf ikeagarnitur unter ölpest ›röhrender hirsch‹« – stets ebenso virulent ist wie die »AU-DO«-Mobilmachung und der »SUVragettenmob«, während »papa im volks-ohne-raum-wagen rrratsch-fatsch platt von T34«.
Burkhard führt vor, was sich mit der deutschen Sprache machen lässt bei strikter Verweigerung marktkonformer Bestenlistenschönschreibprosa und ihren längst überholten Literaturformen. Tschüssikowski, »götjaner« und Konfektionsgeschnatter! Mal taucht der Name des italienischen Avantgardisten Nanni Balestrini auf, dann der des New Yorker Performers und Wortwerkers John Giorno – Hinweise auf eine andere Literatur.
Burkhard lässt seine Flaschenpost so wort- und bilderreich über die Weltmeere geistern, dass einem schwindlig wird. Dabei kommt es zur Prügelei auf »MS lore lay um letzte buddeln rotspon von sponsor rhine metal«, die »gerontophilenfregatte troublemaker beinah abgesoffen in datenflut renditetsunamis die rachen offen wie das allesverschluckende meer«. Burkhards Buddl landet im »rohölschlick von nord stream II«, das Geld auf »HSBC-schwyzerkonten«. Es geht um den »irran und ammerrikanische zerstörer in wildostmanier«, um »einundfünfzig bunnies, die für den pressipresident for evereverever mit püscheln wackeln.« Die Kolumnen sind Trigger der Erinnerung und entziehen sich einer Instantlektüre. Über den ZK-Spuk der maoistischen Sekten, Nachtrab der Studentenbewegung und deren Kader, heute oftmals Lautsprecher im Lager der grünen Bellizisten, heißt es kurz und aufschlussreich: »pflasterstrandläufer süleyman fand in lambruscobuddl durch flaschpostzensur geschleustes steno-memo von zwangsarbeitenden genossinnen und genossen aus der fischmehlfabrik KSC koenen schmierer cruxhaven gmbh & co kg.«
Der in Dresden geborene Burkhard wird im Mai 80 Jahre alt; er streut in »ex & hopp« hier und da auch Autobiografisches ein: »seit märz’45 binnisch rebbubliggflischdling!« Der Treck aus Dresden mit Mutter, Singer-Nähmaschine und Oma endete zunächst in »Hofbräuheim« beziehungsweise in der Mangfall, später in Heidelberg: »mit besatzerkindern spielend middlewest gelernt wie vorher oberbairisch beim spielen mit kindern dortiger provenienz und im turnunterricht marschieren gelernt nach trillerpfeife.« Unter der Überschrift »MAY RÖCKERT WIE VERJANDELT« schildert er seine Begegnung mit dem Wiener Poetenpaar Mayröcker und Jandl an der »fuckultät der universität« von Venedig. Der »German Trash« bei Venezia Poesia endete mit »zechprellerei der berliner in bar du champ und knapp vermiedener schlägerei mit kellnern gästen passanten«.
»unnd morgen gibbs wieder volllstoff miht dehn allerneusten stAUrekordennn aus dem ah-dee-a-zeh-studijoh … vorsiecht geisterfaahrerr auf der ah noiijn!!!« Und vernimmt jemand »doitschlannd reiSSts ihm rechte extremität aus taschenbilliard …«
Jörg Burkhard: ex & hopp – kolumnen für die flaschenpost. Verlag Das Wunderhorn, 116 S.,
br., 20 €.
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