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Tag der Befreiung: Keine Fahne für niemanden
Daniel Säwert über den Berliner Flaggenstreit zum 8. und 9. Mai
Es kommt nicht allzu oft vor, dass man der Berliner Polizei ein gutes Gespür für eine Situation nachsagen kann. Mit dem Verbot von russischen und ukrainischen Flaggen am 8. und 9. Mai rund um sowjetische Gedenkstätten in der Hauptstadt hat sie jedoch alles richtig gemacht.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Tag des Sieges in seinem Land in einen patriotisch-militaristischen Festtag verwandelt. Angesichts seiner Invasion in der Ukraine ist es nachvollziehbar und richtig, Auswüchse des russischen Nationalismus in Berlin zu unterdrücken. Der 9. Mai ist für viele Russen aber auch ein persönlicher Gedenktag an die Verwandten, die einst gegen Hitlerdeutschland kämpfen mussten. Genau dieses Gedenken wollte die Polizei schützen. Und sie wollte sicherstellen, dass der Krieg in der Ukraine nicht auf Berliner Straßen ausgetragen wird.
Dass das Berliner Verwaltungsgericht die Entscheidung teilweise gekippt hat und ukrainische Flaggen sowie ukrainische Marsch- und Militärlieder an den Mahnmalen erlaubt, zeugt von nicht vorhandenem Fingerspitzengefühl der Richter und der absoluten Unkenntnis des Diskurses um den Tag des Sieges in der Ukraine. Mit der 2015 begonnenen »Dekommunisierung« will Kiew mit allem Sowjetischen nichts mehr zu tun haben. Und seitdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist, hat der 9. Mai massiv an Bedeutung verloren. Man feiert stattdessen den 8. Mai. So wollen es die Ukrainer auch in Berlin machen. Am 9. Mai, den Präsident Wolodymyr Selenskyj nun zum Europatag deklarierte, mit Fahnen und Marschmusik beim Gedenken der anderen an Orten der verhassten Vergangenheit aufzutreten, ist pure Provokation mit richterlichem Segen.
Und es ist ein archaisch-nationalistischer Akt. Denn das Gedenken an die Opfer von Krieg und Barbarei braucht keine Staatsflaggen und erst recht keine Militärmusik.
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