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'Ndrangheta: Schlag gegen die kalabrische Mafia
Polizei und Staatsanwaltschaft werten Operation »Eureka« als nachhaltigen Erfolg
In Italien hat die internationale Operation »Eureka« gegen einige Clans der ‚Ndrangheta nicht so hohe Wellen geschlagen wie in Deutschland. Das mag auch daran liegen, dass man im Mittelmeerland an großangelegte Razzien gegen die Mafia gewohnt ist und erst einmal davon ausgeht, dass die tatsächlichen Ergebnisse am Ende nie so durchschlagend sein werden, wie man erwartet hatte. Die Mafia wird in Italien auch »Hydra« genannt, wie das Fabelwesen, dem die abgeschlagenen Köpfe dann wieder nachwachsen. Wenn man aber den Polizeikräften und der Staatsanwaltschaft glauben will, ist die ‚Ndrangheta diesmal sicherlich nicht besiegt, wohl aber ernsthaft getroffen worden.
»Es handelt sich zweifellos um die größte Operation, die in Europa gegen die Mafia aus Kalabrien durchgeführt wurde«, sagt der belgische Staatsanwalt Antoon Schotsaert, der zusammen mit seinen Kollegen aus mehreren Ländern die Untersuchung koordiniert hat.
Bis vor einigen Jahrzehnten wurde die ‚Ndrangheta in Italien vor allem im Ausland nur wenig beachtet. Sie galt als die »arme und etwas zurückgebliebene Schwester« von Cosa Nostra, die sizilianische Mafia, die durch Morde und Grausamkeiten und auch durch viele Filme berühmt geworden war. Dass es da auch eine starke kriminelle Organisation in Kalabrien, der Stiefelspitze Italiens, gab, war kaum bekannt. In Deutschland redete man praktisch zum ersten Mal über die ‚Ndrangheta, als es am 15. August 2007 vor einer Pizzeria in Duisburg eine Schießerei kam, bei der sechs Männer getötet wurden: Alles Italiener, alle aus dem kleinen Dorf San Luca in Kalabrien. Für die italienischen Carabinieri (die Polizeieinheit der Armee), die schon bald mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten, waren die Opfer allerdings keine Unbekannten. Sie gehörten zu einem berüchtigten Familienclan, der sich seit Anfang der 1990er Jahre eine Fehde mit einer anderen Familie lieferte, die viele Menschenleben kostete. Die Pizzeria in Duisburg, das wurde bekannt, war nur eine der vielen Unternehmen in Deutschland, in denen die ‚Ndrangheta die enormen Gewinne aus dem Kokainhandel »weiß« wusch. Scheibchenweise wurde klar, dass diese kriminelle Organisation seit Längerem praktisch in ganz Deutschland, vor allem aber in Erfurt und Umgebung, in NRW und im Saarland präsent ist und Geschäfte macht.
Tatsächlich kontrollieren die »‹Ndranghetisti« einen Großteil des Drogenhandels (vor allem Kokain) in der Welt. Die sizilianische Mafia hat sich im Laufe der Jahre immer mehr aus diesem Geschäft zurückgezogen. In einem Interview sagte Oberst Massimiliano D‹Angelantonio von den Carabinieri: »Auch die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, dass wir diesmal den wichtigsten Zweig des Drogenhandels der ‚Ndrangheta entdeckt haben und dass es für diese Organisation einen Einnahmeverlust von mehreren Milliarden Euro bedeutet. Für die Bosse in Kalabrien wird es jetzt schwer, neue Personen auszumachen, die direkt mit den Spitzen der kolumbianischen Kartelle verhandeln können. Wir sprechen hier von Abertausenden von Kilos, die nur aufgrund von Vertrauensverhältnissen bewegt werden, die im Laufe der Jahre aufgebaut wurden und die man jetzt nur mit großer Mühe wieder herstellen kann. Genau das zeichnet die ‚Ndrangheta im Kokainhandel aus: Ihre engen Beziehungen zu den paramilitärischen Einheiten in Kolumbien gehen zumindest auf die ersten Jahre dieses Jahrtausends zurück.«
Die Drogen landen vor allem in den Häfen Antwerpen, Hamburg und Gioia Tauro in Italien und werden dann in ganz Europa verkauft. Ebenso breit verzweigt sind auch die Wege, auf denen man das »schmutzige« Drogengeld in den legalen Wirtschaftskreislauf einspeist. Die bekanntesten führen nicht nur nach Italien, sondern auch in den Osten Deutschlands, an die Mittelmeerküste in Frankreich oder nach Portugal. Man kauft Restaurants, Hotels oder auch Auto-Waschanlagen, bezahlt sie mit Bargeld (oder auf nicht mehr genau nachverfolgbaren Wegen) und macht dann Gewinne, die nun »vollkommen legal« sind. Das ist auch für die legalen Konkurrenzunternehmen ein enormes Problem, da die »Mafia-Unternehmen« über unendlich viel Bargeld verfügen, keine Bankkredite aufnehmen müssen und nahezu jeden Preis zahlen können. Fällt das auf und beginnt jemand nachzufragen, werden sie schnell wieder (gewinnbringend) verkauft. Mit diesem Geld werden wieder Drogen verkauft und der – hier sehr vereinfacht dargestellte – Kreislauf beginnt von Neuem …
Normalerweise versuchen die Untersuchungsbehörden, dem »Weg des Geldes« zu folgen, um Erfolge gegen die ‚Ndrangheta zu erreichen, da die Clans praktisch »wasserdicht« sind, auch weil sie fast immer aus Familienmitgliedern bestehen und es kaum »Aussteiger« gibt – im Gegenteil zu den Clans der sizilianischen Mafia, wo Familienbande in der Organisation kaum vorkommen. Die italienischen Untersuchungsbehörden fordern seit Jahrzehnten einheitliche Gesetze in Europa. Während man zum Beispiel in Italien nachweisen muss, dass ein Unternehmen mit »legalem« Geld aufgebaut wurde, gibt es diese »umgekehrte« Beweislast in Deutschland nicht: Hier muss die Staatsanwaltschaft nachweisen, dass das Geld »illegal« erwirtschaftet wurde.
Auch der Staatsanwalt von Reggio Calabria, Giovanni Bombardieri, ist überzeugt, dass diese Operation »besonders wichtig ist, da wir eng mit vier deutschen Staatsanwaltschaften zusammengearbeitet haben, wo die ‚Ndrangheta auch aktuell sehr aktiv ist«. »In den vergangenen Jahren aber«, so Bombardieri weiter, »wurden viele der Investitionen von Deutschland nach Portugal verlagert. Wir konnten den Weg von 23 Millionen Euro nachverfolgen, die auch mit Hilfe von chinesischen Organisationen transferiert wurden, die sich vor allem mit den Geldtransporten beschäftigen. In einem Fall wurden etwa 3,5 Millionen von Italien nach Nordeuropa und von dort nach Lateinamerika gebracht«.
»Wir brauchen extrem komplexe und sensible Instrumente der Finanzanalyse«, meint Giuseppe Lombardo von der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria. »Sonst merken wir überhaupt nicht, dass diese illegalen Milliarden Euro die aktuellen Marktregeln völlig verzerren.«
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