Fairer Handel trotzt Krise

Fairtrade-Organisation meldet Umsatzrekorde in Deutschland

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Arbeiter in der Kaffeerösterei Solino/Tarara verpacken Kaffee in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens.
Arbeiter in der Kaffeerösterei Solino/Tarara verpacken Kaffee in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens.

Der faire Handel ist in der Provinz angekommen. Etwa in Theodor Storms »grauer Stadt am Meer«. Im Januar 2018 fand im Husumer Rathaus auf Einladung der Stadt eine Auftaktveranstaltung zum Thema »Fairtrade-Town Husum« statt. Das Interesse der Husumer sei groß gewesen, berichtete die Lokalzeitung. Eine Steuerungsgruppe »Fair Trade Town Husum« wurde gebildet. Mittlerweile finden sich im internetbasierten »Fair Finder« drei Dutzend Einzelhändler, Gastronomen und Institutionen, die fair gehandelte Produkte in der 20 000 Einwohner kleinen Hafenstadt anbieten. Auf dem Marktplatz wird im Sommer zum »fairen Dinner« geladen, es gibt ein regionales Kochbuch und zusammen mit Niebüll, St. Peter-Ording, Hallig Hooge und dem Kirchenkreis Nordfriesland bildet Husum die »faire Fünf«, die eine Schokoladensonderedition des Importeurs Gepa anbietet.

Die internationale Fairtrade-Organisation will die Arbeitsbedingungen in Asien, Afrika und Lateinamerika verbessern – durch Standards, Beratung, Projektpartnerschaften und sogenannte Advocacy-Arbeit, also Lobbying. Den Produzentenorganisationen für Kakao, Rosen und Baumwolle im globalen Süden bietet Fairtrade einen Mindestabnahmepreis, der üblicherweise über dem Weltmarktpreis liegt. Steigt dieser über den Mindestabnahmepreis, wie zeitweilig beim Kaffee, zahlt Fairtrade den höheren Preis. Obendrein gibt es im Regelfall eine Prämie für die Bauern.

Seit neuestem wird auch Gold angeboten. Dessen Absatz im globalen Norden stieg im vergangenen Jahr um über 40 Prozent – auf bescheidene 16 Kilogramm. Weit schwergewichtiger ist das Geschäft mit Bananen, die von manchem Discounter als Lockangebot genutzt werden. Abnehmer sind neben Weltläden die »Big Four«, wie sie das Bundeskartellamt nennt: Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland stehen im Lebensmitteleinzelhandel für etwa 85 Prozent Marktanteil.

Vorständin Claudia Brück, Nachfolgerin des Fairtrade-Pioniers Dieter Overath, blickte auf der gestrigen Online-Pressekonferenz in Köln auf ein turbulentes Jahr mit »einem fantastischen Start« zurück. Trotz multipler Krisen stieg der Umsatz mit Fairtrade-Produkten in Deutschland 2022 um elf Prozent auf 2,36 Milliarden Euro. Inflationsbereinigt legte der Umsatz um 5,5 Prozent zu.

Die Absätze von Fairtrade-Bananen stiegen auf 117 000 Tonnen (plus acht Prozent), entgegen einem insgesamt rückläufigen Bananenmarkt. Ebenfalls positiv entwickelte sich fairer Kakao – um vier Prozent auf 81 000 Tonnen. Einen leichten Rückgang um knapp zwei Prozent auf 24 000 Tonnen verzeichnen fair gehandelter Kaffee sowie Textilien mit drei Prozent auf 15 Millionen Stück. »In Blumen sehen Verbraucher in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Luxus« und verzichteten, stellte Brück fest. Die Absätze gingen um 23 Prozent auf 135 Millionen Euro zurück. Für die Zukunft zeigte sich Brück optimistisch. Schließlich gibt es angesichts eines Fairtrade-Umsatzes von 28 Euro pro Person und Jahr noch viel Luft nach oben.

Eine andere Herausforderung für Fairtrade-Partner ist die Klimakrise. »Anpassungsmaßnahmen sind mit massiven Kosten verbunden«, betonte der Aufsichtsratsvorsitzende von Fairtrade Deutschland, Matthias Lehnert. So müssten Schattenbäume in Plantagen gepflanzt werden, um Kaffee- und Kakaopflanzen vor Sonne und Dürre zu schützen. Schattenbäume wie Bananen könnten zudem die Bedingungen für die notwendige »Diversifizierung« der Einkommen verbessern.

Der Filmemacher Dave Leins warf kürzlich in einer viel beachteten TV-Reportage (»Die Schweiz und die Schokolade«) der Fairtrade-Organisation vor, dass in den beiden wichtigsten Kakaoanbauländern Ghana und Elfenbeinküste lediglich Kooperativen vom fairen Handel profitierten, die Masse der unorganisierten Kleinbauern aber leer ausgehe. Deren Felder seien ohnehin zu klein, um davon als Familie leben zu können. Besser ergehe es denjenigen, die sich ein zweites wirtschaftliches Standbein, etwa die Schweinemast oder eben Schattenbäume, erarbeiteten.

Die Kluft zwischen Einkommen und notwendigen Existenzmitteln sieht man auch bei Fairtrade. Im Schnitt könne Fairtrade lediglich 30 Prozent des Absatzes seiner Partnerorganisationen abnehmen. In einigen Pilotprojekten, die von Handelsunternehmen gesponsert werden, zahlt Fairtrade existenzsichernde Preise.

Mit ihren Problemen dürften die Kleinbäuerinnen und -bauern nicht alleingelassen werden, forderte Lehnert. Das EU-Lieferkettengesetz, dessen Verabschiedung ab Juni ansteht, müsse alle Akteure in die Pflicht nehmen, kostendeckende Preise zu zahlen. Auch der Weltladen-Dachverband und das Forum Fairer Handel rufen die Abgeordneten des EU-Parlaments auf, Forderungen nach einem wirksamen EU-Lieferkettengesetz zu erfüllen. Unter dem Motto »Mächtig fair« werden anlässlich des »Weltladentags« am 13. Mai bundesweit hunderte Läden und Gruppen ein Zeichen für sozial und ökologisch gerechtere Wertschöpfungsketten setzen. Dieses Zeichen soll auch in Husum zu sehen sein.

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