Ein Computer ersetzt keinen Lehrer

Steffen Freiberg ist Brandenburgs neuer Bildungsminister und hat keine Schonfrist

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.

Die feierliche Stimmung zum 75. Jahrestag der Gründung des Staates Israel war am Mittwoch rasch verflogen, als nach der Vereidigung des neuen Bildungsministers Steffen Freiberg (SPD) der Landtag über das Bildungswesen debattierte. Eingangs beschwerte sich der Abgeordnete Thomas Domres (Linke) über eine »beispiellose Missachtung der Landesverfassung«. Die AfD-Abgeordneten hatten sich beim Eid des neuen Ministers (»So wahr mir Gott helfe«) nicht von ihren Plätzen erhoben. Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) rügte dieses Verhalten der AfD.

Auf Antrag der CDU debattierte der Landtag in seiner aktuellen Stunde am Mittwoch das Thema »Aufbruch zu einer leistungsfähigen digitalen Bildung in Brandenburg«. Mehrere Redner ließen durchblicken, man dürfe sich nicht in bildungspolitischen Wolken verlieren, wenn Kinder zunehmend nicht mehr über Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen verfügten. »Unser Bildungssystem liegt am Boden«, sagte die Abgeordnete Ilona Nicklisch (Freie Wähler). Das Niveau sinke weiter, die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss nehme zu.

Die Abgeordnete Kathrin Dannenberg (Linke) verwies auf die großen Potenziale moderner Informationstechnik. Das im Schüleralltag allgegenwärtige Smartphone »muss Anlass und Gegenstand von Bildung sein«. Über ein Pflichtfach Informatik sei zu reden, vor allem »ab welchem Alter und in welchem Umfang«. Die Digitalisierung könne Lehrer nicht ersetzen, aber sie »kann aus einem guten Unterricht einen besseren machen«, ist Dannenberg überzeugt. Doch warnte die Abgeordnete davor, im Computer die Lösung aller Probleme zu sehen. Dadurch würden auch neue Schwierigkeiten geschaffen. Denn bei der Verbreitung rechtsextremer Ideologie spiele das Internet eine große Rolle.

Angesichts der eklatanten Mängel im Bildungswesen dürfe es genau nicht die von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) betonte »Kontinuität« in der Bildungspolitik geben, unterstrich Dannenberg. »Bevor wir von der Zukunft träumen, sollten wir an der Realität arbeiten.« Nicht gerade optimistisch blickte Dannenberg in die Zukunft: »Die Not im neuen Schuljahr wird groß sein.« Mindestens 400 bis 500 Lehrerstellen werde man nicht besetzen können. Das erhöhe die Belastung für die verbliebenen Lehrkräfte. Die Bildungsqualität müsse dabei sinken, die Krankenstände würden sich erhöhen. Das werde ein »Kreislauf«.

Als »besorgniserregend« bezeichnete CDU-Fraktionschef Jan Redmann, dass brandenburgische Viertklässler »häufig nicht die Mindeststandards erreichen«. Er empfahl, die Bildungspolitik grundsätzlich zu überdenken. Mit Geld allein sei hier wenig zu gewinnen. Redmann erwähnte, dass sächsische Schüler bei Tests »ungleich besser« abschneiden als brandenburgische, obwohl die Pro-Kopf-Ausgaben je Schüler geringer seien und der Ausgangspunkt 1990 gleich gewesen sei. Die CDU hatte beim Meinungsforschungsinstitut Insa eine Umfrage bestellt. Am Dienstag legte sie Ergebnisse vor. Demnach halten 51,4 Prozent der 1000 befragten Brandenburger die Schulpolitik des Landes für verfehlt. Nur 25,4 Prozent sind der Auffassung, Brandenburg sei auf dem richtigen Weg. 23 Prozent haben dazu keine Meinung.

Seit 1994 ist das Bildungsressort in sozialdemokratischer Hand. An seinen Koalitionspartner SPD gewandt äußerte CDU-Politiker Redmann, in den vergangenen Jahren sei »vieles nicht optimal gelaufen«. Das gelte auch für die Digitalisierung: Es fehle an den notwendigen Breitbandanschlüssen, an den notwendigen Geräten und an der Medienkompetenz der Lehrer.

Pikiert äußerte Katja Poschmann (SPD), die Wortwahl sei »vorsichtig formuliert« unglücklich. Sie müsse widersprechen. Poschmann stellte sich hinter das Bekenntnis des Ministerpräsidenten zu Kontinuität. »Wir fahren weiter nach Plan und müssen dabei die Geschwindigkeit erhöhen.« Es sei ein Glücksfall, dass der neue Minister Experte für Digitalisierung ist. Künftig würden zur Grundausstattung der Schulen nicht nur Tisch und Stuhl für jedes Kind gehören, sondern auch das Tablet.

Auf den neuen Minister warteten »große Aufgaben«, bestätigte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke. Sie warnte davor, die Zahl der Pflichtstunden zu erhöhen, die von einem Lehrer unterrichtet werden müssten. »Das führt nur zu mehr Burnout und zu höheren Krankenständen.«

»Unser Bildungssystem benötigt einen Neustart«, findet indessen Inona Nicklisch von den Freien Wählern. Sie berief sich auf einen Gedanken, den der israelische Botschafter Ron Prosor am Morgen geäußert hatte: In Israel werde ein Scheitern nicht so stark als Makel empfunden wie in Deutschland. »Man wird ermutigt, wieder aufzustehen.« Kommunale Verwaltungsbüros sind laut Nicklisch vielfach freundlicher eingerichtet als Schulen. Zu den zusätzlichen Belastungen gehöre die Einschulung tausender Flüchtlingskinder. »Wie viele es genau sind, ist uns leider nicht bekannt, es gibt keine Informationen dazu.« Allerdings versendet das Bildungsministerium monatlich eine Information zu den ukrainischen Schülerinnen und Schülern, aufgeschlüsselt nach öffentlichen und privaten Schulen sowie nach Schultypen wie Grundschule und Gymnasium. Insgesamt 6049 Ukrainer besuchen demnach in Brandenburg die Schule, 3273 von ihnen lernen in Förderkursen Deutsch.

Der AfD-Abgeordnete Dennis Hohloch wollte dem neuen Bildungsminister Freiberg nicht die üblichen 100 Tage Schonfrist zubilligen. Denn als Staatssekretär habe Freiberg seinen Anteil daran, dass das brandenburgische Bildungswesen auf ein »Dritte-Welt-Niveau« geraten sei. Es sei keine Lösung, »jeden Dahergelaufenen zu einem Lehrer zu machen, wenn er gerade mal einen Stift halten kann«.

Freiberg folgt nach knapp anderthalb Jahren als Staatssekretär auf die überraschend zurückgetretene Bildungsministerin Britta Ernst (SPD). Die deprimierenden Umfrageergebnisse sind für ihn »nicht überraschend«. Rückwärtsgewandte Debatten, wie es dazu habe kommen können, hälfen aber nicht, kommentierte er. »Wir können das besser.« Das werde allerdings mitunter schwierig und nicht selten teuer sein. Computerkenntnisse und Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen müssen aus Freibergs Sicht eine Einheit bilden.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.