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Sozial-ökologische Transformation: Der Staat als Klimaaktivist
In den letzten Jahren haben sich die Spielräume für die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft vergrößert
Ein Sprichwort in klimapolitischen Kreisen lautet, dass die Transformation unserer Gesellschaften sicher kommt, und zwar durch »design or disaster« (geplant oder als Katastrophe). Dass Letzteres keine politische Alternative ist, ist jeder und jedem klar. Was es braucht, ist eine geplante sozial-ökologische Transformation, die den Kurs nicht allein dem Markt und den Unternehmen überlässt. Denn offenkundig reichen die bisherigen gesetzlichen Weichenstellungen wie das Verbot von Verbrennermotoren oder der Kohleausstieg nicht aus, um das Ziel Klimaneutralität in der nötigen Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei hätten Staaten eine Vielzahl potenter Mittel zur Hand, einen »gerechten Übergang« (Just Transition) zu gestalten, etwa durch finanzielle Zuschüsse, die Vergabe von Krediten, den Erlass von Verordnungen oder »öffentliche Vergaben«, sofern diese an soziale und klimagerechte Kriterien geknüpft werden.
In der EU wurden in den vergangenen Jahren einige progressive Regeln erlassen, die für die sozial-ökologische Transformation von grundlegender Bedeutung sind. Seit 2007 und 2008, als der Neoliberalismus quicklebendig war und Politik und Rechtsprechung der EU dominierte, hat sich – oftmals versteckt – einiges verbessert.
Ende April dieses Jahres wurde ein milliardenschwerer Sozialklimafonds verabschiedet, der von Energie- und Mobilitätsarmut betroffenen Haushalten helfen soll. Die ebenfalls verabschiedete Richtlinie zur Lohntransparenz zielt auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit und soll vor allem Lohndiskriminierung von Frauen unterbinden. Während deutsche Gesetze Firmen erst ab 200 Beschäftigten verpflichten, Löhne offenzulegen, geht die EU-Regel darüber hinaus und wird für Firmen ab 100 Beschäftigten gelten. Zudem verhandelt das Europäische Parlament gerade eine Reihe verbindlicher Richtlinien, etwa zur Plattform-Arbeit, zur gerechteren Bezahlung der circa vier Millionen Praktikanten in der EU oder auch zu Asbest- und Bleiwerten. Letzteres wird das Leben Zehntausender Arbeitnehmer retten.
Die derzeit wohl wichtigste legislative Entschließung dürfte die zur Änderung der europäischen Betriebsräte-Richtlinie werden, zu der die Vertreter von Arbeit und Kapital von der Kommission eingeladen sind, Stellung zu beziehen. Die wichtigste Nachricht hier ist: Die Kommission ist willens, neue Regelungen zu treffen, um bislang ineffektive Strafen wirksam werden zu lassen, Klagemöglichkeiten der Gewerkschaften zu verbessern und den europäischen Betriebsräten eine einheitliche Rechtsgrundlage zu verpassen, was ihre Handlungsfähigkeit in Zukunft stärken wird.
Eine der bedeutendsten sozial- und arbeitspolitischen Regelungen, die bisher in der EU erlassen wurden, ist die Richtlinie zum Mindestlohn, die im Oktober in Kraft trat und ab Ende 2024 umgesetzt sein muss. Danach müssen alle Länder künftig eine Untergrenze für nationale Löhne bestimmen. Zudem müssen Länder mit einer zu geringen Tarifabdeckung Aktionspläne zur Förderung von Tarifverhandlungen erstellen und werden daraufhin überprüft. Nationale Arbeitsmärkte sind also plötzlich im positiven Sinne durch die EU unter Überwachung. Der neoliberale Wettbewerb durch Sozial- und Lohndumping wird sich damit in der EU ein Stück weit einschränken lassen.
Auch auf dem umkämpften Feld der öffentlichen Ausschreibungen gibt es einiges zu gewinnen. Öffentliche Vergaben machen 14 Prozent des Bruttosozialprodukts der EU aus – ein riesiger Kuchen potenziellen Profits für Unternehmen. Aus Sicht der Gewerkschaften sind öffentliche Vergaben jedoch vor allem ein wichtiges Instrument, um eine sozialverträgliche Transformation der Wirtschaft voranzutreiben. In der EU werden pro Jahr über zwei Billionen (!) Euro über öffentliche Auftragsvergabe umgesetzt.
Das Beispiel Österreich zeigt allerdings, wie vermachtet dieser Bereich oftmals zugunsten korrupter Großunternehmen ist. 80 Prozent der österreichischen Vergaben entfallen auf nur zehn Firmen. Diese wenigen Firmen können sich zwölf Milliarden Euro pro Jahr teilen. Kapitalisten sind BWLer, keine VWLer, sie wollen Monopole, keinen Wettbewerb. Es ist deswegen kein Zufall, dass der zweitgrößte Nutznießer öffentlicher Aufträge in Österreich, das börsennotierte Bauunternehmen Strabag, wegen Kartellvergehen verurteilt wurde.
Die europäische Gewerkschaft des privaten Dienstleistungssektors Uni Europa führt seit Jahren eine Kampagne zur Stärkung der Tarifbindung mithilfe öffentlicher Vergaben. »Öffentliche Gelder müssen die Macht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stärken. Sie dürfen nicht zu einem Wettlauf nach unten führen«, erklärt Oliver Roethig, Regionalsekretär von Uni Europa und Vizepräsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Die Gewerkschaft will dabei aber nicht, dass die EU die Bedingungen für die Arbeitnehmer »von oben herab festlegt, sondern dass die Beschäftigten ein starkes gewerkschaftliches Mitspracherecht haben, um ihre eigenen Bedingungen festzulegen«.
Seit 2014 erlaubt das europäische Vergaberecht, dass Staaten bei Vergabeentscheidungen nicht mehr vor allem den Preis in den Mittelpunkt stellen, sondern auch »innovationsbezogene, umweltrelevante, soziale oder beschäftigungsbezogene Erwägungen« einbeziehen. Forschungen zeigen, dass eine umweltsensible öffentliche Auftragsvergabe bei kleinen Firmen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass diese dauerhaft umweltschonendere Produkte herstellen. In Slowenien zum Beispiel wurden durch diese Regeln Straßenfahrzeuge für den ÖPNV angeschafft, die wesentlich weniger CO2-Emissionen verursachen. Öffentliche Vergabe kann also relevanten Einfluss auf eine umweltgerechtere Wirtschaft haben.
2020 wurde auch die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern überarbeitet, um das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der EU zu stärken. Wenn öffentliche Vergabe also noch immer mit Lohndumping oder schädlichen Klimafolgen einhergeht, können die Verantwortlichen heute nicht mehr so einfach mit dem Finger nach Brüssel zeigen. Vielmehr haben sich die rechtlichen Spielräume in den letzten Jahren deutlich vergrößert, um die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft voranzutreiben. Nicht nur in einzelnen Nationalstaaten, sondern vernetzt in der EU.
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