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Tag der Pflege: Mehr als Arsch abwischen
Junge Pflegebeschäftigte demonstrieren gegen Profite im Gesundheitssystem
»Profite mit Gesundheit, da wird einem doch schlecht – Gesundheit für alle, das ist ein Menschenrecht!« Laut rufen die Demonstrierenden ihre Parolen, während sie am Bettenhaus der Charité vorbeigehen. Es sind mehrere Hundert Menschen zusammengekommen, viele von ihnen tragen Arbeitskleidung aus den Pflegeberufen. Die Sonne scheint, die Stimmung ist gut, von den Lautsprecherwagen schallt Popmusik. »Wir sind der ›Walk of Care‹, und wir setzen uns für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen ein«, so informiert die Moderation die Passant*innen über das Anliegen der Menge.
Jedes Jahr findet der »Walk of Care« (Marsch der Pflege) am 12. Mai, dem Internationalen Tag der Pflegenden, statt. Auffällig ist am vergangenen Freitag, dass hier besonders viele junge Pflegekräfte teilnehmen. So wird zum Beispiel die Moderation der Demonstration von drei Pflegefachpersonen in Ausbildung übernommen.
»Wir sind ein feministisches Bündnis«, erklärt eine von ihnen, Celina Hauptmann, zu Beginn der Veranstaltung. Es seien überproportional viele Flinta, also Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen, im Pflege-Sektor beschäftigt. Sie alle würden strukturell durch das Patriarchat diskriminiert. »Wir wollen heute diese Stimmen sichtbar machen«, sagt Hauptmann.
Gewerkschafts- oder Parteifahnen sucht man auf der Demonstration vergeblich. Stattdessen finden sich viele selbst gemalte Transparente und Pappschilder mit Sprüchen wie »Deine Mutter wird unterversorgt« oder »Bitte sterben Sie langsamer, wir haben keine Zeit«. Der »Walk of Care« wird unabhängig von größeren Organisationen von den Beschäftigten selbst auf die Beine gestellt, sagt Mia Wolter, Pressesprecherin des Demo-Bündnisses, zu »nd«. Dabei richte man sich schwerpunktmäßig an junge Arbeiter*innen, weil gerade der Einstieg in den Beruf schwierig sei. »Es ist gut, schon von Beginn an strukturelle Probleme im Gesundheitssystem zu erkennen und sich miteinander organisieren zu können«, sagt die Intensivpflegekraft.
Fünf Forderungen hat das Demo-Bündnis aufgestellt: Es verlangt eine gesetzliche Personalbemessung in Krankenhäusern, gute Ausbildungsbedingungen, eine Fort-und Weiterbildungsordnung, eine bedarfsgerechte Finanzierung statt Gewinnmaximierung sowie politische Mitbestimmung für alle Gesundheitsberufe. »Wir wollen mindestens 25 Prozent angeleitete Praxiszeit in der Ausbildung«, sagt Pflegefachperson Shirin Kreße. Es brauche außerdem besser ausgebildete Anleiter*innen. »Auszubildende dürfen nicht als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden«, so Kreße. Eine bedarfsgerechte Finanzierung der Gesundheitsversorgung funktioniere nur ohne Fallpauschalen: »Das DRG-System muss abgeschafft werden«, fordert Hebamme Ruth.
Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, begleitet die Demonstration der jungen Pflegenden. »Es ist schön, dass sie sich schon so früh mit Herzblut für ihren Beruf einsetzen. Sie brennen für ihren Beruf. Wir müssen die Arbeitsbedingungen schaffen, dass sie auch bleiben«, sagt er zu »nd«. Sehr viele Berufseinsteiger*innen würden aktuell schon in der Ausbildung wieder aussteigen. Er selbst habe mit Klassen gesprochen, bei denen von 30 Schüler*innen nur fünf die Ausbildung tatsächlich abschließen. »Es bringt nichts, Ausbildungsplätze zu schaffen, wenn die Arbeitsbedingungen so schlecht sind, dass sie den Beruf direkt wieder verlassen.«
Pflegekraft Shirin Kreße macht in einem Redebeitrag deutlich, dass sich die Gesundheitsarbeiter*innen nicht auf politische Maßnahmen verlassen können. »Es ist ein grundsätzliches Problem von Politik, die aktiv das kapitalistische System aufrechterhält. Politiker*innen überlegen sich Minimalreformen, lösen aber nie das konkrete Problem«, sagt Kreße. Denn das Problem sei das nie endende Streben nach Profit. »Gute Versorgung ist zu teuer. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen sind zu teuer. Pflege ist zu teuer.« Deshalb komme es darauf an, sich gemeinsam als Beschäftigte zu organisieren und für »gute, ganzheitliche und humane Gesundheitsversorgung« zu kämpfen.
Die Auszubildende Anna mag ihren Beruf als angehende Pflegefachkraft gerne. Es bereite ihr Freude, Menschen auf ihrem Genesungsweg zu unterstützen und Schmerzen lindern zu können, sagt sie zu »nd«. »Menschen zuzuhören, die sonst kaum Gehör bekommen und von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, ist für mich das Wichtigste. Ihnen zu zeigen, dass sie auch mit einer Erkrankung genauso wertvoll sind wie andere.« Ihr fehlt die Anerkennung von Pflege als Profession, in Unterscheidung zur Medizin. »Die Pflege ist ein eigenständiger Beruf mit ganz anderen Schwerpunkten«, sagt sie.
Deshalb und um sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen, nimmt die Auszubildende am »Walk of Care« teil. Auch ihrer Mitauszubildenden Alica fehlt diese Anerkennung. Sie will in Gemeinschaft mit den anderen Pflegebeschäftigten etwas in der Gesellschaft verändern, die Pflegeberufe oft abwerte, sagt sie zu »nd«. »Pflege ist mehr als Arsch abwischen.«
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