Bundestagsgedenken an Zeugen Jehovas ohne Linke

Parlamentsantrag für ein Mahnmal der von den Nazis verfolgen Zeugen Jehovas in Berlin

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach privat finanzierten »Stolpersteinen« sollen Zeugen Jehovas als Opfer des Nationalsozialismus auch ein eigenes Mahnmal erhalten.
Nach privat finanzierten »Stolpersteinen« sollen Zeugen Jehovas als Opfer des Nationalsozialismus auch ein eigenes Mahnmal erhalten.

KZ-Sachsenhausen am 15. September 1939. Der deutsche Überfall auf Polen, also das Gemetzel, das sich zum Zweiten Weltkrieg auswachsen sollte, war gerade zwei Wochen alt. Wie immer mussten sich die Häftlinge zum Abendappell aufreihen. Doch etwas war anders als gewohnt. Zumindest für die fast 400 Gefangenen, die einen lila Winkel am Drillich trugen. Der wies sie als Zeugen Jehovas, die man damals als Bibelforscher bezeichnete, aus. Die Religionsgemeinschaft – ursprünglich in den USA gegründet – hatte nach 1918 einen erstaunlichen Zulauf in Deutschland. Seit 1933 wurden die Zeugen Jehovas von den Nazis verfolgt und gedemütigt, schon zu Beginn der Nazidiktatur war die Gemeinschaft verboten worden. Ihre rund 30 000 Mitglieder standen zumeist nicht im direkten Widerstand zu Hitler und seinen Schergen, wohl aber verweigerten sie den Nazis die Gefolgschaft und lehnten aus religiösen Gründen jeden Wehrdienst ab.

Am jenem Septemberabend 1939 mussten die KZ-Gefangenen zusehen, wie ein Mann namens August Dickmann herbeigezerrt wurde. An ihm sollte auf Anordnung von Reichsführers SS Heinrich Himmler ein Exempel statuiert werden. Entweder er folge der Einberufung oder er werde hingerichtet. August Dickmann verweigerte den Kriegsdienst weiter standhaft, also gab der KZ-Kommandant Hermann Baranowski den Feuerbefehl. Drei SS-Unteroffiziere sollen Dickmann in den Rücken geschossen haben, einen »Gnadenschuss« in den Kopf setzte anschließend Rudolf Höß, der wenig später erster Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz werden sollte.

Gedenkskulptur und Informationstafeln

Nach derzeitigem Forschungsstand erlitten mindestens 10 700 deutsche Zeugen Jehovas und 2700 aus den besetzten Ländern Europas direkte Verfolgung: Folter, Mord, Enteignung, Kindesentzug etc. Etwa 2800 aus Deutschland und 1400 weitere aus Europa wurden in Konzentrationslager verschleppt, 1250 von ihnen waren minderjährig. Mindestens 1700 Mitglieder der Glaubensgemeinschaft kamen um, darunter sind 282 wegen Kriegsdienstverweigerung Hingerichtete. Weitere 55 kamen in der Haft oder in Strafeinheiten ums Leben.

Nun, fast acht Jahrzehnte nach der Zerschlagung des Nazireiches, haben die Ampel-Parteien mit der CDU/ CSU einen Antrag formuliert, laut dem – unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Erinnerungsarbeit – im Berliner Tiergarten ein Denk- und Mahnmal für die verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas in Europa errichtet werden soll. Die Mitglieder der Religionsgemeinschaft hätten aus ihrem Glauben heraus geschlossen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet und seien eine der ersten im nationalsozialistischen Deutschland verfolgten Gruppen gewesen, heißt es in dem Antrag der vier Parlamentsfraktionen.

Mit der Planung und Umsetzung soll die Bundesstiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas beauftragt werden. Das Mahnmal soll aus einer Gedenkskulptur und Informationstafeln bestehen, die Realisierung soll in Abstimmung mit dem Land Berlin erfolgen. Zugleich soll die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um Defizite in der Aufarbeitung der Geschichte, der öffentlichen Anerkennung und der wissenschaftlichen Erforschung der verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas in Europa zu beseitigen.

CDU/CSU gegen gemeinsamen Antrag

Wer den oft mühseligen Prozess der Anerkennung und Ehrung von Opfergruppen, die unter dem Hitler-Regime leiden mussten, verfolgt hat, der weiß, dass sich die Linksfraktion stets dafür einsetzte, dass die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung nachkommt, aller Opfer des Nationalsozialismus würdig zu gedenken. Nun jedoch verweigern sich die Linken?

Keineswegs. Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, hat sich mehrfach gegenüber Kollegen anderer Fraktionen bemüht, dass auch die Linksfraktion diesen interfraktionellen Antrag, dessen Inhalt sie mitträgt, zeichnen kann, vergeblich. Warum, das kann man einem Schreiben der SPD-Fraktion entnehmen. Deren Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast schrieb an den »sehr geehrten Herrn Kollegen Korte«, dass für ihre Fraktion eine »vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen demokratischen Fraktionen von zentraler Bedeutung ist – nicht nur in dieser Frage«. Doch lasse »die Beschlusslage der CDU/CSU-Fraktion keinen gemeinsamen Antrag mit der Fraktion Die Linke zu«.

Korte hält das für einen »unfassbaren Vorgang, der dem Thema in keiner Weise angemessen ist und geeignet scheint, das Verhältnis zwischen den demokratischen Fraktionen zu beschädigen«. Ungeachtet dessen betont er, dass Die Linke selbstverständlich die Pläne für ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas in Europa unterstütze.

Der Antrag wurde am vergangenen Donnerstag im Plenum beraten. In der halbstündigen Debatte sprachen sich alle Fraktionen für die Errichtung des Denkmals aus. Es sei »lange an der Zeit«, sich des Leidens der Zeugen Jehovas »aufrichtig zu erinnern«, erklärte Annette Widmann-Mauz (CDU) und betonte, dass alle Opfer des Nationalsozialismus »unseren unteilbaren Respekt« verdienten.

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