- Wirtschaft und Umwelt
- Konjunktur in Osteuropa
Konjunktur in Osteuropa: Ein wenig Frühjahrsoptimismus
Die meisten ost- und südosteuropäischen Länder haben die Sanktionen gegen Russland gut weggesteckt
In den vergangenen Monaten zielte die Bundesregierung mit ihren Reiseaktivitäten vor allem auf Asien und Südamerika. Gefragt waren Gesprächspartner, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) oder Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für die Auseinandersetzung mit Russland und China als Verbündeten gewinnen wollten. Die eher geringe Beachtung, die Berlin den meisten Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas (MOSOE) schenkt, stoßen in der dortigen Wirtschaft auf wenig Verständnis. Traditionell intensiver ist deren Verhältnis ohnehin zu Österreich.
So gilt das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) innerhalb der EU als Barometer der Ostwirtschaft. Und dieses zeigt Frühjahrsoptimismus. »Die meisten Volkswirtschaften der 23 Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas dürften den ökonomischen Schock durch den Ukraine-Krieg zum größten Teil bereits verdaut haben«, heißt es in der kürzlich veröffentlichten WIIW-Prognose. Obwohl sich die Wirtschaftstätigkeit gegenüber dem Vorjahr, das noch von den Nachholeffekten aus der Corona-Pandemie geprägt war, deutlich abgeschwächt habe, werden fast alle von ihnen auch 2023 wachsen. »Die schlimmsten Befürchtungen haben sich also nicht bewahrheitet«, konstatiert WIIW-Ökonomin Olga Pindyuk. Trotz der hartnäckig hohen Inflation, die die Haushalte und Unternehmen belastet, helle sich die Stimmung in der Region langsam auf.
»Das hat auch damit zu tun, dass alle Indikatoren mittlerweile auf eine langsame Erholung der Eurozone und ihrer stärksten Ökonomie Deutschland hindeuten«, so Pindyuk. Tatsächlich gelten die östlichen Staaten zunehmend als verlängerte Werkbank des Westens. »Gerade für den Umstieg auf erneuerbare Energien besteht in vielen Ländern großes Potenzial«, hatte Kanzler Scholz die Richtung auf der Jubiläumsfeier des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft vorgegeben.
Nun plant das chinesische Unternehmen EVE Energy im ostungarischen Debrecen den Bau einer Batteriefabrik für Elektrofahrzeuge, wie in der vergangenen Woche bekannt wurde. Der weltweit neuntgrößte Hersteller von Batteriezellen will rund 1,2 Milliarden US-Dollar (1,1 Milliarden Euro) in das Projekt investieren. Mit der neuen Fabrik soll der Bedarf an zylindrischen Batteriezellen aus dem ungarischen Werk von BMW gedeckt werden. Die angekündigten Pläne folgen auf ein ähnliches Großprojekt in Debrecen – das eigentlich für seine Würste berühmt ist, eine Acht-Milliarden-Dollar-Batteriefabrik, welche der chinesische Marktführer CATL errichtet. Schon drei der zehn größten Batteriefabriken der Welt sind in Ungarn ansässig.
Das Land hat besonders für die deutschen Autohersteller eine Schlüsselrolle inne. Seinerseits setzt die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán auf die Autoindustrie und ihre Zulieferer. Allerdings sind die Subventionen im Vergleich zu den Milliarden, die in der Bundesrepublik für ähnliche Ansiedlungen fließen, bescheiden. So will die Regierung Ungarns das Milliardenprojekt von EVE mit einem Betrag von umgerechnet 42 Millionen Dollar unterstützen. Ungarn bietet der Industrie aber darüber hinaus gut ausgebildete Fachkräfte, niedrige Löhne, mäßige Steuersätze und geringe bürokratische Herausforderungen.
Dennoch erwartet das WIIW für das inflationsgeplagte Ungarn eine ganzjährige Rezession. Die Preissteigerungen betrugen im März fast 26 Prozent und sind im EU-Vergleich am höchsten. Für 2023 prognostiziert das WIIW den EU-Mitgliedstaaten der Region jedoch insgesamt ein Wachstum von durchschnittlich 1,2 Prozent. Damit dürften sie mehr als doppelt so stark wachsen wie die Eurozone.
Vor allem die südosteuropäischen EU-Mitglieder zeigen sich vergleichsweise stark, während in den Visegrád-Ländern (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) das durchschnittliche Wachstum nur 0,6 Prozent beträgt. Die Staaten am Westbalkan werden mit durchschnittlich 2 Prozent wachsen, die Türkei mit 2,6 Prozent etwas stärker. In den allermeisten Ländern fällt das Wachstum damit viel geringer aus als im Vorjahr.
Russland hat sich nach einem BIP-Rückgang von 2,1 Prozent im vergangenen Jahr ökonomisch stabilisiert. Das gilt auch für die Ukraine, die sich bei einem Wachstum von 1,6 Prozent nach dem verheerenden Einbruch im vergangenen Jahr von 29,1 Prozent geringfügig erholen könnte. Die Prognosen sind allerdings mit großen Unsicherheiten behaftet. »Erstens könnte die drastische Straffung der Geldpolitik zu einer härteren Landung führen. Zweitens besteht nach wie vor die Möglichkeit einer militärischen Eskalation des Ukraine-Krieges«, erklärt WIIW-Ökonomin Pindyuk.
Der deutsche Osthandel betrage heute insgesamt rund ein Fünftel des gesamten Außenhandels, lobte indes Kanzler Scholz, das sei mehr als der Handel mit den USA und China zusammen. Wichtigste Partner sei Polen, gefolgt von Tschechien und Ungarn.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.