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Rosa-Träger Evenepoel muss mit Corona den Giro d’Italia aufgeben
Belgiens Favorit hatte gerade die Gesamtführung zurückerobert, da zerstört eine Diagnose seinen Traum
Gerade noch hatte Remco Evenepoel beglückt im rosa Konfetti-Regen gestanden. Das – hoffentlich recycelte – Papier wird regelmäßig über dem aktuell Führenden der Italienrundfahrt verteilt. Evenepoel strahlte, denn er hatte sich erwartungsgemäß das begehrteste Leibchen, das er auch Ende Mai in seine Heimat bringen wollte, übergestreift. Er hatte es zwar spannender gemacht als erwartet: Nur neun Hundertstelsekunden betrug sein Vorsprung nach 35 Kilometern Zeitfahren gegenüber dem Tageszweiten Geraint Thomas. Zur erneuten Übernahme des rosafarbenen Führungstrikots reichte es aber locker. Der bisherige Spitzenreiter Andreas Leknessund hatte mehr als eine Minute auf Evenepoel verloren.
Die wahren Kräfteverhältnisse waren somit wiederhergestellt. Denn der Weltmeister aus Belgien war über die Gesamtzeit der ersten Woche des Giro d’Italia auch der Kraftprotz schlechthin im Peloton gewesen. Das Auftaktzeitfahren hatte er in brillanter Manier gewonnen. Er hatte dabei die Spezialisten geschlagen und der unmittelbaren Konkurrenz im Gesamtklassement, Primož Roglič und Thomas, 43 und 55 Sekunden abgenommen. Das war deutlich. Evenepoel »zerstöre« seine Rivalen, warfen ihm da schon ein paar Journalisten vor. In den folgenden Tagen hielt seine Dominanz an. Er duellierte sich munter mit Roglič bei Zwischensprints – und gewann sie auch. Auch beim ersten Bergsprint am Gran Sasso war der Belgier vor allen direkten Rivalen geblieben.
Rückschläge steckte er auch weg, als sei das nichts. Nachdem er auf der 5. Etappe gleich zweimal zu Fall kam, einmal wegen eines streunenden Hundes, das zweite Mal aufgrund eigener Unaufmerksamkeit, demonstrierte er tags darauf mit Balljonglagen vor dem Start, wie prächtig seine Verfassung ist. Evenepoel schnappte sich in Neapel einen Fußball in den Vereinsfarben des neuen italienischen Meisters und zeigte, dass er in seiner Jugend nicht ohne Grund in die Junioren-Nationalmannschaft seines Landes berufen worden war. Und auf seine erste kleine Niederlage am Samstag, als er 14 Sekunden auf Roglič und Thomas verlor, ließ Evenepoel in Cesena seinen zweiten Etappensieg folgen.
Der Weltmeister war eindeutig der Chef dieses Giro d’Italia. Dann aber kam das Aus durch Covid. Ein Schock. Evenepoel verbarg seine Enttäuschung nicht. »Ich bin sehr traurig, dass ich das Rennen verlassen muss. Als Teil des Gesundheitsprotokolls des Teams ließ ich einen Routinetest durchführen, der leider positiv war. Meine Erfahrungen hier waren wirklich besonders, und ich habe mich schon auf die nächsten zwei Wochen Kampf gefreut«, teilte er mit.
Diese Freude ist nun dahin. Evenepoel trat die Heimreise an. Sein Team Soudal Quick Step, das komplett auf ihn ausgerichtet war, muss sich nun neu sortieren. Mit der Gesamtwertung haben seine Helfer nichts mehr zu tun. Bestenfalls um Etappensiege können sie noch mitfahren.
Als neuer Dominator schält sich nun weniger Primož Roglič heraus. Der Slowene war in seiner eigentlichen Paradedisziplin, dem Zeitfahren, bislang nur mäßig erfolgreich. »Ich bin ein langsamer Starter«, spielte er auf das Zeitfahren am Sonntag an. Dort hatte er bei der ersten Zwischenzeit schon 31 Sekunden Rückstand auf Evenepoel, konnte das später aber auf 17 Sekunden noch fast halbieren. Auch insgesamt fällt auf, dass der Slowene erst in Schwung kommen muss.
Ein Achtungszeichen setzte er mit seinem Angriff am Samstag. Er überraschte Evenepoel, konnte aber nicht verhindern, dass ein britisches Duo zu ihm aufschloss: Geraint Thomas und Tao Geoghegan Hart vom Ineos-Team umschlingen ihn nun regelrecht im Gesamtklassement. Thomas liegt als neuer Gesamtführender zwei Sekunden vor Roglič, Hart drei Sekunden hinter ihm. Ihr Team ist das mit Abstand stärkste der Rundfahrt – drei Fahrer liegen in den Top Ten, fünf unter den besten 20. Ineos kann somit mehrere Trümpfe ausspielen und den slowenischen Widersacher in den kommenden Wochen in die Zange nehmen.
Für den deutschen Rennstall Bora-hansgrohe liefen die ersten Giro-Tage im unteren Bereich der Erwartungen. Immer dann, wenn es schnell wurde, verlor das Kapitäns-Duo Alexander Wlassow und Lennard Kämna ein bisschen Zeit. In den Zeitfahren war das erwartbar. Der Russe zeigte sich mit seinen Leistungen im Kampf gegen die Uhr sogar zufrieden. »Ich bin gleichmäßig gefahren und habe meinen Rhythmus behalten«, sagte er nach dem Zeitfahren am Sonntag. Insgesamt verlor er 63 Sekunden auf Thomas, zu Evenepoel wären es schon 85 Sekunden gewesen. Der deutsche Co-Kapitän Kämna war sogar noch knapp eine Minute langsamer als sein Teamkollege. Die Hoffnung auf mehr haben sie aber nicht aufgegeben. »Den für uns schwierigeren Teil des Giro haben wir nun hinter uns. Jetzt beginnen die Tage, die uns besser liegen sollten«, meinte Trainer Sylwester Szmyd am Sonntag.
Völlig ungewiss ist, wie der erneute Corona-Ausbruch im Fahrerfeld das Klassement noch verändern wird. Mehrere Fahrer, darunter auch Bora-Profi Giovanni Aleotti und Ineos-Mann Filippo Ganna, mussten wegen positiver Tests bereits vor Evenepoel den Giro verlassen. Turbulenzen sind da weiter programmiert.
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