Stephan Hermlin: Die Scherben funkeln

Hans-Dieter Schütts großer Stephan-Hermlin-Essay »Entlang eines Dichters«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Man kennt die Bilder vom Pfeifenraucher, der dem Proletkult der 50er Jahre herablassend die Rauchkringel entgegenbläst. Dieser Kommunist besteht auf Stil! Der Dichter Stephan Hermlin, könnte man mitunter denken, scheint das Leben eines kommunistischen Dandys geführt zu haben, manche nannten ihn auch abfällig einen Snob. Ein Mann mit Charisma, nicht nur in seinen Texten, sondern auch im Auftreten.

Für westliche Sportwagen kann er sich nicht nur aus der Ferne begeistern, sondern sie auch besitzen – dank seines Verlags in Westberlin, den Klaus Wagenbach leitete, und Honoraren in Devisen. Noch dies eine ostentativ hochmütige Antwort an DDR-Verlage, die ihn immer mal wieder nicht – oder kaum noch – drucken durften. Das war in den 80er Jahren, in denen Hermlin (wie auch Stefan Heym oder Christa Wolf) im Westen als halber Dissident galt und nicht als »Staatsdichter« wie ab 1990. Darum verkaufte er mehr Bücher, als man es von einem anspruchsvollen Autor, der am liebsten über schwierige Dichtung und noch schwierigere Dichter schrieb, erwarten konnte. Ein komfortables Missverständnis.

Aber der schöne Schein, der ihm als selbstgewähltes Refugium willkommen war, blieb trügerisch. Die DDR als das nie aufgegebene eigene Land quälte ihn mit wachsender Banalität. Sein Hauptfeind blieb der Funktionär. Nun hat Hans-Dieter Schütt sich mit »Entlang eines Dichters« ins Zwiegespräch mit Stephan Hermlin begeben, mehr noch dem Echo von dessen Werk bei anderen Autoren wie Volker Braun oder Gerhard Wolf Raum gegeben. Keine Biografie, so lautet Schütts Credo. Warum eigentlich nicht, wo doch Karl Corino, der mit »Außen Marmor, innen Gips. Die Legenden des Stephan Hermlin« 1996 (ein Jahr vor Hermlins plötzlichem Tod) wie ein Anklagepunkte sammelnder Staatsanwalt die Lebensdaten Hermlins durchforstet hatte, als stünde der Mann zur Fahndung aus. Ein Plädoyer für die Kunst der Biografie schiene da angebracht.

Gewiss, es vermischen sich bei Hermlin, vor allem in der fiktionalen Autobiografie »Abendlicht«, Dichtung und Wahrheit. Das tat es übrigens schon bei Goethe mit seinen gleichnamigen Erinnerungen, wie bei jedem fantasiebegabten Menschen, der über sein eigenes Leben spricht. Gewiss, der Mensch hieß Rudolf Leder und kam aus Chemnitz und wählte sich als Autor das vornehm klingende Pseudonym Stephan Hermlin. Macht ihn dies zu einem Hauptmann von Köpenick?

Schütts fast 300-seitiges Buch ist Essay im radikalen Sinne, vom Typus des ständigen »Vorläufers«, wie ihn der junge Georg Lukács benannte: ein Erbe der kunstfixierten Romantik mit ihrem Bekenntnis zum Fragment, jenseits des nicht mehr gewollten – oder bereits unmöglich gewordenen – Ganzen, dessen Scherben es gewissenhaft einzusammeln gilt. Kein Puzzle, eher ein Steinbruch der Motive und Werke. Schütt sieht in Hermlin den verwandten Geist: ein aufrichtiges Beginnen in einem immer mehr als falsch erkannten Kontext, den er aber weder zerbrechen kann noch will. So wenden sich die Brüche ins Innere, dort gärt die zauberische (auch zauderische) Wortküche, einer Wunderkammer gleich. Ausgehaltener Widerspruch, dem Dichterwort Georg Trakls folgend: »Der Wahrheit nachsinnen – viel Schmerz.«

Aber das dunkel Zerquälte wird auch wieder leicht, flaniert bei Hermlin sogar lustvoll durch die Welt, vor allem nach Frankreich, seine literarische Wahlheimat. Nachdem er bereits 1958 aufgehört hatte, eigene Gedichte zu schreiben (zur gleichen Zeit verstummte auch Franz Fühmann als Lyriker), begann er, die großen Franzosen nachzudichten, und das auf unvergleichliche Weise. Überhaupt, der Literaturvermittler erwachte als Anwalt der modernen Dichtung, die immer um ihr Zentralgestirn Nietzsche kreist. Hermlin betrieb schließlich seine eigene Kulturpolitik neben der offiziellen der SED – und auch gegen sie. Ein unbestechlicher Hüter der künstlerischen Maßstäbe, für die er stritt.

Der hohe Ton, so erfahren wir bei Schütt, gehört zu Hermlin als Dichter, aber gelegentlich mischt sich ein hochfahrender Gestus darunter, ein schreiendes Dementi: ohne mich! Was blieb, war jenes Abendlicht, das die Vergeblichkeit des eigenen, lang zurückliegenden Beginnens in ein Zwielicht taucht, das nicht lügt, eben weil es ums Trügerische des eigenen Anspruchs weiß. Bücher, so sagt Hermlin, schützten ihn vor dem Leben. Ein Bollwerk aus Geist und ästhetischer Form. Dieser Pathetiker der Distanz, der von der Romantik, von Nietzsche und Kafka ebenso herkam wie von Büchner und Marx, fand seine treuesten Genossen immer in Büchern, die von ähnlichen geschichtlichen Ernüchterungen handelten, wie er sie erfuhr. Die Geschichte schlägt den Einzelnen gerade dann zu Boden, wenn er sich als Sieger dünkt. Vom Auftreten her war Hermlin jederzeit ein Repräsentant der von ihm mitgegründeten DDR. Aber heimlich blieb er ein Ketzer, ein Feind jedes Dogmas. Und Schütt fragt: »Lebenskunst? Das ist die Kunst, sich an etwas zu halten oder etwas nicht auszuhalten. Wo liegt die Grenze?«

Hermlin war ein Weggeher mitten im Dableiben. Kleine symbolträchtige Fluchten etwa aus Versammlungen von Schriftstellern, die zu Tribunalen wurden (wie jener Ausschluss von neun Autoren aus dem Berliner Schriftstellerverband im Juni 1979) zeugen von Charakter, nobler Haltung im Sumpf des Niedrigen, in den er sich nicht hineinziehen ließ. Wenn es ihm zuviel wurde, dann ging er weg, nach Hause, mit den Worten, ihm sei schlecht geworden und im Übrigen stimme er gegen die Ausschlüsse.

Was bringt Schütt zu Hermlin außer dem Willen, den zu Unrecht diffamierten Großen deutscher Dichtung wieder in den Fokus echter streitbarer Auseinandersetzung zu bringen? Zweimal interviewte er ihn, 1988 als Chefredakteur der »Jungen Welt« und dann 1992 fürs »Neue Deutschland«. Im ersten Interview sorgte Hermlin für einen Eklat, als er sagte, dass höchstens ein Prozent der deutschen Bevölkerung aktiv Widerstand gegen das NS-Regime geleistet habe. Das verstimmte die SED-Spitze. Politbüro-Medienchef Joachim Herrmann rüffelte Schütt: Ein guter Parteijournalist schreibe so was gar nicht erst auf! Der tat es trotzdem. Vier Jahre später dann die zweite Begegnung mitsamt der melancholisch gestimmten Frage, was dennoch bleibe vom Anspruch des anderen deutschen Staats. Hermlins bemerkenswerte Antwort ist abgedruckt.

Schütt begegnet, über Hermlin nachdenkend, einem Autor, der die Jahrhunderterfahrung als deutscher Kommunist und zugleich kompromissloser Anwalt der Kunst in sich trägt. Ein Drama ohnegleichen.

17.5.: nd im club: Paul Werner Wagner im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt u 18 Uhr im FMP1, Berlin. Hans-Dieter Schütt: Stephan Hermlin. Entlang eines Dichters, Quintus-Verlag, 296 S., geb., 25 €.

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