Lennard Kämna fährt beim Giro d’Italia im Feld der Favoriten

Warum der deutsche Radprofi die Italien-Rundfahrt für sein Team retten muss

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Kämpft sich in die Rolle des Kapitäns: Lennard Kämna
Kämpft sich in die Rolle des Kapitäns: Lennard Kämna

Es ist ein Aufstieg, den sich Lennard Kämna so sicher nicht gewünscht hätte: Als Co-Kapitän mit Freiheiten im deutschen Team Bora-hansgrohe startete er in den Giro d’Italia. Nach dem Ausfall des russischen Radprofis Alexander Wlassow, der realistische Aussichten auf einen Podiumsplatz hatte, ist der 26-Jährige aus dem schleswig-holsteinischen Wedel nun der alleinige Kapitän. Auf seinen Schultern lastet jetzt die Verantwortung für ein gutes Gesamtergebnis.

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Geplant war das anders. Kämna sollte eigentlich Wlassow unterstützen, mit ihm immer vorn dabei sein, im besten Fall sollten sie sich bei Attackenkaskaden abwechseln. Vor allem aber sollte Kämna lernen, was es bedeutet, eine dreiwöchige Grand Tour mit dem Klassement im Auge zu fahren. Wlassow jedoch ist ausgeschieden. Schon beim Zeitfahren am vergangenen Sonntag wirkte er angeschlagen und stieg bei der Etappe danach völlig entkräftet aus. Später kam der positive Covid-Befund.

Kämna meistert die neuen Herausforderungen bislang gekonnt. Und vom Virus lässt er sich auch nicht einschüchtern. »Wir sind schon vorsichtig, aber es ist keine Riesenpanik im Team«, sagte er. Viele alte Pandemieroutinen wurden ohnehin beibehalten: Hände desinfizieren, Masken tragen. Die Organisatoren des Giro d’Italia verhängten angesichts der sich häufenden Ausfälle auch eine Maskenpflicht im Start- und Zielbereich. »Wir versuchen, in unserer Bubble so clean wie möglich zu sein und natürlich nicht krank zu werden«, lautet der Vorsatz von Kämna.

Beim Teamkollegen Wlassow ging das allerdings schief. Ein herber Rückschlag für den Rennstall, der immerhin im letzten Jahr den Giro gewann und formell Titelverteidiger ist – selbst wenn der eigentliche Gewinner Jai Hindley nicht dabei ist und sich auf die Tour de France vorbereitet. »Es ist natürlich sehr schade, dass wir Alex verloren haben. Wir alle investierten viel Arbeit in die Vorbereitung«, sagte Jens Zemke, Boras sportlicher Leiter beim Giro.

Aber trauern hilft nicht. Das Rennen geht weiter. Und Lennard Kämna nimmt die Aufgabe als alleiniger Kapitän gut an. Er fährt aufmerksam und intelligent, hält sich meist vorn im Feld auf – und bislang auch fern der Sturzzonen. Die schlechteste Tagesplatzierung war bisher Rang 23. Das zeigt: Kämna ist stets im Feld der Favoriten dabei. Er kämpft dabei nicht um die Tagessiege im Massensprint, sondern will so Gefahren meiden, selbst innerhalb der Drei-Kilometer-Zone vor dem Ziel, in der sturzbedingte Rückstände sich nicht negativ im Klassement niederschlagen. »Unser Ziel ist es, sicher durchzukommen, und bislang hat das ja auch ganz gut geklappt«, bilanzierte Nico Denz nach der elften Etappe. Er hatte seinen Teamkollegen Kämna am Hinterrad.

Zahlreiche Favoriten sind schon ausgefallen: im Rosa Trikot der belgische Weltmeister Remco Evenepoel, der in dritter Position liegende Brite Tao Geoghegan Hart und eben Wlassow, der nah an den Besten dran war. Zudem sind die beiden führenden Favoriten Geraint Thomas und Primoz Roglic durch Stürze lädiert. Angesichts der vielen Ausfälle postete der Belgier Thomas de Gendt, 2012 Giro-Dritter, sarkastisch: »Schade, dass ich bei diesem Giro nicht dabei bin. Ich könnte glatt wieder aufs Podium kommen.«

Derartiges ist von Kämna nicht zu hören. Aber mit schlauer Fahrweise könnte er bei diesem Giro, der mehr an ein Ausscheidungsfahren als an eine Grand Tour erinnert, ziemlich weit kommen. Das Renngefühl dafür hat er: Kämna ist ein Instinktfahrer mit sehr guter Radbeherrschung.

Fehler unterlaufen ihm natürlich auch. Auf der achten Etappe ging er bei einer Attacke von Roglic mit – und überzog. »Ich war ein bisschen übermütig auf den letzten zehn Kilometern, weil ich mich echt gut gefühlt habe. Ich bin einfach zu schnell in den Berg reingefahren. Am Ende musste ich leider etwas Tribut zollen und habe Zeit verloren«, gestand er. Dass er seine Kräfte überschätzte, kann man aber auch als gutes Zeichen werten: Kämna hat Kräfte. Und er ist gewillt, sie einzusetzen. Jetzt muss er nur noch ökonomischer damit umgehen.

Dem Druck, alleiniger Kapitän zu sein, hält er nach Meinung seines Umfelds bisher stand. »Lennard ist auch in anderen Rennen schon Kapitän gewesen und geht mit der Rolle sehr gut um«, konstatiert Boras Leitender Sportdirektor Rolf Aldag. Um etwas Druck von Kämna zu nehmen, dürfen seine Teamkollegen auf den kommenden Etappen ausreißen und um Tagessiege fahren. Bedingung dabei: Mindestens ein Bora-Profi muss immer bei Kämna bleiben, um mindestens Platz sechs zu verteidigen. Die nächste größere Herausforderung ist an diesem Freitag die Bergetappe nach Crans Montana.

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