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G7 in Hiroshima: Gipfel im Zeichen des Kriegs
Die Themen Sicherheit und Militär prägten das Treffen der G7-Staaten in Hiroshima
Der diesjährige G7-Gipfel war in vielerlei Hinsicht historisch. Schon deshalb, weil er in Hiroshima stattfand: In dieser Stadt fiel am 6. August 1945 die erste in einem Krieg eingesetzte Atombombe und verwüstete die Stadt. Und an diesem Ort, der sich seither für nukleare Abrüstung einsetzt, haben die G7-Staaten verbal den Wunsch geäußert, eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Gleichzeitig haben sie ihrer zunehmenden militärischen Kooperation deutlich Nachdruck verliehen. Ausgerechnet der G7-Gipfel in der Friedensstadt Hiroshima war stärker vom Thema Sicherheitspolitik geprägt als die allermeisten Treffen in der Vergangenheit. Gegenüber China, von dem unter anderem eine nahende Invasion in Taiwan befürchtet wird, wurde ausdrücklich betont, es solle sich »verantwortungsvoll« verhalten. Gegen Russland, das weiterhin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, wurden einmal mehr neue Sanktionen beschlossen.
Der Star der Konferenz war aber nicht Gastgeber Fumio Kishida, der japanische Premier, sondern der kurzfristig angereiste ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Von internationalen Medien wurde Selenskyjs Teilnahme als dessen »wichtigste Reise« bewertet, da er in Hiroshima die seltene Möglichkeit hatte, mit vielen der mächtigsten Regierungschefs der Welt gleichzeitig zu sprechen und für mehr Unterstützung der Ukraine zu werben. Um den Gesprächen mit Selenskyj möglichst viel Raum zu geben, veröffentlichten die G7-Staaten ihr Kommuniqué auch schon am Samstag, einen Tag vor Gipfelende.
Dabei drängte Selenskyj mit seiner Anwesenheit auch andere Themen in den Hintergrund. Mehrere japanische Journalisten beklagten vor Ort etwa, dass die pazifistische Bühne Hiroshimas von den G7-Staaten und den zusätzlich eingeladenen Staaten dazu genutzt wurde, militärisch geprägte Geopolitik zu betreiben. Das Thema nuklearer Abrüstung dagegen sei zwar in Statements prominent erwähnt, aber kaum konkretisiert worden.
Ähnlich sieht es beim Umgang mit den ärmeren Ländern der Welt aus, die oft auch als »Globaler Süden« bezeichnet werden. Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit wie Oxfam haben in Hiroshima darauf gedrängt, dass diesen Ländern insbesondere nach den ökonomischen Verwerfungen durch Pandemie und den Ukraine-Krieg ihre Schulden gegenüber reicheren Ländern und internationalen Organisationen erlassen würden. Zudem sollte die Entwicklungszusammenarbeit deutlich verstärkt werden.
So würde man die Chancen auf ökonomische Entwicklung ärmerer Länder erhöhen und gleichzeitig die Beziehungen des Westens mit ihnen stärken – was durchaus von Bedeutung ist, da etwa Russland und China in diversen Ländern stark investieren. Allerdings hat dieses Thema beim Gipfel praktisch keine Beachtung gefunden – umso weniger, als kurzfristig bekanntgeworden war, dass Wolodymyr Selenskyj persönlich anreisen würde.
Premierminister Kishidas Lesart des Gipfels war eine andere. Nicht nur habe sich ein G7-Gipfel in einer der Sitzungen erstmals allein dem Fernziel der Abschaffung aller Atomwaffen gewidmet. Ebenso habe es vorher nie eine Besprechung zur Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften gegeben, wenn etwa Probleme in globalen Lieferketten auftreten. Auch in Bezug hierauf betonte Kishida in seiner Abschlussrede: »Wir müssen unseren Partnern im Globalen Süden zuhören und ihre Herausforderungen verstehen.«
Das Verständnis für Probleme ärmerer Länder mag an diesen Tagen in Hiroshima etwas zugenommen haben. Insbesondere Kishida als Gastgeber traf sich nicht nur mit den Regierungschefs der anderen G7-Staaten auf bilateraler Ebene, sondern auch mit diversen Regierungschefs von Ländern, die Japan zusätzlich eingeladen hatte. So hat sich Kishida mit dem Regierungschef der Komoren, die dieses Jahr den Vorsitz der Afrikanischen Union haben, über die Sicherheitslage in Afrika sowie im Indopazifik ausgetauscht und vertiefte Kooperation auf mehreren Ebenen angekündigt.
Ähnliche Bedeutung hatte Kishidas Treffen mit Narendra Modi, der als Premier Indiens ein boomendes, aber weiterhin insgesamt armes Land anführt. Kishida und Modi gelobten, auf diversen Ebenen stärker zusammenarbeiten zu wollen, von der Rechtsstaatlichkeit bis zu ökonomischer Entwicklung und internationaler Sicherheit. Mit dem indonesischen Präsidenten Joko Widodo sprach Kishida zudem über das Vorhaben, die indonesische Hauptstadt vom überlasteten Jakarta in eine neue Planstadt zu verlegen, und sicherte Indonesien dabei Unterstützung zu.
Wie viele der Beschlüsse umgesetzt werden, ist ungewiss. Laut einer Untersuchung früherer Gipfel durch die Universität Toronto werden Vereinbarungen rund um Digitalisierung, Wissenschaftskooperationen sowie Sozialpolitik eher eingehalten, wärmend es für die Bereiche Geschlechtergerechtigkeit, Bildung und Handel dagegen schlecht aussieht. Auch Beschlüsse zum Klimaschutz finden vergleichsweise wenig Umsetzung.
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