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  • »Kriminelle Vereinigung«

Mit Paragraf 129 gegen die Letzte Generation in Berlin

Berlin will die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung verfolgen, Brandenburg tut es bereits

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Woche hat klebrig begonnen: Am Montag blockierten Aktivist*innen an mindestens 13 Orten den Berliner Straßenverkehr. Neben Sitzblockaden mit und ohne Kleber wandten Teilnehmer*innen eine neue Störtechnik an: Auf der Stadtautobahn A100 fixierte sich eine Person auf dem Dach eines Leihwagens. Die Aktionen zeigten ihre gewohnte Wirkung: Die Verkehrsinformationszentrale meldete auf der A100 sowie rund um den Kaiserdamm ein »Verkehrschaos«.

Während sich in Berlin die Autos stauen und weltweit die Durchschnittstemperaturen steigen, werden die Rufe nach repressiven Maßnahmen lauter. Neben Debatten um längeren Präventivgewahrsam und beschleunigte Verfahren steht nun neu im Fokus: Paragraf 129 Strafgesetzbuch, Bildung krimineller Vereinigungen. So sorgte am Wochenende die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) mit ihrer Ankündigung für Aufsehen, sie lasse die Strafrechtsabteilung ihrer Verwaltung prüfen, ob es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handele. Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch kritisierte Badenbergs Vorgehen. »Strafverfolgung ist eine Sache der Staatsanwaltschaft und der Gerichte. Politisch motivierte Strafverfolgung schadet dem Rechtsstaat«, sagte sie am Sonntag. »Gerade die Justizsenatorin sollte diese Grenze kennen und sehr klar einhalten.«

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Tatsächlich können Justizministerien in Deutschland ihren jeweiligen Staatsanwaltschaften Weisungen erteilen. Das wird von Jurist*innen seit Jahrzehnten kritisiert. In Berlin habe der Konsens vorgeherrscht, auf derartige Einflussnahme zu verzichten, sagt Sebastian Schlüsselburg. Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus äußert sich deshalb über Badenbergs Vorstoß besorgt: »Gerade die Tatsache, dass sie die Prüfung öffentlich kommuniziert, lässt vermuten, dass sie eine politische Weisung plant.«

Badenberg würde sich damit gegen die Berliner Staatsanwaltschaft stellen, die bereits in einem Schreiben Anfang des Jahres zu dem Schluss gekommen war, dass der Paragraf 129 nicht auf die Letzte Generation zutrifft. Laut Informationen der »Taz« argumentierte Oberstaatsanwalt Holger Brocke, dass die Gruppe »nicht auf die Begehung hinreichend gewichtiger Straftaten gerichtet ist«. Weder die Straßenblockaden noch Blockadeaktionen am Flughafen BER oder an Brandenburger Öl-Pipelines hätten zu »konkreten Gefährdungen« geführt, sondern zeugten vielmehr von einem »symbolischen Charakter«. Vergangene Woche bekräftigte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, dass die »Erheblichkeitsschwelle« für Ermittlungen nach Paragraf 129 derzeit nicht erreicht sei.

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin sieht das offensichtlich anders. Sie ermittelt erstmals in Deutschland wegen des Anfangsverdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die Klimaaktivist*innen und verweist insbesondere auf die Störaktionen bei der Raffinerie PCK Schwedt. Im Zuge dieser Ermittlungen fanden im Dezember elf Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der Letzten Generation statt. Das Landgericht Potsdam wies zuletzt eine Klage gegen die Großrazzia ab und bestätigte die zugrundeliegenden Ermittlungen nach Paragraf 129. Die Letzte Generation habe »das erklärte Ziel, durch Mittel des ›friedlichen zivilen Ungehorsams‹ die Bundesregierung zu Maßnahmen gegen die Klimakrise und für eine nachhaltige Politik zu zwingen«, heißt es in dem Beschluss von vergangener Woche.

Ein Gerichtsurteil zum Vorwurf der kriminellen Vereinigung steht noch aus. Falls es zu einer Verurteilung nach Paragraf 129 kommt, stünde anschließend bereits die Zugehörigkeit zur Letzten Generation unter Strafe. Hierfür müsste ein Gericht feststellen, dass die Gruppe erhebliche Straftaten begeht und damit außerdem einen übergeordneten Zweck verfolgt, sagt Norman Lenz zu »nd«. Er ist Anwalt in Potsdam und Vorsitzender der Brandenburgischen Strafverteidigervereinigung. Aufgrund dieser Vorbedingung komme der Paragraf 129 vor allem gegen politische Gruppen zum Einsatz anstatt gegen mafiöse Strukturen – letztere begingen Straftaten ja meist zur eigenen Bereicherung. »Deshalb ist das im Grunde ein Staatsschutzparagraf«, so Lenz. Den Kampf gegen Klimazerstörung als hinreichende Ideologie nach Paragraf 129 zu bewerten, sei absurd. »Der Staat ist laut Artikel 20a Grundgesetz selbst dazu verpflichtet, mit seiner Rechtsprechung die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.«

Schon vor einem Urteil schränkt bereits der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung politischen Aktivismus enorm ein. Die rechtspolitische Sprecherin der brandenburgischen Linksfraktion Marlen Block zählt in einer Stellungnahme die möglichen Ermittlungsmethoden auf: »Überwachung der Telekommunikation, selbst in Wohnungen, Observationen, Erstellung von Bewegungsprofilen und Überwachung von Kontaktpersonen.« Diese Repressionen stünden nicht im Verhältnis zu dem legitimen Ziel, »Maßnahmen gegen den unmittelbar drohenden, unumkehrbaren Klimawandel (zu) erreichen«.

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