Werbung

Pinselohren in Gefahr

Das Überleben wilder Luchse steht in Deutschland auf der Kippe

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Luchs bei der Jagd. Ein Großteil der Luchse in Deutschland lebt im Harz und im Bayerischen Wald.
Ein Luchs bei der Jagd. Ein Großteil der Luchse in Deutschland lebt im Harz und im Bayerischen Wald.

Am 17. März 1818 erlegte der königlich-hannöversche Förster Johann Friedrich Wilhelm Spellerberg nach einer zweiwöchigen Hatz den letzten wilden Luchs im Harz. An die 200 Jäger und Treiber waren damals im Einsatz, um das Tier ausfindig zu machen und zur Strecke zu bringen. Am Teufelsberg bei Lautenthal erwischte der Forstmann schließlich den Luchs. Noch heute erinnert dort der sogenannte Luchsstein an den Abschuss.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Fast 200 Jahre später, im Jahr 2000, begann im niedersächsischen Teil des Harzes unter Regie der Nationalparkverwaltung die Wiederansiedlung von Luchsen. Nach mehrwöchiger Eingewöhnungsphase in einem versteckt gelegenen Auswilderungsgehege mitten im Nationalpark wurden bis zum Jahr 2006 insgesamt 24 Luchse – neun Männchen und 15 Weibchen – in die Freiheit entlassen.

Nicht nur aus Sicht von Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) ist das Auswilderungsprogramm auf einem sehr guten Weg. Die Harzer Luchspopulation gelte als eine der vitalsten in Europa, sagte Meyer jüngst bei einer internationalen Luchstagung in Goslar. Allein durch dieses Mittelgebirge streiften mittlerweile etwa 90 Tiere. Insgesamt mache die aus dem Projekt entstandene Population mit rund 110 Tieren heute mehr als die Hälfte des gesamtdeutschen Luchsvorkommens aus.

Doch trotz dieser erfreulichen Entwicklung sehen viele Experten das Überleben der Raubkatzen in freier Wildbahn mittelfristig gefährdet. Wegen Inzucht. Um die genetische Diversität der kleinen mitteleuropäischen Luchsvorkommen sei es schlecht bestellt, warnt der Leiter des Nationalparks Harz, Roland Pietsch. »Ein genetischer Austausch zwischen den Populationen ist dringend erforderlich, wenn das erneute Aussterben des Luchses verhindert werden soll.«

Der Schweizer Raubtierökologe Urs Breitenmoser betonte bei der Tagung, lokal seien die Bedingungen für wild lebende Luchse heute zwar vorteilhafter als zur Zeit ihres großflächigen Verschwindens im 18. und 19. Jahrhundert: »Unsere Wälder sind in besserem Zustand und Beutetiere – vor allem Rehe – sind ausreichend vorhanden.« Doch große Städte, die durch breite Verkehrsachsen verbundenen seien, verhinderten die Ausbreitung des Luchses. Ein Austausch von Tieren zwischen den Vorkommen im Harz, im Bayerischen Wald und im Pfälzerwald fände derzeit nicht statt.

Andererseits seien weite Wanderungen von Luchsen aber unbedingt nötig, um einen genetischen Austausch zwischen den Luchsvorkommen in Deutschland und Mitteleuropa zu erreichen. Einige Populationen litten bereits unter Inzuchterscheinungen.

Insbesondere die weiblichen Tiere schreckten oft davor zurück, den schützenden Mittelgebirgswald zu verlassen, weiß der Luchsexperte im Nationalpark Harz, Ole Anders. Sie wagten keine Wanderungen über weite offene Agrarflächen, um in das nächste größere Waldgebiet zu gelangen.

Als weiterer Hinderungsgrund für eine Ausbreitung der Luchse gilt der Straßenverkehr. Mehr als ein Drittel aller in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt tot aufgefundenen Luchse wurde überfahren. Untersuchungen mit sendermarkierten Luchsen zeigten zudem, dass viele Tiere bei ihren Wanderungen vor dem Überqueren von Schnellstraßen abdrehen. Auch die etwas mutigeren Luchse brauchen mitunter sehr lange, um solche Straßen zu überwinden.

Da die einzelnen Populationen zu klein seien, um ihre genetische Lebensfähigkeit langfristig zu gewährleisten, müsse die Rückkehr der Tiere durch weitere Wiederansiedlungen und Umsiedlungen gefördert werden – darin waren sich die Teilnehmer der Konferenz einig. Einige Vorhaben sind denn auch schon in Planung oder bereits angelaufen.

Um geeignete Luchse mit »frischem Blut« zu bekommen, startete ein Zuchtprogramm für den Karpatenluchs. Außerdem laufen genetische Untersuchungen von Gehegeluchsen, um geeignete Zuchtpaare zu finden. Eine Luchs-Bestandsaufstockung in Slowenien, Kroatien und Italien steht kurz vor dem erfolgreichen Abschluss.

Tagungsteilnehmern zufolge werden zurzeit auch in den Bundesländern Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen Luchs-Ansiedlungsprojekte geplant, um bereits vorhandene Kleinvorkommen zu unterstützen oder Verbreitungslücken zwischen benachbarten Populationen zu schließen.

Innerhalb Deutschlands sei der rund 2200 Quadratkilometer große Thüringer Wald von herausragender Bedeutung, da eine stabile Luchspopulation dort das bisher fehlende Bindeglied zwischen den bestehenden Populationen im Harz und im Bayerischen Wald bilden könne, so Markus Port vom BUND Thüringen. Im Rahmen des Projektes »Luchs Thüringen – Europas Luchse vernetzen« sollen zwischen 2024 und 2027 zwölf bis 20 Luchse im Thüringer Wald ausgesetzt werden. Einzelne Tiere streifen längst durch das Gebiet. Um den Bestand zu erfassen, solle zunächst das Fotofallen-Monitoring mit Unterstützung von Thüringen-Forst und Jagd-Vereinigungen ausgeweitet werden. Zweiter zentraler Baustein des Projektes ist ein Auswilderungsgehege im Wildkatzendorf Hütscheroda bei Eisenach. In dieses Gehege, in dem die scheuen Pinselohren nahezu ohne Kontakt zum Menschen aufwachsen, sind die ersten Luchse bereits eingezogen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -