Wer ist Clara Mosch?

Der Berliner Kunstverein Ost zeigt ein besonderes Kapitel von Aktionskunst in der DDR

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Mensch und Vegetation verbinden sich auf seltsame Art miteinander, im Mai 1979 auf Rügen
Mensch und Vegetation verbinden sich auf seltsame Art miteinander, im Mai 1979 auf Rügen

Drei Männer erobern eine Baumkrone. Sie sind nackt. Ihre Gliedmaßen schlingen sie um die knorrigen und kahlen Äste des Baums. Mensch und Vegetation verbinden sich hier auf seltsame Art miteinander. Das Foto entstand im Mai 1979 auf der Insel Rügen im Rahmen eines Pleinairs, einer Kunstaktion im Freien, die von der Künstlergruppe Clara Mosch aus Karl-Marx-Stadt organisiert war. Ein großformatiger Abzug des Fotos ist jetzt auch Bestandteil der Ausstellung »Clara Mosch und frühe Kunstaktionen in der DDR« im Kunstverein Ost (KVOST) in Berlin. Der widmet sich seit einigen Jahren der Kunst aus Osteuropa. Zu Osteuropa zählt Kurator und Gründer Stephan Koal selbstverständlich auch die einstige DDR.

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Die von 1977 bis 1982 bestehende Produzentengalerie und Künstlergruppe Clara Mosch stand schon länger auf seiner Agenda. »Bei der Vorbereitung für die Ausstellung fiel mir ein Zettel aus den Anfangszeiten des Kunstvereins in die Hände mit den sechs Projekten, die ich unbedingt machen will. Darunter war Clara Mosch«, erzählt Koal »nd«. Jetzt, ein paar Jahre später, steht die Schau. Einige Objekte sind zu sehen, wie etwa der »Leussow-Koffer«. Er ist ein Relikt der Kunstaktion »Leussow Recycling«, durchgeführt 1977 auf einem frisch gerodeten Waldstück. Die Künstler*innen stellten Werke aus Holz her. Zum Ende der Aktion wurden die Werke verbrannt. Die Asche gehört jetzt zum Inhalt des Koffers, ist in Glasampullen gelagert.

Die Aktion weist auf die Vergänglichkeit allen Lebens hin. Sie propagiert zugleich Rohstoffkreisläufe und Wiederverwertung. Überhaupt war der Gruppe ein sensibles Verhältnis zur Natur wichtig. Das führte auch zu spektakulären Aktionen wie dem »Bäume Verbinden« 1983. Im Thüringer Wald verbanden Mitglieder von Clara Mosch die kahlen Äste von Bäumen mit Mullbinden. Es war die Zeit des Waldsterbens. Die kahlen Bäume waren ein Zeichen dafür, die Mullbinden ein symbolischer Versuch der Heilung.

Vor allem solche Aktionen sind Bestandteil der aktuellen Ausstellung. Koal hebt die Parallelen zur Gegenwart hervor. Wer sich heute fürs Klima auf den Asphalt klebt, steht auch in der Tradition jener, die vor 40 Jahren Bäume verbanden. Die Aktionen sind nur radikaler geworden.

Clara Mosch gründete sich 1977 zunächst als Produzentengalerie, also als eine von Künstlern geführte und unabhängig vom offiziellen Kunstbetrieb agierende Galerie. Geradezu genial mutet die Personalisierung an. Im Gründungsjahr erschien ein Zeitungsartikel mit der Frage: »Wer ist Clara Mosch?«. Sogar ein Pass wurde auf Clara Mosch ausgestellt, mit Namen, Geburtsdatum und Bild. Als Passfoto diente ein verhüllter Frauenkopf.

Der Name wurde aus den Nachnamen der fünf Gründer*innen gebildet: Von Carlfriedrich Claus stammt das »CLA«, von Thomas Ranft und Dagmar Ranft-Schinke das »RA«, von Michael Morgner »MO« und von Gregor-Torsten Schade schließlich »SCH«. Die Künstler*innen verfolgten selbst sehr unterschiedliche künstlerische Ansätze. Die gaben sie auch nicht in der Zeit als Clara Mosch auf – versuchten sich aber dennoch an kollektiver Kunstproduktion. So schufen sie gemeinsame Radierungen, bei denen eine Person die ersten Striche setzte und die anderen dann ergänzten. »Tempe« wurden diese Arbeiten genannt. Sie orientieren sich an literarischen Verfahren, bei denen immer neue Autor*innen ersten Worten und Sätzen neue hinzufügen. Einige Tempes sind auch in der Ausstellung zu sehen. Sie laden als kleine Wimmelbilder dazu ein, die individuellen Linienführungen der einzelnen Mosch-Künstler*innen zu identifizieren.

Ihr Hauptaugenmerk legt die aktuelle Ausstellung jedoch auf die Aktionen. Sie schlagen mit ihrer Betonung der Verletzlichkeit von Natur eine beeindruckende Brücke zur Gegenwart. Die Dokumentation der Aktionen enthält zudem eine brisante Komponente. Denn nach Mauerfall stellte sich heraus, dass der Dokumentarfotograf Ralf-Rainer Wasse, der die Gruppe begleitete, über viele Jahre lang nicht nur Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen war. Er war sogar regelrecht angestellt, um die Aktionen von Clara Mosch zu dokumentieren und die Künstler*innen und ihr Umfeld auszuhorchen. Akten belegen ein monatliches Salär von 400 Mark, damals knapp die Hälfte eines durchschnittlichen Monatseinkommens in der DDR.

Wasse selbst war ein durchaus talentierter Fotograf und Gestalter. Er entwarf auch Plakate für Clara Mosch. Aus seinen Fotos lässt sich nicht herauslesen, ob er vornehmlich als künstlerischer Dokumentarist den Auslöser bediente oder als bezahlter Aufzeichner des Sicherheitsapparats. Auch das ist ein brennend aktueller Aspekt. Denn auch bei Informationen, die heute in die globalen Kommunikationssysteme eingespeist werden, ist nicht immer leicht zu entscheiden, durch welche geheimdienstlichen Mühlen sie zuvor gegangen sind und wie sie, um Machtinteressen zu dienen, zugerichtet wurden. Die Austellung »Clara Mosch und die frühen Kunstaktionen in der DDR« offeriert einen faszinierenden Gang durch Zeiten und Welten.

bis 30.7., Berliner Kunstverein Ost, Leipziger Straße 47, Berlin

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