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Wie die AfD den Ossis schmeichelt

David Begrich über Gründe für die »Normalisierung« der rechtsextremen Partei in Ostdeutschland

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Die AfD schafft es besser als andere, auch politikferne Zielgruppen anzusprechen – und füllt so Marktplätze wie hier 2019 in Oranienburg
Die AfD schafft es besser als andere, auch politikferne Zielgruppen anzusprechen – und füllt so Marktplätze wie hier 2019 in Oranienburg

In Brandenburg verpasste die AfD kürzlich haarscharf ihren ersten Landratsposten. Sie sprachen danach von einem »Wetterleuchten«. Wovon kündet es?

Interview

David Begrich, geboren 1972 in Erfurt und studierter Theologe, ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Verein Miteinander in Magdeburg und seit vielen Jahren einer der profundesten Kenner der extremen Rechten vor allem in Ostdeutschland.

Der Tag, an dem die AfD in Ostdeutschland einen Landrat oder Oberbürgermeister stellt, ist nicht mehr fern. Sie hielte dann in der institutionellen Demokratie einen Zipfel der Macht in der Hand. Auf diese Situation sollte man sich rechtzeitig vorbereiten.

Sachsens AfD-Chef Jörg Urban nennt einen Erfolg bei Bürgermeister- oder Landratswahlen den »Durchbruch«. Ist das so?

Es wäre zumindest ein wesentlicher Schritt hin zur weiteren Etablierung der AfD. Die Normalisierung der AfD zu einer rechtsextremen Partei in Ostdeutschland halte ich für abgeschlossen. Manche denken, eine weitere Radikalisierung der AfD könne die Partei unpopulärer machen. Das ist Augenwischerei.

Wenn ein AfD-Landrat nur eine Frage der Zeit ist: Starren wir nun wie das Kaninchen auf die Schlange?

Man muss überall, wo die Gefahr besteht, dafür eintreten, dass es nicht passiert. Da sind alle demokratischen Parteien gefragt. Aber man sollte auch vorbereitet sein, um im Fall der Fälle nicht aus allen Wolken zu fallen. Das heißt auch darüber nachzudenken, welche Folgen das für gesellschaftliche Minderheiten hat. Viele sagen ja hinter vorgehaltener Hand: Soll die AfD doch mal zeigen, was sie kann. Darauf würde ich ungern warten. Die Folgen für soziokulturelle Zentren, Theater, Minderheiten werden einschneidend sein.

Sie sprechen von einer Normalisierung der AfD explizit in Ostdeutschland. Welche Rolle spielt dafür die Debatte über den Osten als benachteiligte Region und Ostdeutsche als Opfer der Transformation, wie sie Bücher von Dirk Oschmann und Katja Hoyer gerade wieder befeuern?

Die AfD hat ein eminentes Interesse, ostdeutsche Identitätsdiskurse zu okkupieren. Björn Höcke und Alexander Gauland spielen schon lange auf der Klaviatur der ostdeutschen Mentalität und Erfahrungen. Das funktioniert, und zwar deshalb, weil zum einen bestimmte Missstände auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit nicht erledigt sind, zum Beispiel beim Rentenrecht. Zum anderen gibt es eine politische Leerstelle. Die Zeiten, da sich die PDS um das Thema kümmerte, sind vorbei. Die AfD verknüpft dabei sehr geschickt die Frage der Lebensleistungen mit einem regional-nationalistischen Stolz-Diskurs. Höcke & Co. schmeicheln den Leuten und sagen: Ihr habt das Land aufgebaut, und was ist der Dank?! Man schaut auf euch als Ossis herab. In einem zweiten Schritt wird das
verbunden mit der Abwertung jener, die nicht schon 40 Jahre hier leben. Und viele Leute hören das offenbar gern.

Ostdeutsche Lebensleistungen würdigen wollten auch andere, etwa die sächsische SPD-Ministerin Petra Köpping. Die Resonanz darauf war augenscheinlich geringer. Fehlte den Leuten, drastisch gesagt, die Abwertung der Migranten?

Die Zustimmungsbereitschaft zu rassistischen Einstellungen ist im Osten hoch. Für viele ist das also ein Thema. Es ist ja offenkundig, dass die Umfragewerte der AfD genau in dem Moment wieder steigen, in dem ihr Leib- und Magenthema Flüchtlinge in Politik und Medien wieder bestimmend ist. Da gelingt es ihnen, anders als bei Corona, eine Diskurshoheit zu erringen. Ein konstantes Element im Osten ist zudem die Verknüpfung mit anti-westlichen Ressentiments, indem die AfD sagt: So wie in den Großstädten im Westen soll es hier nie werden.

Manche kritisierten die einst zum Beispiel von Köpping angestoßene Debatte, weil sie im Osten das Gefühl der unverschuldeten Benachteiligung befördere, das jetzt die AfD instrumentalisiert.

Der Ansatz von Köpping, das Thema zu gestalten und zu befrieden, war richtig, aber politisch nicht konsequent umgesetzt; der vom Bund aufgelegte Härtefallfonds ist eben nur eine kleine Lösung. Er richtete sich zudem an die Generation, die heute ab Mitte 60 ist. Wir sehen aber, dass die dramatischen Erfahrungen der Transformation auch bei Jüngeren extrem präsent sind. Dafür gibt es im Westen kein Verständnis.

Das Gefühl der Benachteiligung wächst sich, anders als mancher hoffte, nicht aus.

So ist es, und darin begründet sich der Erfolg des Buches von Dirk Oschmann. Man kann sagen: Es ist ein Wutbuch, es pauschalisiert, es ist einseitig. Aber es wiederholt eben auch all das, was seit 30 Jahren evident ist und bisher nicht abgestellt wurde. Die Unterrepräsentanz der Ostdeutschen in Führungspositionen ist ja nur ein Beispiel von vielen. Und Lesungen aus dem Buch zeigen: Die Leute haben das Bedürfnis, ihre Geschichten zu erzählen. Köpping hat versucht, das anzustoßen. Aber es hat zu wenig Veränderung bewirkt, und irgendwann war das Thema von der Bildfläche verschwunden. Mit Oschmann und Hoyer wird das nicht anders sein, und zwar weil es sich, wenn man auf die Bundesrepublik als Ganzes schaut, um Exoten handelt, die aus einer zwar interessanten, aber eben exotischen Region berichten. Irgendwann wird man sich wieder der
Normalität West zuwenden.

Und die einzige, die dann weiter über die Probleme des Ostens redet, ist die AfD?

Sie macht, was sie am besten kann: Themen reiten, von denen sie glaubt, dass sie auf der Straße liegen. Dabei geht es ihr ja nicht um eine profunde Beschäftigung mit dem Thema. Sie greift Schlagworte auf und münzt sie für sich um.

Müssen wir uns damit arrangieren, dass der AfD im Osten ein Viertel der Wähler nachläuft?

Es gibt keine Garantie, dass sie ihre Wählerschaft immer beieinander hält. Die Kernklientel schätze ich auf 10 bis 15 Prozent. Alles darüber hinaus muss stets neu mobilisiert werden, vor allem unter Nichtwählern. Da gibt es keinen Automatismus. Die AfD schafft es aber besser als andere, politikferne Zielgruppen anzusprechen. Auch das ist ein Baustein ihres Erfolgs.

Derzeit ist sie im Umfragehoch. Im Jahr 2024 sind Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, also drei Bundesländern, die schon bisher AfD-Hochburgen sind. In allen hat sie Chancen, stärkste Partei zu werden. Was würde das bedeuten?

Es bereitet mir Sorge. Manche sagen ja: In Italien oder bei der FPÖ in Österreich sieht man, dass Rechtsradikale, wenn sie an der Macht sind, doch nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen können. Das mag stimmen. Aber die Veränderung in der Gesellschaft sind für Minderheiten dennoch derart gravierend, dass ich denke: So darf die Zukunft unserer demokratischen Kultur nicht aussehen.

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