- Politik
- Lohnkämpfe in Großbritannien
Anti-Streik-Gesetz auf dem Weg
Britische Regierung will Streikrecht einschränken und damit die Gewerkschaften schwächen
Es ist gar nicht so lange her, da wurden Krankenpfleger als Helden gefeiert. Während der Pandemie überboten sich britische Regierungsminister gegenseitig mit Lobgesängen für die Angestellten im staatlichen Gesundheitsdienst National Health Service (NHS). Jede Woche traten die Politiker vor ihre Haustür und beklatschten die Pfleger enthusiastisch – und besonders gern ließen sie sich dabei für das Fernsehen filmen.
Aber seit die NHS-Angestellten im Herbst damit begannen, für ihre Arbeit einen höheren Lohn zu fordern – und dafür zu streiken –, ist damit Schluss. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften werden als »unvernünftig« zurückgewiesen, streikende Pflegerinnen und Pfleger werden beschuldigt, die »Sicherheit der Patienten zu gefährden«.
Dabei ist der Gesundheitsdienst in den vergangenen Jahren von den konservativen Regierungen regelrecht kaputtgespart worden. Die Gehälter sind niedrig und Zehntausende Stellen bleiben unbesetzt, was die Überlastung der Beschäftigten zur Folge hat. Ihre Streiks richten sich auch gegen die Misere des NHS. Neben höheren Löhnen fordern sie faire Arbeitsbedingungen und eine gute Gesundheitsversorgung.
In den vergangenen Monaten hat sich die Regierung von Rishi Sunak daran gemacht, die Gewerkschaften an die Kandare zu nehmen: Die bereits sehr restriktiven Streikgesetze sollen weiter verschärft werden.
Die Tory-Regierung plant, Arbeitsniederlegungen in »kritischen Sektoren« künftig einzuschränken, indem sie einen Minimalbetrieb vorschreibt. Angestellte, die dennoch die Arbeit verweigern, können entlassen werden. Kritiker sprechen vom »Feuert-die-Pfleger-Gesetz«. Die Regierung hat versucht, die Vorlage in großer Eile durchs Parlament zu pauken. Am Montag wurde das Gesetz erneut im Unterhaus debattiert, es steht kurz davor, abgesegnet zu werden.
Das Anti-Streik-Gesetz soll »die Wirkung von Streiks auf das Leben und den Lebensunterhalt der Öffentlichkeit einschränken«, begründet es die Regierung. Konkret bedeutet das: Bei Ausständen in den systemrelevanten Sektoren Gesundheits- und Transportwesen, Feuerwehr, Schulen und Grenzschutz muss bei Arbeitsniederlegungen ein bestimmter Betrieb beibehalten werden. Was diese »minimalen Standards« genau sind und wer trotz Streik zur Arbeit gehen muss, das soll jeweils von den zuständigen Ministern festgelegt werden. Arbeitgeber könnten Angestellte gezielt auffordern, als Streikbrecher aufzutreten.
Die Regierung behauptet zwar, dass das Gesetz nicht am Streikrecht rütteln werde – aber Rechtsexperten, Gewerkschaften und auch gemäßigte Tories sind sich einig: Es ist eine drastische Verschärfung, die sich nicht mit den bürgerlichen Rechten und demokratischen Prinzipien vereinbaren lässt.
Im März schrieb ein überparteilicher Parlamentsausschuss, dass die Gesetzesvorlage der Versammlungsfreiheit widerspreche und »nicht gerechtfertigt« sei. Die Bürgerrechtskampagne Liberty spricht von einem »bewusst provokativen, undurchführbaren und möglicherweise rechtswidrigen Versuch, das Streikrecht auszuhöhlen«.
Scharfe Worte hörte man auch am Montagabend, als sich Mitglieder zahlreicher Gewerkschaften zu einer Kundgebung vor dem Parlament in London versammelten, um gegen das Gesetz zu protestieren. Mick Lynch, der prominente Generalsekretär der Transportgewerkschaft National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT), stellte schon einmal klar, dass er und seine Mitglieder überhaupt nicht vorhaben, sich dem Gesetz zu fügen. »Wir werden nicht zulassen, dass unsere Mitglieder entlassen oder diszipliniert werden«, sagte er. Für den Fall, dass das Gesetz durchkommt, ruft Lynch zu einer »Massenkampagne des zivilen Ungehorsams« auf.
Unter dem Druck der öffentlichen Meinung hatte das Oberhaus versucht, die schärfsten Bestimmungen der Vorlage abzumildern. Abgeordnete der sozialdemokratischen Labour-Partei und auch der Liberaldemokraten hatten das Gesetz beispielsweise so abgeändert, dass Angestellten nicht mehr die Entlassung droht, wenn sie den Anweisungen ihres Arbeitgebers zuwiderhandeln. Ein anderer Änderungsantrag läuft darauf hinaus, dass Gewerkschaften nicht mehr ihre Mitglieder dazu aufrufen müssen, ihren eigenen Streik zu brechen.
Das Oberhaus stimmte diesen Änderungen zwar zu – aber dank der Tory-Mehrheit schmetterte das Unterhaus am Montagabend fast alle Korrekturen an der Novelle ab. Die Vorlage könnte noch einige Male zwischen den beiden Kammern hin- und hergeschoben werden. Viel ändern dürfte sich aber nicht mehr. Es ist also gut möglich, dass das Gesetz in seiner derzeitigen Form durchkommt.
Dass es die Regierung mit dem Gesetz so eilig hat, liegt auch daran, dass die zahlreichen Arbeitskämpfe unvermindert weitergehen. Das liegt allerdings vor allem an den in Großbritannien drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten.
Mit manchen Gewerkschaften wurde zwar mittlerweile eine Einigung erzielt, etwa mit Teilen der NHS-Belegschaft. Den Pflegern hat die Regierung eine Lohnerhöhung von rund fünf Prozent plus eine einmalige Geldsumme für das vergangene Jahr angeboten. Einige Pflegegewerkschaften haben das Angebot angenommen.
Andere Gewerkschaften hingegen fordern weiterhin mehr, darunter auch das mitgliederstarke Royal College of Nursing. Die Gewerkschaft hat eine neue Abstimmung unter ihren Mitgliedern begonnen, um das Streikmandat um ein halbes Jahr zu verlängern. Auch die Assistenzärzte und die Eisenbahnangestellten haben für Juni bereits weitere Streiks angekündigt.
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