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  • Mordanschlag von Solingen

Asylrechtseinschränkung: Die Verantwortlichen sitzen im Bundestag

Drei Tage vor dem Anschlag in Solingen wurde das Asylrecht in Deutschland massiv eingeschränkt. Die Entrechtung wurde 1993 sprachlich vorbereitet – und wird es auch heute

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Sprache, Recht, Gewalt: All das richtete sich in den 90er Jahren gegen Asylsuchende und Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Am 29.05.1993 wurden fünf Mitglieder der Familie Genç ermordet. Demonstrierende zeigen ihre Familienfotos.
Sprache, Recht, Gewalt: All das richtete sich in den 90er Jahren gegen Asylsuchende und Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Am 29.05.1993 wurden fünf Mitglieder der Familie Genç ermordet. Demonstrierende zeigen ihre Familienfotos.

Ich habe in der Badewanne Gardinen gewaschen», erinnert sich Hatice Genç an den Tag, als ihr Haus in der Nacht zum 29. Mai 1993 von Neonazis in Brand gesetzt wurde und zwei ihrer Töchter und drei weitere Familienangehörige ermordet wurden. Die Überlebenden leiden bis heute an körperlichen und seelischen Wunden. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) weigerte sich damals, wie auch bei dem Anschlag in Mölln ’92, an der Trauerfeier für die Opfer teilzunehmen. Der Kanzler habe «weiß Gott andere wichtige Termine» und wolle keinen «Beileidstourismus», ließ er seinen Sprecher ausrichten.

Nur drei Tage vor den Morden in Solingen hatte eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten im Bundestag für den sogenannten «Asylkompromiss» gestimmt, das den Grauen der Nazi-Zeit geschuldete deutsche Grundrecht auf Asyl wurde nahezu abgeschafft. Der Satz «Politisch Verfolgte genießen Asylrecht» galt nicht mehr, wenn eine Person dieses Recht schon in einem angrenzenden Staat in Anspruch nehmen könnte.

Dass Anfang der 90er mehr Menschen nach Deutschland kamen, hatte einiges mit dem Fall des «Eisernen Vorhangs» zu tun, den die Bundesregierung begrüßte. Unter den Asylsuchenden 1992 waren zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Der Zerfall der Sowjetunion führte Hunderttausend Spätaussiedler*innen in die Bundesrepublik. Hinzu kam, dass Gastarbeiter*innen, die nach dem Anwerbestopp 1973 vielerorts nicht mehr willkommen waren, ihre Familien nachholten. Die Stimmung in der Bundesrepublik schlug zunehmend in Feindseligkeit und Gewaltbereitschaft gegen Eingewanderte und Schutzsuchende um.

Die Union, mit kräftiger Unterstützung des Springerverlags, schürte das mit einer beispiellosen Hetzkampagne, deren Inhalte hier nicht wiederholt werden sollen. Der damalige CDU-Innenminister Rudolf Seiters sagte – ausgerechnet auf einer Pressekonferenz zu den Progromen in Rostock-Lichtenhagen, für die der Bundespräsident im vergangenen Jahr eine Mitverantwortung der Politik einräumte: «Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben.»

Die Rede vom «Asylmissbrauch» war Fake News. Die Konservativen argumentierten damit, dass viele Asylsuchende in Deutschland blieben, obwohl sie kein Asylrecht nach dem Grundgesetz hätten. Unter den Tisch fallen ließen sie dabei, dass es neben dem Schutz für politisch Verfolgte ein Recht auf einen Flüchtlingsstatus, subsidiären (behelfsweisen) Schutz sowie nationale Abschiebeverbote gibt. Die Basis dafür sind bis heute die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, die im deutschen Asylgesetz (sic!) umgesetzt sind.

Gegenwärtig streben die EU-Innenminister*innen eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) an, die es Menschen nahezu unmöglich machen würde, diese Rechte zu beanspruchen. Wieder werden die rechtlichen Verschärfungen von einem diskursiven Schwenk der Regierung vorbereitet. Besonders deutlich war dies nach den Angriffen auf Beamte in der Berliner Silvesternacht zu beobachten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von «gewaltbereiten Integrations-Verweigerern», Jens Spahn stellte einen Zusammenhang mit «ungeregelter Migration» her, eine FDP-Bundestagsabgeordnete sprach von «Überfremdung» – übrigens Unwort des Jahres 1993.

Ein halbes Jahr später ist die angeblich «irreguläre» Migration zum geflügelten Wort der Bundesregierung geworden. Auch dies Fake News, denn für Asylsuchende ein Asylantrag nach der Einreise der reguläre Weg. Plötzlich will FDP-Finanzminister Christian Lindner Geld für – erwiesenermaßen nutzlose – Grenzzäune ausgeben, Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck, der 2019 noch Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern evakuieren wollte, hat nichts mehr gegen Haftlager und Nancy Faeser, die zum Amtsantritt Rechtsextremismus als größte Bedrohung der Demokratie bezeichnete, will zusammen mit der europäischen Rechten die Grenzen dicht machen: «Deutschland ist ein wichtiger Partner bei der Bekämpfung von Asylmissbrauch», freute sich der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Donnerstag. Da ist es wieder, dieses Wort.

Kommenden Montag wird der Bundespräsident fünf Menschen betrauern, die vor 30 Jahren in Deutschland von Nazis ermordet wurden, beflügelt von geistiger Brandstiftung aus Politik und Medien. Auch gegenwärtig gibt es Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, Proteste und Gewalt gegen Asylsuchende. Bis jetzt sind keine Toten zu beklagen. Doch die sprachliche und juristische Entrechtung Schutzsuchender durch die Politik geht weiter. Am Freitag sind drei Geflüchtete vor Griechenland ertrunken. Sie haben keine eindeutig identifizierbaren Mörder wie die Opfer von Solingen. Doch die Mitverantwortlichen sitzen in beiden Fällen im deutschen Bundestag.

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