Kirgistan: Sommertour zum Schneeleoparden

Der Schneeleopard ist eine der seltensten Raubkatzen der Erde – in Kirgistan können Hobby-Wissenschaftler helfen, die Tiere zu erforschen

  • Fabian von Poser
  • Lesedauer: 5 Min.
Schneeleoparden sind in freier Wildbahn kaum noch anzutreffen. Nur noch 6600 der scheuen Raubkatzen gibt es weltweit, viele auch in Zoos.
Schneeleoparden sind in freier Wildbahn kaum noch anzutreffen. Nur noch 6600 der scheuen Raubkatzen gibt es weltweit, viele auch in Zoos.

Auf einem eisigen Grat auf 3950 Metern Höhe balancieren drei Männer über das Schiefergestein. Dicht vor ihnen fällt das Tien-Shan-Gebirge steil zum Ashutor-Gletscher ab. Auf einem Felsen über dem Gletscher machen sie Halt. Aus seinem Rucksack zerrt einer der drei eine 10 mal 20 Zentimeter große Plastikbox. Mit einem Gummizug befestigt er sie an dem Felsen. Es ist eine Kamerafalle, funktionstüchtig bis minus 50 Grad. Im Visier: eine der geheimnisvollsten Raubkatzen der Erde.

Tipps
  • Es gibt mehrere Organisationen, die Mitforscherreisen
    anbieten. Bei Biosphere Expeditions kostet die 14-tägige Schneeleoparden-Expedition 2840 Euro. Der Flug kommt dazu. Im Angebot sind drei Termine im Juli und August 2023. www.biosphere-expeditions.org
  • Auch Earthwatch hat zahlreiche Forscherreisen im Programm. www.earthwatch.org

    Willkommen im Reich des Schneeleoparden: Das Tien-Shan-Gebirge oder die Himmelsberge, wie sie die Einheimischen nennen, sind das ideale Terrain für eine der scheuesten Raubkatzen überhaupt. Das seltene Tier, das kaum ein Mensch je zu Gesicht bekommt, durchstreift eisige Höhen zwischen 3000 und 5500 Metern, um Murmeltieren, Sibirischen Steinböcken und Riesenwildschafen nachzustellen. Nur wie lange noch? Das ist die Frage, denn die näher rückende Zivilisation, illegale Jagd nach Fellen und Knochen, verzweifelte Hirten und die Klimaerwärmung machen der seltenen Raubkatze zu schaffen.

    Seit einiger Zeit schon können Hobby-Wissenschaftler helfen, das Leben der Tiere zu erforschen und dadurch dazu beitragen, sie zu schützen. Die gemeinnützige Organisation Biosphere Expeditions bietet Freizeitforschern Programme an, bei denen die Teilnehmer den Wissenschaftlern bei der Datenbeschaffung helfen. Und das ist wichtig, denn nur, wenn sie genügend Daten über das Leben der Tiere haben, können sie die Raubkatzen schützen, erläutern die Wissenschaftler immer wieder.

    Menschenleere Täler

    Knapp zwei Wochen lang begleiten wir, eine Gruppe von zwölf Freiwilligen aus Deutschland, England und den USA, die Forscher bei ihrer Arbeit. Unser Camp besteht aus einigen Jurten. Wir schlafen dick eingemummelt in unsere Schlafsäcke in Zelten. Früh am Morgen starten wir unsere Erkundungstouren durch die menschenleeren Täler des Tien-Shan-Gebirges. Wir machen mit den Ferngläsern am Fuß der Felsgrate Schafe und Steinböcke aus und hören die Warnrufe der scheuen Murmeltiere. Bei unserer Arbeit erfassen wir jede erdenkliche Spur, nehmen Kotproben und stellen gemeinsam mit den Rangern Kamerafallen auf.

    Bereits seit mehr als 20 Jahren können Laien in zahlreichen Ländern der Erde gemeinsam mit Profis forschen. Gegründet wurde Biosphere Expeditions 1999 von Dr. Matthias Hammer. Sein Biologiestudium absolvierte Hammer an der Universität Oxford. Dort entdeckte er auch seine Leidenschaft für die Feldforschung. Heute bietet sein Unternehmen Expeditionen in knapp ein Dutzend Länder an – Wölfe in Deutschland, Meeresschildkröten in Costa Rica, Leoparden in Südafrika und Schneeleoparden in Kirgistan. Besondere Kenntnisse brauchen die Expeditionsteilnehmer nicht. Alles, was nötig ist, bekommen sie bei der Einführung vermittelt.

    In Kirgistan arbeitet Biosphere Expeditions eng mit der Naturschutzorganisation Nabu zusammen, die seit Jahren versucht, die seltenen Raubkatzen zu schützen. »Wir sind mit unserer Kenntnis über den Schneeleoparden und sein Verbreitungsgebiet erst am Anfang«, sagt Amantur Talgartbek, der die Freiwilligen-Expeditionen begleitet. Talgartbek gehört der Anti-Wilderer-Einheit BARS an, die um die Jahrtausendwende mithilfe des Nabu ins Leben gerufen wurde. »Ziel ist es, mit den gesammelten Daten ein Gutachten über den Schneeleoparden und seine Beutetiere zu erstellen. Je größer die Datenbasis, desto aussagekräftiger sind die Forschungen.«

    Kein Leopard weit und breit

    Jeden Morgen laben sich unsere Augen beim Blick aus dem Zelt an den schroffen Gipfeln und den grünen Wiesen darunter. Die Wanderungen über die zu dieser Jahreszeit blumenbedeckten Hochweiden führen durch grandiose Landschaften. Nur mit einer Schneeleoparden-Sichtung will es nicht klappen. Kein Wunder: In Kirgistan, wo Mitte der 1980er Jahre noch bis zu 1400 Schneeleoparden lebten, schätzen die Wissenschaftler die Population heute auf nicht mehr als 350 Tiere. In den 13 Ländern, in denen Schneeleoparden leben, soll es insgesamt nur noch 6600 Tiere geben.

    Das Problem: Ein einziges Fell bringt auf dem Schwarzmarkt 20 000 Euro. Die Knochen sollen laut der traditionellen chinesischen Medizin helfen, Entzündungen zu hemmen und Schmerzen zu lindern. Dazu kommt: Es ist mühsam und langwierig, einen Steinbock oder ein Riesenwildschaf zu erbeuten. Stunden-, ja manchmal tagelang sitzt ein Leopard in seinem Ansitz – und nichts rührt sich. Wird der Hunger zu groß, rücken die Lämmer, Kälber und Fohlen der Hirten in den Fokus. Immer wieder besuchen wir auf unseren Wanderungen Hirten, die ihre Tiere auf die Sommerweiden getrieben haben, um ihre Sorgen anzuhören und Zwischenfälle in die vorgefertigten Bögen der Wissenschaftler einzutragen.

    Die Hirten sind die Verlierer

    An einem dieser Tage treffen wir Talantbek Bayaliev. Vor einigen Tagen hat ein Schneeleopard eines seiner Pferde gerissen. Für Bayaliev ist der Tod seines Tieres nicht nur ein emotionaler, sondern vor allem ein wirtschaftlicher Verlust. Ein Pferd kostet 20 000 kirgisische Som, fast 210 Euro. Viel Geld in einem Land, in dem das monatliche Durchschnittseinkommen wenig mehr als 300 Euro beträgt. Auch deswegen betreiben die Wissenschaftler ihre Forschung, denn sie arbeiten an Lösungen für die lokalen Hirten. »Durch die auf unseren Expeditionen gewonnenen Erkenntnisse können wir hoffentlich schon bald Maßnahmen treffen, die für beide Seiten gut sind – für Mensch und Tier«, sagt BARS-Ranger Talgartbek.

    Man kann wochenlang durch die menschenleeren Täler des Tien-Shan-Gebirges stapfen, ohne einen Schneeleoparden zu sehen. Irgendwann findet man vielleicht eine Spur, mit etwas Glück sogar etwas Kot. Unser Ergebnis nach knapp zwei Wochen Feldforschung: einige unscharfe Bilder von Steinböcken, Schafen und Murmeltieren aus den Kamerafallen, eine Tüte voller Leoparden-Kot und die Fotos und GPS-Daten einer Spur. »Sie ist verhältnismäßig frisch, vielleicht sogar von diesem Sommer«, sagt Talgartbek, als wir zurück ins Camp kommen. Das sagt eigentlich alles über die seltene Raubkatze. Den Fund feiern Forscher und Hobbyforscher am Abend dennoch ganz ausgelassen mit reichlich kirgisischem Wodka.

    Hirte Talantbek Bayaliev bei einem Pferd, das von einem Schneeleoparden getötet wurde.
    Hirte Talantbek Bayaliev bei einem Pferd, das von einem Schneeleoparden getötet wurde.
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