- Berlin
- Klassische Musik
20 Konzerte beim 60. Choriner Musiksommer
Die Eintrittspreise für die günstigen Rasenplätze sind von fünf auf zwölf Euro erhöht
»Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,/ Und haben sich, eh man es denkt, gefunden«, dichtete Johann Wolfgang von Goethe. Wer schon mal beim Choriner Musiksommer war, kann das bestätigen. Schon der Weg dorthin führt durch charakteristische märkische Landschaften und endet in der Kühle der Klosterkirche oder auf dem Rasen im Innenhof des Klosters Chorin. Schon seit 60 Jahren gibt es die Konzerte des Choriner Musiksommers.
1963 entstanden aus einem Betriebsfest des Instituts für Forstwissenschaften Eberswalde, entwickelte sich der Choriner Musiksommer zu einem der größten Klassikfestivals in Ostdeutschland. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist heute genauso stolz darauf wie einst der Rat des Bezirks Frankfurt (Oder).
Waren es am Anfang vier Konzerte pro Saison, so gibt es 2023 vom 23. Juni bis zum 27. August 20 Konzerte, dazu ein »Geburtstagskonzert« am 25. August in der Märchenvilla Eberswalde. Es spielen etwa das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus, das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt und das Philharmonische Orchester Gorzów.
Dem künstlerischen Leiter Peter Sauerbaum ist es gelungen, dass zum ersten Mal Musiker aus allen drei Berliner Opernhäusern auftreten: die Orchester der Komischen Oper und der Deutschen Oper sowie Mitglieder der Staatskapelle. Neu in Chorin dabei sind die Lautten Compagney Berlin und das Dudelsack-Orchester »The Berlin Pipe Company«. Wieder zu Gast sind beispielsweise Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra, in großer Besetzung mit eigenen Kompositionen und neuen Arrangements.
Zur Eröffnung am 23. Juni (ausnahmsweise um 19 Uhr, alle anderen Konzerte beginnen um 15 Uhr) spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Leitung von Karina Cannelakis. Das Abschlusskonzert am 27. August übernimmt das Orchester der Komischen Oper unter Leitung von Peter Gülke, unter anderem mit »Vier letzten Liedern« von Richard Strauss sowie mit der Vierten von Johannes Brahms.
In der Festveranstaltung am 25. August wird an den Gründer des Choriner Musiksommers, Professor Gunther Wolff (1930–2013), erinnert. Das heutige Festival mit jährlich 20 000 bis 25 000 Besuchern fing ganz einfach an. »Machen Sie mal was mit Musik«, beauftragte Forstinstitutsdirektor Albert Richter den damaligen Oberassistenten Wolff mit der Vorbereitung eines Fests im Jahr 1962. Dann wurde es 1963 wiederholt, in das Kloster Chorin verlegt und von Jahr zu Jahr größer gestaltet. Einen nachhaltigen »Zwischenfall« gab es 1968, als die Szczeciner Sängerknaben wegen der plötzlichen Einführung von Visagebühren an der polnischen Grenze nicht kommen konnten. In seiner Not rief Wolff beim Berliner Sinfonieorchester an und das sagte sofort zu. Von daher rührt die Freundschaft mit dem heutigen Konzerthausorchester, das mit einer einzigen Ausnahme Jahr für Jahr in Chorin auftrat.
Naturgemäß waren viele Schwierigkeiten zu überwinden, zum Beispiel mit den Holzbänken, die die Feuerwehr nicht mehr gestatten wollte oder mit undichten Dächern und Fenstern. So stürzte einst das Regenwasser vor die Nordwestdeutsche Philharmonie. Oder bei Guy Braunstein, der mit den Berliner Symphonikern das Violinkonzert von Brahms spielte und nicht oft genug seinen Bogen nachspannen konnte, der in der feuchten Luft nachgab. 2012 wurde das Dach instandgesetzt. Ein Problem waren auch sowjetische Düsenjäger, die über das Kloster donnerten. Wolff sprach mit den Kommandeuren, und der Krach hörte auf.
Keine Kleinigkeit war und ist seit 1990 die Finanzierung des Musiksommers. In der DDR bezahlte der Staat. In der Bundesrepublik musste eine neue Basis geschaffen werden. Große Hilfe leisten die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Sparkasse Barnim, die Feuersozietät und andere Sponsoren. Das Land Brandenburg gewährt keine stabile Förderung, beteiligt sich aber mit 30 000 Euro. Zu 80 Prozent werden die Kosten aus den Eintrittsgeldern gedeckt. Die Ticketpreise betragen jetzt 12 bis 36 Euro – nach Darstellung des künstlerischen Leiters Peter Sauerbaum sind das im Vergleich mit anderen Musikfestivals sehr günstige Preise. Doch für das Einkommensniveau im Barnim sind die Summen kein Pappenstiel. Früher kostete der Rasenplatz, für den Zuhörer eine Decke oder einen Klappstuhl mitbringen müssen, nur fünf Euro. Die Konzerte sind gut besucht, oft ausverkauft. Aber man sieht die nicht, die es nicht mehr bezahlen können. Nach wie vor kommen 60 Prozent der Besucher aus Berlin. Wer nicht mit dem Auto anreist, wird mit einem Shuttle vom Bahnhof Chorin zum Kloster und zurück befördert.
choriner-musiksommer.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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