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  • Ausstellung »Dimensions. Digital Art since 1859«

»Den Arbeiten wird die politische Dimension genommen«

Derzeit läuft in Leipzig die Ausstellung »Dimensions« zu digitaler Kunst, gesponsert vom US-Unternehmen Palantir. Charlotte Eifler und Francis Hunger sind Teil einer Initiative, die sich dagegen positioniert

Wäre vielleicht in einem anderen Kontext interessanter: Die Installation »Urbanus Female« (2006) des südkoreanischen Künstlers Choe U-ram.
Wäre vielleicht in einem anderen Kontext interessanter: Die Installation »Urbanus Female« (2006) des südkoreanischen Künstlers Choe U-ram.

Charlotte Eifler und Francis Hunger, Sie kritisieren in einem offenen Brief, dass die US-Firma Palantir die Kunstausstellung »Dimensions« in den Leipziger Pittlerwerken sponsert. Fassen Sie doch für unsere Leserschaft einmal kurz zusammen: Was ist das Problem mit Palantir?

Eifler: Das Kerngeschäft von Palantir umfasst Datenanalyse und auch Überwachungstechnologien, die ethisch höchst problematisch sind. Das Unternehmen wird seit Längerem für seine Zusammenarbeit mit Regierungsbehörden in den Bereichen Überwachung, Strafverfolgung und Einwanderung kritisiert. Nicht nur bürgerliche Freiheiten, sondern auch Menschenrechte stehen also auf dem Spiel, wenn Palantir an Einfluss gewinnt.

Hunger: In den USA hat Palantir umfänglich mit der Trump-Regierung zusammengearbeitet. Die setzte unter anderem von der Firma hergestellte Software ein, um minderjährige Migrant*innen zu verfolgen und abzuschieben. In Europa testet Palantir in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden gerade die rechtlichen Rahmenbedingungen aus. Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar geurteilt, dass die polizeiliche Datenanalyse mithilfe von Palantir-Software, wie sie bis dahin in Hessen und Hamburg betrieben wurde, verfassungswidrig ist.

Welches Interesse könnte dieses Unternehmen an einem Medienkunst-Projekt haben?

Hunger: Mit dem Sponsoring soll, denken wir, der Diskurs über Künstliche Intelligenz möglichst abstrakt und unpolitisch gerahmt werden. Damit lenkt Palantir vom Datenhunger der eigenen Software ab. Zur Eröffnung der Ausstellung trugen übrigens Vertreter von Palantir und der Deutschen Telekom, dem zweiten Hauptsponsor, nicht nur ein kurzes Grußwort bei, sondern nahmen intensiv an einer inhaltlichen Diskussion teil. Da entsteht der Eindruck, dass es nicht hauptsächlich um Kunst, sondern um Lobbyarbeit geht.

In Ihrer Anfang Mai veröffentlichten Stellungnahme legen Sie auch dar, dass die »Dimensions«-Ausstellung vom Bonner Kulturmanager Walter Smerling hochgezogen wurde, der wegen ähnlicher Projekte mit unethischer Sponsorenwahl in Berlin nicht mehr willkommen ist. Wie konnte es dazu kommen, dass die Schau in die Pittlerwerke einziehen konnte? Wem gehören diese Fabrikgebäude eigentlich?

Eifler: Die Pittlerwerke gehören seit 2017 der Montis Real Estate Investmentgesellschaft. Deren Website listet deren Immobilien-Eigentum auf, das offenbar aus zwölf Gebäudekomplexen besteht. Sonst erfährt man nicht viel – nichts über den Vorsitz, die Anteilseigner oder die Firmenphilosophie. Ebenso wenig wird dort auf die Geschichte der ehemaligen Fabrik eingegangen.

Welche Geschichte?

Eifler: In unserem offenen Brief haben wir das gar nicht so sehr ausgeführt, aber die Pittlerwerke waren sehr mit dem NS verstrickt. Die 1989 vom Unternehmer Julius Wilhelm von Pittler gegründete Fabrik war einer der größten Werkzeughersteller für die Waffenproduktion im Zweiten Weltkrieg. Viele Menschen haben dort Zwangsarbeit geleistet. Leute, die zu schwach für die Arbeit waren, wurden ins KZ abgeschoben.

Hunger: Tatsächlich wird das, wie ich gerade lese, auf der Website der Pittlerwerke auch kurz angesprochen. Da steht: »[…] die Zeiten des Nationalsozialismus zeichneten sich jedoch als dunkles Kapitel in ihrer Geschichte ab.« Na gut, wie man das halt so macht: »dunkles Kapitel« und gut. Zwei Sätze insgesamt. Dann geht es schon darum, wie die Pittlerwerke nach dem Krieg von den Sowjets enteignet wurden.

Nun also Kunst an diesem Ort. Wie haben Sie eigentlich von »Dimensions« mitbekommen? Ihren Brief haben Sie ja Anfang Mai veröffentlicht, als das Ganze schon lief.

Eifler: Man konnte die Ausstellung eigentlich gar nicht nicht mitbekommen. Plakate dafür hängen überall – nicht nur in Leipzig, sondern auch in anderen Städten. Die müssen ein unglaublich großes Werbebudget haben. Wir wussten also schon länger davon, wollten uns die Ausstellung aber erst einmal ansehen, bevor wir uns dazu äußern.

Hunger: In der »Süddeutschen Zeitung« und in der »FAZ« gab es außerdem Vorab-Artikel, in denen darauf hingewiesen wurde, dass Walter Smerling jetzt diese Ausstellung für Leipzig entwickelt. Die Autoren dieser Texte haben spitzbekommen, dass Smerling nach seinen ebenso problematischen Ausstellungen in Berlin nun nach Leipzig ausgewichen ist. Wir vermuten stark, dass »Dimensions« eigentlich in der »Kunsthalle Berlin« auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof hätte stattfinden sollen.

Eifler: In Berlin gab es aber einen sehr gezielten Boykott dieser angeblichen öffentlichen Kunsthalle, die eigentlich ein privater Kunstraum von Walter Smerling und seinem Verein »Stiftung für Kunst und Kultur« war. Der Berliner Senat hat dann wegen des öffentlichen Drucks im letzten Jahr seine Unterstützung für Smerling zurückgezogen.

Gibt es denn noch andere Probleme mit Walter Smerling, abgesehen von seiner Sponsorenwahl?

Eifler: Die »Stiftung für Kunst und Kultur« hat im Grunde wenig mit einer Stiftung zu tun. Es wurden damit öffentliche Gelder gewonnen und für private Interessen genutzt. Dazu kommt, dass es bei Kunstprojekten dieser Größenordnung, die durch öffentliche Gelder finanziert werden, eigentlich Ausschreibungen geben muss und einen evaluierenden Fachbeirat. Smerling aber sucht sich die künstlerischen Positionen eigenständig aus. Schirmherr für die Ausstellung »Diversity United«, die Smerling 2021 in der »Kunsthalle Berlin« ausgerichtet hat, war übrigens Wladimir Putin. Öffentlich zur Diskussion gestellt wurde das nicht. Und das bei einer angeblich öffentlichen Kultureinrichtung. Schon dreist.

Kennen Sie als gut vernetzte Leipziger Künstler*innen eigentlich Leute, die gerade auf der »Dimensions«-Schau ausstellen?

Eifler: Persönlich kennen wir niemanden.

Interview


Charlotte Eifler ist Künstlerin und Filmemacherin und
unterrichtet derzeit an der HfG Karlsruhe im Bereich Medienkunst/Film. Francis Hunger arbeitet als Medienkünstler, Autor und Kurator und forscht momentan im Projekt »Training the Archive«.
Zusammen mit Su Yu Hsin, Gabriel S Moses, Alexa Steinbrück sind sie Erstunterzeichner*innen des offenen Briefes gegen die »Dimensions«-Ausstellung in den Leipziger Pittlerwerken. Als Künstler*innen und Lehrende arbeiten alle zu den Begleiterscheinungen von Digitalität. Gemeinsam sind sie im Netzwerk »Digital Critique Leipzig« aktiv.

Hunger: Aber es sind schon ein paar bekannte und hochkarätige Positionen der Medienkunst dabei. Das ist also keine Quatsch-Schau oder so. Und das ist auch nicht unsere Kritik.

Wie meinen Sie das?

Hunger: Es wurde uns unterstellt, wir würden behaupten, dass Palantir als Sponsor die Inhalte der Schau mitbestimmt hätte. Das sagen wir aber nicht. Wir denken, dass die drei Kurator*innen die Ausstellung unabhängig kuratiert haben. Es fällt nur auf, dass sie ziemlich reibungslos zusammengeht mit den Anliegen, die Palantir und auch die Deutsche Telekom als Firmen haben. 

Eifler: Die Schau läuft insgesamt unter dem Vorzeichen von Digitalität als rein visuellem Phänomen. Teile der dort ausgestellten Kunst wären sicherlich in einem anderen Kontext sehenswerter. Aber so, wie die Arbeiten derzeit in den Pittlerwerken gezeigt werden, wird ihnen die politische Dimension genommen.

Was heißt das konkret?

Eifler: Die Ausstellung versucht, die Geschichte der digitalen Kultur der letzten anderthalb Jahrhunderte zu erzählen, blendet dabei aber gesellschaftliche Problematiken, die damit einhergehen, völlig aus. Von Diskriminierungsformen innerhalb von Überwachungsmechanismen wie etwa Racial Profiling erfährt man da nichts. Es geht auch nicht um die geopolitisch organisierten, schlechten Arbeitsbedingungen technologischer Großkonzerne. Die miesesten Jobs werden ja meist von Menschen ausgeübt, die nicht in den westlichen Industrieländern leben und dafür sehr schlecht entlohnt werden, zum Beispiel Content-Moderator*innen oder Clickworker*innen. Ebenso wenig werden in der Ausstellung die ökologischen Folgen dieser Technologienutzung thematisiert.

Diese Entpolitisierung von Kunst geht gerade gegen den Trend, oder? Von der Documenta bis zur Berlin Biennale gab sich Kunst in den letzten Jahren ja oft ziemlich aktivistisch.

Eifler: Richtig, und natürlich gelingt nicht jeder politische Ansatz in der Kunst. Aber gerade in dem Feld von digital art oder sogenannter Medienkunst gibt es viele spannende Künstler*innen, die gesellschaftliche Rahmenbedingungen innovativ hinterfragen. Die Arbeiten treten dann teilweise auch aus der Kunstblase heraus, greifen zum Beispiel in die Wirtschaft ein.

Das Problem mit Palantir liegt auf der Hand. Aber ist Sponsoring von Kunst nicht sowieso verwerflich? Schließlich bedeutet das immer einen gewissen Verlust von Autonomie.

Hunger: Wenn es in Deutschland ein Grundeinkommen für Künstler*innen gäbe, wären wir darauf nicht mehr angewiesen. Unter den derzeitigen Bedingungen können wir als Künstler*innen aber nicht auf privates Sponsoring verzichten. Wir sind also nicht generell dagegen, aber bei der »Dimensions«-Ausstellung kamen einfach so viele Ebenen zusammen, dass wir das nicht so stehen lassen konnten.

Eifler: Tatsächlich gibt es ja auch Möglichkeiten der Förderung, die nicht gleich an eine Überwachungssoftware gekoppelt sind.

Haben Sie den Eindruck, mit Ihrem offenen Brief eine Diskussion angestoßen zu haben?

Eifler: Auf jeden Fall. Wir haben sehr viel Zuspruch von Leuten bekommen, die ähnliche Fragestellungen umtreiben und die Lust haben, mit uns zusammenzuarbeiten. Es haben sich auch einige Leute gemeldet, die eingeladen worden waren, bei Panels innerhalb der Ausstellung mitzuwirken, sich aber gegen eine Teilnahme entschlossen haben. Wir wollen uns nun solidarisieren und schauen, welche Möglichkeiten wir dadurch haben. Im Herbst wird es in Leipzig wahrscheinlich ein Symposium zu dem Thema geben.

Hunger: Die Resonanz war wirklich groß. Inzwischen haben wir über 800 Unterschriften, und wir haben natürlich auch geschaut, wer da unterschrieben hat. Es sind teilweise sehr spannende Leute aus dem Kulturbetrieb und der Wissenschaft dabei. Wir schätzen, dass ungefähr die Hälfte der Unterschriften aus Leipzig selbst kommt. Offensichtlich besteht in dieser Stadt das Bedürfnis, es zumindest infrage zu stellen, ob ein Sponsoring und Artwashing dieser Art gerechtfertigt ist.

»Dimensions. Digital Art since 1859«, bis zum 9. Juli, Pittlerwerke, Leipzig. Der offene Brief der Initiative findet sich unter www.artwashing-leipzig.de

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