TuS Makkabi gewinnt das Berliner Landespokalfinale

Als erster jüdischer Verein zieht Makkabi Berlin in die Hauptrunde des DFB-Pokals ein. Dort könnte es sogar gegen den FC Bayern gehen

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 6 Min.
Hoch hinaus: Trainer Wolfgang Sandhowe (o.) darf mit dem TuS Makkabi nächstes Jahr im DFB-Pokal spielen.
Hoch hinaus: Trainer Wolfgang Sandhowe (o.) darf mit dem TuS Makkabi nächstes Jahr im DFB-Pokal spielen.

Berliner Fußballfans haben die Qual der Wahl: Ob sie zu Fuß zum Lokalverein schlendern, in die Wuhlheide radeln oder mit den Öffentlichen zum Olympiastadion fahren – wer möchte, kann am Wochenende fast immer bei einem der mehr als 370 im Berliner Fußball-Verband (BFV) organisierten Vereine beim Kicken zuschauen. Auch Georg hat es an diesem Juni-Samstag in der Mittagshitze ins Stadion verschlagen, wobei das nicht ganz so geplant war: »Ich bin in der S-Bahn eingepennt. Ein paar Atzen von Union haben mich dort zufällig gesehen, geweckt und mit ins Mommsenstadion genommen«, sagt Georg. In der Nacht zu Samstag habe er in einer Diskothek an der Warschauer Straße aufgelegt, erzählt der DJ, und dann sei es »irgendwie ganz schön spät geworden«.

Georg ist eigentlich Fan von Union Berlin, allerdings spielen die Eisernen an diesem Tag gar nicht. Im Mommsenstadion in Berlin-Charlottenburg findet vielmehr das Berliner Landespokalfinale zwischen dem SV Sparta Lichtenberg und dem TuS Makkabi statt. Die beiden Amateurvereine spielen in diesem Endspiel nicht nur um den glitzernden Verbandspokal – sie bringen auch den sozialistischen Arbeiterfußball und den jüdischen Sport in Deutschland zurück auf die große Berliner Ballsportbühne.

Sparta Lichtenberg wurde 1911 gegründet. In dem Arbeiterverein waren mehrere bekannte Antifaschisten aktiv, darunter Werner Seelenbinder, Felix Tucholla und Erwin Nöldner. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Verein 1933 zerschlagen und auch Juden wurden nach und nach aus den Sportvereinen gedrängt, bis 1938 jüdische Klubs gänzlich verboten wurden. Der TuS Makkabi wurde zwar erst 1970 gegründet, könnte aber der erste deutsch-jüdische Verein sein, der kommende Saison in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals spielen darf, in die der Sieger des Berliner Endspiels einzieht.

Diese Teilnahme war in der Saison 2022/2023 immerhin mit Einnahmen von fast 210 000 Euro für die qualifizierten Klubs verbunden. Außerdem geht es in der Hauptrunde fast sicher gegen einen Erst- oder Zweitligisten. Für viele Amateurfußballer und die Fans ein Lebenstraum, mal gegen einen ganz großen Profiklub wie den FC Bayern, Borussia Dortmund oder eben Union Berlin anzutreten.

»Soweit sind wir noch nicht«, sagt Rainer Rabinowitsch, »wir müssen erst einmal gewinnen«. Er ist mit seiner Tochter Nurit ins Mommsenstadion gekommen, um Makkabi anzufeuern: »Wir sind eine jüdische Familie in Berlin und unterstützen gerne die Mannschaft.« Im Radio hätten sie von dem Spiel erfahren, erzählen die beiden, ehe sie sich auf die Suche nach zwei Sitzplätzen machen.

Das Stadion füllt sich so langsam, im Fanblock von Makkabi werden drei Fahnen am Zaun aufgespannt: die israelische, die deutsche und die Regenbogenflagge. Der jüdische Verein ist offen für Angehörige aller Völker und Religionen, weltanschauliche Toleranz ist in der Vereinssatzung festgehalten. Allein in der ersten Mannschaft spielen Männer aus 16 verschiedenen Ländern. Gelebte Vielfalt – doch so viel Spaß Fußballspielen in Berlin auch machen kann, gibt es auch heute noch eine bitterböse Realität auf den Sportplätzen und Straßen der Hauptstadt: Immer wieder ist der Verein antisemitischen Attacken ausgesetzt, wie zuletzt bei einem Spiel der A-Junioren im vergangenen November.

12:15 Uhr soll das Spiel starten, aber noch sind nicht alle Fans im Stadion. Andreas Käser und Christian Suffert sind unter den Wartenden am Einlass und navigieren sich auf dem Handy durch den Ticketshop. »Gibt es hier nicht die Möglichkeit, einfach eins zu kaufen?«, fragt Käser genervt. Tatsächlich gibt es die Eintrittskarten nur online zu erwerben, also probieren Käser und sein Kumpel es weiter am digitalen Schalter.

Die beiden fallen unter den vielen rot gekleideten Sparta-Fans und blau-weißen Makkabi-Anhängern auf: Käser trägt ein Trikot von Eintracht Frankfurt, Suffert eins von RB Leipzig. Beide Klubs spielen an diesem Samstag auch in Berlin, allerdings erst am Abend, wenn der deutsche Pokalsieger im Olympiastadion ermittelt wird. Seit 1999 fahren Käser und Suffert gemeinsam aus Zürich nach Berlin, um beim DFB-Pokalfinale dabei zu sein. »Die Bedingung ist, dass wir beide ein Trikot von einer der Mannschaften tragen müssen. Meistens tragen wir die gleichen, aber mit Leipzig ging das für mich nicht«, sagt Käser und lacht. Seit 20 Jahren besuchen beide zusätzlich auch das Berliner Landespokalfinale. »Heute sind wir für Sparta«, sagt Suffert, da jubelt sein Kumpel Käser an diesem Tag zum ersten Mal: Zwei kleine QR-Codes sind in seinem E-Mail-Postfach gelandet – die Eintrittskarten! Das Spiel kann losgehen.

13 Minuten nach Anpfiff kann Käser zum zweiten Mal jubeln. Underdog Sparta Lichtenberg geht nach einem Foulelfmeter durch Daniel Hänsch in Führung. Der frisch gekrönte Meister der Berlin-Liga ist auf dem Papier zwar schlechter als Makkabi, der Dritte der höherklassigen Oberliga, kann aber gut mithalten. Makkabi hat mehr vom Ball, doch die Angriffsbemühungen verteidigt der Lichtenberger Abwehrverbund konsequent vom Tor weg. Nach Ballgewinn setzt Sparta durch schnelles Umschaltspiel und hohe Chip-Pässe auf die beiden Flügelspieler außerdem immer wieder zu gefährlichen Kontern an. 4673 Zuschauer schauen dem Spektakel zu, die große Kulisse scheint eher den Turn- und Sportverein Makkabi zu verunsichern. Normalerweise kommen nicht mehr als 200 Leute zu den Heimspielen in der Oberliga. So geht die Mannschaft von Trainer Wolfgang Sandhowe mit einem 0:1-Rückstand in die Halbzeitpause.

Sandhowe war mal Cheftrainer beim 1. FC Magdeburg und hat als Co-Trainer von Galatasaray Istanbul sogar Europapokal-Erfahrung. Inzwischen ist er 69 Jahre alt, seit 2019 trainiert er Makkabi Berlin. Ein Mann, der lieber Jogging- als Maßanzug trägt. Dem wichtig ist, dass seine Spieler »nicht mit den Händen in den Taschen auf dem Platz stehen« und dass sie »malochen«. Und das tun sie mit Beginn der zweiten Hälfte plötzlich auch: Sie werfen sich in die Zweikämpfe, setzen die Lichtenberger unter Druck und erzielen durch Tim Häußler prompt den Ausgleichstreffer in der 51. Minute.

Danach flacht die Partie wieder ab. Lediglich ein Vorfall auf der Tribüne sorgt dafür, dass die Fans vor lauter Defensivfußball nicht einschlafen. Eine junge Frau in Makkabi-Klamotten rutscht beim Gang durch die Sitzreihen aus, kann den drohenden Sturz aber noch abwenden. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), der vom BFV für die Pokalübergabe eingeladen wurde und unmittelbar neben der Frau sitzt, erschrickt jedoch so sehr, dass er sein Getränk aufs marineblaue Jackett verschüttet.

Auf dem Feld bleibt es nach 90 Minuten beim 1:1. Es geht in die Verlängerung. Dort hat Makkabi am Ende die bessere Ausdauer und entscheidet die Partie spät durch ein Eigentor von Lichtenbergs Lukas Noack in der 118. Minute und einen Treffer von Stürmer Kiyan Soltanpour (120) für sich. Ein bedeutsamer 3:1-Sieg: 85 Jahre nach den Novemberpogromen und dem Verbot jüdischer Sportvereine zieht der erste jüdische Verein in die Hauptrunde des DFB-Pokals ein.

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