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Wenn Algorithmen in den USA Wähler suchen
Bei Wahlkämpfen in den USA wird die Verwendung der Künstlichen Intelligenz immer verbreiteter
Künstliche Intelligenz (KI) spielt im US-Wahlkampf längst eine wichtige Rolle. Zur Präsidentschaftswahl nächstes Jahr wird erwartet, dass die neuen Technologien in großem Umfang eingesetzt werden. Manche Erfolge der Demokratischen Partei bei den Zwischenwahlen im vergangenen Jahr werden der Potenz der KI zugeschrieben, besonders im Bereich des Fundraisings. Aber auch für den inhaltlichen Wahlkampf werden die Algorithmen der neuesten Generation immer entscheidender.
Die Kampagne des US-Senators John Fetterman von den Demokraten in Pennsylvania verwendete KI, um die Kosten von Fundraising, also des Spendensammelns, zu senken. Heute sind Modelle in der Lage, Listen von Zehntausenden möglichen Geldgebern zu analysieren: Diejenigen Wähler*innen, die am wahrscheinlichsten für einen bestimmten Kandidaten Geld spenden würden, werden zuerst kontaktiert. Nach der KI-Analyse können Kampagnenmitarbeiter*innen ihre Aufmerksamkeit gleich den aussichtsreichsten Zielen widmen.
Mit KI auf neue Trends reagieren
»Kein herkömmlicher Datenanalyst in der Welt könnte jemals so gründlich und schnell durch die Listen gehen«, sagt der Berater Martin Kurucz von der Sterling Data Company der Finanzzeitschrift Forbes. Sterling Data war für Fetterman tätig und, nach eigenen Angaben, für rund tausend andere Kandidat*innen. Ihre Modelle können in Echtzeit auf neue Trends reagieren. Die Resultate können beachtlich sein: John Fetterman hat 55 Millionen Dollar für seinen Wahlkampf gesammelt, sein republikanischer Gegner nur 15 Millionen Dollar. Wahldaten der Bundesregierung zeigen, dass das demokratische Wahlkampfkomitee im letzten Jahr rund 8,4 Millionen Dollar für solche Technologien ausgegeben hat und dabei 85,6 Millionen Dollar von Kleinspender*innen einsammelte.
Wahlkampfteams sind dennoch zurückhaltend, die Verwendung von Künstlicher Intelligenz offen zuzugeben. Denn KI übernimmt oft die Arbeit der Basis, nicht nur bei der Identifizierung von Geldgebern, sondern auch bei der Formulierung von Pressemitteilungen oder bei der Erstellung von Werbespots mittels ChatGPT oder DALL-E. Bisher war das Engagement solcher – meist unbezahlten Mitarbeiter – ein wichtiges Zeichen der Ausstrahlung des künftigen Amtsinhabers.
KI für finanzschwache Kandidaten
Andere Beobachter dagegen beschreiben KI als Kostensenker, der mittellose Kandidaten mit finanzstarken gleichstellt. Der Durchbruch der neuen Algorithmen kam, nachdem die Firma Apple im Jahr 2021 Daten seiner iPhone-Kund*innen plötzlich sehr viel stärker schützte. Künstliche Intelligenz war die beste Methode, um die neuen Barrieren zu überwinden. Sterling Data Company arbeitet mit einer Datenbasis von 30 Millionen möglichen Spender*innen und 500 »Info-Säulen« von relevanten Faktoren, etwa welche Autos von Zielpersonen gefahren werden oder welche Netflix-Sendungen sie schauen.
KI-Modelle analysieren auch die Telefon-Gespräche mit Wählern und werten sie aus. Es entsteht damit ein umfangreiches System der Wähler*innenüberwachung. Die Fähigkeit von KI-Algorithmen, fiktionale Bilder zu erstellen und Stimmen zu imitieren, schlägt schon Wellen im bevorstehenden Kampf um das Weiße Haus. Das republikanische Nationalkomitee hat ein dystopisches KI-Video veröffentlicht. In diesem Video bejubelt Joe Biden bereits seinen nächsten Sieg, danach folgt Schockierendes: Szenen einer chinesischen Invasion von Taiwan, die komplette Auflösung der amerikanischen Südgrenze zu Mexiko. Derweil befindet sich die Börse an der Wall Street in freiem Fall. Alle republikanischen Ängste werden plastisch verdichtet.
Gefahr von Deepfakes
Die Effizienz von KI sowie das Potenzial zur Mythenbildung sind gleichermaßen Chancen wie Gefahr. Kritiker befürchten, dass ein billigeres Fundraising eine abschreckende Werbeflut verursachen wird. Andere mahnen, dass omnipräsente Deepfakes die sich durch das Internet ohnehin auflösende Grenze zwischen Realität und politischer Fantasie völlig aufheben könnten. Russell Berman beschreibt das Dilemma in der Zeitschrift »The Atlantic«, die titelt: »Wie KI die Politik retten könnte, wenn es die Politik nicht vorher zerstört«. Der Chef von OpenAI, dem Unternehmen hinter dem inzwischen weltweit bekannten Konversationsagenten ChatGPT, Sam Altman, plädierte neulich für die Regulierung der Künstlichen Intelligenz vor dem US-Kongress.
Republikanische Wahlberater wie Tom Newhouse von Convergence Media räumen ein, dass die Konservativen bei der KI-Verwendung den Demokraten, etwa Senator Fetterman, hinterherlaufen. Fetterman, dessen Sieg für den Erhalt der demokratischen Mehrheit im Senat entscheidend war, gibt sich sehr volkstümlich, stammt jedoch aus einer wohlhabenden Familie. Weniger bekannt ist, dass sein Vater seine Karriere als Freizeit-Bürgermeister in der winzigen 1700-Seelen-Stadt Braddock (Pennsylvania) zwischen 2006 und 2019 finanzierte, weil Fetterman als Bürgermeister nur umgerechnet 150 Euro im Monat als Entschädigung erhielt.
Zu Anfang seiner Amtszeit kaufte er mit Familiengeldern die First Presbyterian Church von Braddock. Fetterman machte sich für progressive Themen wie Jugendprogramme und die Hanf-Legalisierung stark. Doch da seine Kampagne wohl Vorreiter in der Verwendung von Künstlicher Intelligenz war, stellt sich die Frage, wie authentisch Fettermans öffentliches Image als Kleinstadtbürgermeister wirklich ist.
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