Riester-Rente auf Achterbahn-Kurs

Gerold Fritz schloss eine private Altersvorsorge ab, doch sein Erspartes rutschte ins Minus

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 8 Min.
Riestern lohnt sich nicht mehr. Die private Altersvorsorge ist steuerpflichtig und mit erheblichen Verwaltungskosten verbunden. Die börsenorientierten Anlagen haben zudem zuletzt Kurseinbrüche. erlitten.
Riestern lohnt sich nicht mehr. Die private Altersvorsorge ist steuerpflichtig und mit erheblichen Verwaltungskosten verbunden. Die börsenorientierten Anlagen haben zudem zuletzt Kurseinbrüche. erlitten.

Eigentlich freut sich Gerold Fritz auf seinen Ruhestand. »Ich gehe gerne auf Arbeit«, sagt er, »aber ich möchte jetzt mehr Zeit für meine Enkel haben.« Im Sommer 2024 will der Mann, der als Fachpraxis-Lehrer für Metalltechnik an der Berufsschule im thüringischen Hildburghausen arbeitet, deshalb sein Arbeitsleben hinter sich lassen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen.

Vor einigen Monaten allerdings hat Fritz Post bekommen, die ihm die Vorfreude auf seinen Ruhestand ziemlich versaut hat. »Gerade bei der aktuellen Teuerungsrate, bei dem Kaufkraftverlust«, sagt er. Im ersten Moment, als er den Brief geöffnet hatte, über den er sich so sehr aufregt, habe er gedacht: Das kann doch wohl nicht wahr sein, die haben sich verrechnet.

Die – das ist der Finanzkonzern Union Investment, von dem sich Fritz betrogen fühlt: »Das sind hoch bezahlte Leute, denen ich mein Geld anvertraut habe, und dann so was!« Das alles sei »eine Ungeheuerlichkeit«, schimpft er.

Die Angelegenheit, die für Fritz nun einen zumindest vorläufigen Tiefpunkt erreicht hat, beginnt im Jahr 2004. Damals hatte er bei Union Investment nach der Beratung durch einen Finanzmakler einen Riester-Vertrag abgeschlossen, der auf börsennotierte Fonds setzt. Im Januar 2005 begann der Vertrag zu laufen. Alle zwei Monate hatte Fritz 56 Euro in diesen Vertrag gesteckt, dazu die für diese Sparform üblichen staatlichen Zulagen erhalten. Insgesamt hat er im vergangenen Jahr 336 Euro in diesen Vertrag investiert, dazu 22,05 Euro an Förderung bekommen.

Um viel Geld geht es hier also nicht. Zumal der Vertrag schon lange läuft. Doch anders als die meisten Lehrer in Thüringen ist Fritz nicht verbeamtet, sondern beim Land angestellt – und das mit einer Eingruppierung, die ihm deutlich weniger Geld bringt als zum Beispiel Grundschul-, Regelschul- oder Gymnasiallehrer bekommen. Selbst wenn Fritz dadurch nicht in ärmliche Verhältnisse abrutscht, so geht es für den Mann, der in Schmeheim im Landkreis Hildburghausen wohnt, durchaus um eine beträchtliche Summe.

Deshalb hat ihn auch die auf Februar 2023 datierte Jahresabrechnung 2022 für diesen Vertrag getroffen, die er vor einiger Zeit in seinem Briefkasten vorgefunden hatte. Dort steht schwarz auf weiß: Hatte er über diesen Vertrag in all den Jahren Ende 2021 noch etwa 7500 Euro angespart, seien es zum 31. Dezember 2022 nur noch etwa 6800 Euro gewesen, obwohl er eben weiterhin einige Hundert Euro zusätzlich eingezahlt und die kleine staatliche Zulage bekommen hatte. In der Zeile »Wertentwicklung Ihres Altersvorsorgevermögens im Jahr 2022« findet sich eine vierstellige Zahl mit einem Minuszeichen davor: 1050,36 Euro.

Auch in der Gesamtbilanz sieht der Vertrag ausweislich der Jahresabrechnung 2022 nicht gut aus: Seit Vertragsbeginn hat Fritz demnach 6048 Euro in diesen Vertrag investiert, dazu 1223,38 Euro staatliche Zulagen erhalten. In der Zeile »Wertentwicklung Ihres Altersvorsorgevermögens seit Vertragsbeginn« steht dann wieder eine negative Zahl: – 481,36 Euro.

Zwar kann sich der Mann darauf verlassen, dass er – wie bei Riester-Verträgen üblich – am Vertragsende alle seine eingezahlten Beiträge sowie die staatlichen Zulagen sicher hat; unabhängig von der Wertentwicklung der über seinen Vertrag gehaltenen Fonds. Er wird dann also – Stand Februar 2023 – über mindestens 7271,38 Euro verfügen können. Sollte es so kommen, würde das aber eben auch bedeuten, dass er zwar keine direkten Verluste machen würde, sein Geld in fast 20 Jahren an den Börsen aber genau genommen gar nicht für ihn »gearbeitet« hätte. Bedenkt man die Inflation und dass er sein Geld in dieser Zeit auch als deutlich sicheres Festgeld hätte anlegen können, könnte man durchaus einen zumindest indirekten Verlust für Fritz aus diesem Vertrag annehmen. Ihm sind nämlich die niedrigeren, sicheren Festgeld-Zinsen entgangen, weil er auf höhere, unsichere Fondsrenditen gesetzt hat.

Fritz ist damit einer, der gerade gleich mehrere Dinge erlebt, die Beobachter der Finanzmärkte und Verbraucherschützer in den vergangenen Jahren immer wieder thematisiert haben und die viele Menschen doch noch immer überraschen. Dazu gehört zuvorderst die Erkenntnis, dass es zwar einige Chancen bietet, sein Geld an der Börse zu investieren. Diese Chancen sind aber immer mit Risiken verbunden. So ist dort halt das Geschäft.

Das gilt insbesondere dann, wenn jemand relativ kurz nach einem Kurzsturz an den Finanzmärkten über das Geld verfügen möchte, das er an den Börsen investiert hat. Wer nach einem solchen Crash noch fünf oder zehn Jahre Zeit hat, für den besteht nach den Erfahrungen der Vergangenheit die realistische Aussicht, erlittene Verluste wieder ausgleichen zu können. Doch wer das investierte Geld schon bald braucht, wird wohl mit einigen Verlusten leben müssen.

Im Fall von Fritz steht dieser Kurssturz nach den Angaben von Union Investment nicht nur in unmittelbarem Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den der russische Präsident Wladimir Putin im Februar 2022 entfesselt hat. Zudem hätten im vergangenen Jahr anhaltende Lieferkettenprobleme und steigende Zinsen zuerst die Wirtschaft und dann auch die Aktienmärkte massiv belastet, sagt ein Sprecher des Unternehmens. »Dieser Entwicklung konnte sich kein Marktteilnehmer entziehen, und sie betraf alle in diese Gattungen anlegenden Wertpapiere und Fonds, nicht nur die Riester-Rente.«

Das ist eine Einschätzung, der man angesichts der Marktdaten nicht widersprechen kann und die selbst Verbraucherschützer so treffen. Auch der Deutsche Aktien Index (Dax) musste beispielsweise über das Gesamtjahr 2022 deutliche Verluste hinnehmen. Er schloss Ende 2022 etwa 12 Prozent niedriger, als er Anfang 2022 gestartet war. Im Jahr 2021 hatte der Dax dagegen fast 16 Prozent an Wert gewonnen. Selbst im Coronajahr 2020 hatte er noch ein Plus von 4 Prozent erreicht. Im Jahr 2019 hatte er sogar um etwa 25 Prozent zugelegt.

Immerhin haben sich die Finanzmärkte inzwischen wieder etwas beruhigt, was sich auch auf den Vertrag von Fritz positiv auswirkt. Der Wert des Depots, das er über seinen Riester-Vertrag hält, sei Stand April »wieder leicht angestiegen«, sagt der Sprecher von Union Investment.

Festzuhalten bleibt, dass diese Form der privaten Altersvorsorge nicht die Erwartungen erfüllt, die Fritz selbst sowie viele andere Riester-Sparer und auch die Politik in sie gesetzt hatten. Vielen Menschen war, als sie Riester-Verträge abschlossen, überhaupt nicht klar, dass diese börsennotiert sind und deren Wert deshalb beträchtlich schwanken kann. Immer wieder, sagt der Referatsleiter Finanzdienstleistungen der Verbraucherzentrale Thüringen, Andreas Behn, würden Menschen bei ihm und seinen Kollegen Hilfe suchen, weil ihre Riester-Anlagen in Turbulenzen geraten sind. Sie würden oft erst dann, wenn auf ihren Kontoauszügen Minuszeichen auftauchen, begreifen, dass sie bereits vor vielen Jahren eine riskante Geldanlage abgeschlossen haben.

Überhaupt hätten die meisten Menschen wegen Riester-Verträgen erst dann bei der Verbraucherzentrale um Rat nachgesucht, als diese Verträge schon liefen. »Anlass für die Beratung ist zum einen die Unzufriedenheit über die Kosten des Vertrages in der Ansparphase«, erklärt Behn. »Hier beschweren sich die Beratungsuchenden über das ihnen aufgefallene Missverhältnis der Zulagen zu den Vertragskosten oder über die in ihren Augen zu geringe angesparte Summe.« Zudem tauchten bei vielen Menschen kurz vor Beginn der Rentenphase Fragen auf, etwa zur Auszahlung oder Teilauszahlung der Verträge. Die Beratung zu Neuabschlüssen für solche Verträge spiele dagegen »eine eher geringe Rolle«, sagt Behn.

Letzteres hat möglicherweise auch damit zu tun, dass sich inzwischen doch herumgesprochen hat, was viele Fachleute über diese Verträge sagen. Nämlich, dass – in den Worten Behns – »die Riester-Rente, so wie sie ausgestaltet wurde, gesamtgesellschaftlich nicht sinnvoll« ist. Schon lange gibt es Rufe nach einer Reform. »Man hat die gesetzliche Rente, die paritätisch finanziert wird, gekürzt und wollte diese Kürzung mit einer privat finanzierten Altersvorsorge, die ausschließlich von Arbeitnehmern bezahlt wird, ersetzen.«

Dass Gerold Fritz Mitte der 2000er Jahre seine Unterschrift wohl etwas zu leichtfertig unter seinen börsenabhängigen Riester-Vertrag setzte, das gibt er heute zu. Er habe nicht wirklich verstanden, welche Risiken diesem Vertragsmodell zugrunde liegen, sagt er. Vielmehr habe er sich auf den Rat des Finanzmaklers verlassen, der ihm offenkundig zu viel versprochen hat, ihn jedenfalls über die Gefahren des Auf und Ab an den Börsen nicht ausreichend informierte. »Der Mann hat mir damals gesagt, das sei ein gutes Produkt – ich habe ihm geglaubt«, erzählt Fritz, der heute weiß, dass mehr eigene Recherche besser gewesen wäre als der Glaube an einen Berater.

Dann schiebt Fritz aber noch diesen Satz nach: »Man hat einfach nicht die Kraft, sich um jeden einzelnen Vertrag zu kümmern. Insbesondere nicht als gelernter DDR-Bürger.« Vor der Wende habe es doch gar nicht so eine Vielfalt an Versicherungsverträgen gegeben, da sei das Leben viel einfacher, viel weniger komplex gewesen.

Wie hoch die Verluste im Riester-Vertrag von Fritz genau sein werden, wenn er in etwa einem Jahr in den Ruhestand geht, kann derzeit niemand vorhersagen. Nicht zuletzt, weil niemand die Entwicklung im Ukraine-Krieg prognostizieren kann. Wird Russland den Krieg weiter eskalieren lassen? Werden die russischen Truppen sich aus der Ukraine zurückziehen? Oder kommt es zu einem jahrelangen Stellungskrieg?

Die Antworten auf diese Fragen werden auch Auswirkungen darauf haben, wie viel Geld Fritz und Menschen wie er künftig im Ruhestand zur Verfügung haben.

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