Richtet die Motoridioten zugrunde

Urbaner Kulturkampf: Wutradler gegen Autofaschisten

  • Fritz Tietz
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie sich diese Radlervideos gleichen! Mit Helm- oder Body-Cams gedrehte Clips von meist recht rasanten Fahrten auf den Bike-Streifen irgendwelcher innerstädtischen Magistralen. Links vom Radler, von dem nur die den Lenker umklammernden Hände im Bild sind, sieht man die noch schnelleren Autos vorbeischießen, während rechts überwiegend ruhender Verkehr herrscht: eine Reihe dicht geparkter Fahrzeuge. Und das ist klar: Gleich wird dem Kameradler etwas zustoßen. Ein Kfz, dessen Fahrerin den Sicherheitsabstand nicht einhält, ein leichtsinnig abbiegender Lkw-Fahrer, eine sich öffnende Autotür. Wäre sonst das Video bei Twitter hochgeladen worden?

Die Tonspur steigert noch den Suspense. Fahrtwindrauschen, unterbrochen von ein paar Schnaufern und – Achtung! – einem Schrei des Radlers. Wie aus dem Nichts hat sich ein SUV vor den Pedalierenden gesetzt. Schon grellen rot die Bremslichter, das Kfz stoppt auf dem Radstreifen, Warnblinker an, während der Radler hinter ihm zum Stehen kommt, zeternd, gestikulierend. Klar, er könnte über die Fahrbahn ausweichen. Tut er aber nicht. Schon aus Prinzip. Und weil die Kamera läuft. Der Rest ist Geschrei: »Was willstu Scheißradfahrer denn!« – »Runter vom Radweg, Drecksautler!« Zuweilen fliegen Fäuste.

Solche Aufnahmen ließen ihn immer etwas ratlos zurück, schrieb neulich einer unter so ein »Kampfradler-Video«, wie er es nannte, und fragte: »Woher kommt eigentlich die Erwartung, dass man sich mit dem Fahrrad in Innenstädten immer mit Vollgas fortbewegen können muss, ohne verkehrsbedingt bremsen zu müssen?« Eine Frage, die nur rhetorisch gemeint sein kann. Darum haben sie sich doch für das Fahrrad entschieden: um so flott und ungebremst wie möglich voranzukommen! Wollten sie ständig anhalten müssen in den Innenstädten, könnten sie ja gleich das Auto nehmen.

Eine Logik, wie sie bestechender kaum sein könnte – vorausgesetzt natürlich, dass man es nicht für völlig normal hält, ständig vor Ampeln zu warten, im Berufsverkehr nur schrittweise voranzukommen oder dauernd im Stau zu stehen. Wie das die Autogläubischen hierzulande nicht nur mehrheitlich tun, sondern offenbar auch für unerlässlich halten. Statt wie die Radler mal bei Rot freiweg über die Kreuzung zu sausen (»weil eh gerade nichts los ist«) oder flott gegen die Einbahnstraße (»weil alles andere Blödsinn wäre«) oder notfalls durch die Einkaufszone (»weil ich es kann!«), ziehen es die hiesigen Kfz-ler vor, sich stumpf an die Verkehrsvorschriften zu halten – so sinnlos die manchmal erscheinen mögen.

Aber klar, täten sie es nicht, wären sie über die Kennzeichen ihrer Autos leicht zu identifizieren und riskierten Punkte in Flensburg. Oder den gefürchteten Idiotentest. »Obwohl der für Autofahrende im Grunde obligatorisch sein sollte. Am besten wöchentlich«, so ein Radler gegenüber einer Zeitung, die namentlich nicht genannt werden möchte.

»Warum haben die Scheißradler eigentlich keine Nummernschilder?«, kann man dafür nahezu täglich Autofahrer teils unter Klarnamen und ohne jede Scham im Netz herumnölen sehen. »Und warum zahlen die keine Fahrradsteuern?« Und wieder sind es die Biker, die sich fassungslos an die Helme greifen: »Weil wir Radler nun mal die besseren Menschen sind, stupid«, so rufen sie den »Kfz-Bratzen« zu, »und uns der Staat ganz offensichtlich mehr traut als euch dummen Autofaschisten. Hätte er uns nicht sonst längst eine Kennzeichen- und Steuerpflicht aufgebrummt? Und davon abgesehen: Wir Radler sind nicht nur menschlich wie moralisch die Besseren. Wir haben auch die viel knackigeren Hintern, wie ihr ja immer mit ansehen müsst, wenn ihr mit Tempo 20 hinter uns her dackeln müsst, weil wir euch durch konsequentes In-der-Mitte-Fahren am zu engen und damit mordsgefährlichen Überholen hindern.«

»Und wann begreift ihr endlich«, so geht’s dann gleich weiter, sonst begreifen es die Blödmänner nie, »dass es ausschließlich eure schiere Menge und Masse ist, die für diese ständigen Staus sorgt. Und dass deswegen im Übrigen auch für die Aktionen der Letzten Generation gilt: Es sind stets nur die paar Autos in der ersten Reihe, die die Klebis an der Weiterfahrt hindern. Die vielen Kfz-ler dahinter blockieren sich dann vor allem gegenseitig mit ihren Kisten. Würden sie stattdessen Fahrräder nutzen, könnten sie die Aktivsti problemlos umkurven. Oder ihre Räder an ihnen vorbeitragen.«

Dann wird noch schnell die zweite Strophe aus dem »Gesang der Radler« angestimmt (»Kurbler der Kurbel / Vereint eure Ketten zum Bunde / Muskelkraft richtet die Motoridioten zugrunde / Sie steh’n im Stau / Ihr zieht vorbei im Frühtau / Radfahrer nützet die Stunde«) – und gut ist. Schade eigentlich, dass es in diesen einschlägigen Videos der Cam-Radler nicht wenigstens hin und wieder mal zu solchen tiefergründigen, gar gesungenen Auseinandersetzungen zwischen Rad- und Autofahrern kommt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

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