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- Ökotourismus in Costa Rica
In Costa Rica bei Mutter Natur
Eine Lodge in Costa Ricas Karibikregion stellt den Tourismus in den Dienst der Regenwalderhaltung
»Bueno. Eigentümer ist die Welt. Wir sind nur die Manager und dazu da, dieses Gebiet zu schützen.« Sanft-energisch spricht Sofia Stein über das Selbstverständnis der Besitzer der Dschungel-Finca. Diese liegt am Rande der Talamanca-Gebirgskette in Costa Ricas karibischer Provinz Limón, etwa 35 Kilometer südwestlich der gleichnamigen Hafenstadt. Vor gut drei Jahrzehnten hatten Sofia Stein und ihre Geschwister Jürgen und Karin, Nachfahren deutscher Auswanderer, eine radikale Neuorientierung des Familienunternehmens hin zum Ökotourismus erreicht.
Von Limón bis zur Farm ist es keine weite, aber auf dem letzten Teil der Strecke auch keine schnelle Reise. Hinter dem kleinen Dorf Bananito verläuft eine »Zivilisationsgrenze«. Eine schmale und holprige Piste führt an verwilderten Bananenplantagen vorbei immer tiefer in die Wildnis hinein. Mehrere Flüsse sind auf dem Weg zur Selva Bananito Öko-Lodge zu durchfahren. Die schmalste Stelle der Furt ist nicht die flachste und ein Fahrzeug mit Allradantrieb in diesem Gelände unabdingbar – wie auch an vielen anderen Orten im Land der Berge und Vulkane.
Nur etwas mehr als fünf Millionen Einwohner zählt das zwischen Nicaragua im Norden und Panama im Süden gelegene Costa Rica. Das Land gilt wegen seiner politischen Stabilität als eine Musterdemokratie. Gern wird es als »Schweiz Mittelamerikas« beschrieben und es vermarktet sich als Ort, an dem das Leben nach dem Motto »Pura Vida« (Nimm’s locker) verläuft. Immerhin hat Costa Rica 1948 seine Armee als Verschwendung und Gefahr für die Demokratie abgeschafft und in den folgenden Jahrzehnten und nach harten Kämpfen der Gewerkschaften einiges in Bildung, Gesundheit und den sozialen Frieden investiert.
Die Lebenshaltungskosten allerdings sind gepfeffert. Besonders in der Hauptstadt San José ist extremes Elend unübersehbar, gilt nicht jede Ecke als sicher. Als Reiseziel ist Costa Rica teuer, mit Preisschildern an allen touristischen Angeboten nach den Maßstäben der vielen nordamerikanischen Besucher und gern in US-Dollar statt Colón. Aussteiger und Hippies (auch mit Rollkoffern) zieht es an die Traumstrände am Atlantik und Pazifik. Während die Städte kolonialen oder sonstigen Glanz vermissen lassen, ist der größte Schatz des Landes seine Flora und Fauna – jedenfalls das, was die überwiegend für US-Konzerne angelegten Monokulturen für Bananen, Palmöl und Ananas davon übriggelassen haben. Die hierbei eingesetzten Agrochemikalien setzen der Gesundheit der Arbeiter und auch dem Grundwasser zu.
Trotz der Folgen der landwirtschaftlichen Kolonisation und der Abholzungen ist das kleine Land weiter eines mit der größten Artenvielfalt weltweit – von Amphibien und Schlangen über Raubkatzen und Vögel bis zu Schmetterlingen und Orchideen. Fast 30 Prozent des Territoriums gehören formal zu Schutzgebieten unterschiedlicher Kategorien. Jürgen Stein spricht von einer vorbildlichen Umweltgesetzgebung und einem Agrarrecht, das ihr entgegensteht. Das Image von Costa Rica sei grüner als die Realität.
Nachdem man das Tor zum Anwesen der Steins durchquert hat, geht die Fahrt noch zwei, drei Kilometer weiter. Ein paar Kühe weiden unter Palmen, auf einer Koppel stehen Pferde. Schließlich taucht auf einem Hügel zwischen Bäumen und Sträuchern das kleine Verwaltungsgebäude ihres Ökohotels auf. Verstreut über das Gelände gibt es für die Gäste mittlerweile 19 Bungalows (Cabinas), die mit Blick auf die Regenzeit und wohl auch die hiesige Tierwelt auf Stelzen stehen – gebaut wurden sie ausschließlich aus recycelten Holzabfällen von Zedern und Mahagonibäumen.
Die Unterkünfte sind einfach, aber komfortabel. Über den Betten sind Moskitonetze aufgespannt, Solarduschen liefern warmes Wasser, Hängematten unter überdachten Veranden laden zum Chillen ein – und besonders dazu, in den hier tiefschwarzen Nächten zu den Sternen zu blicken oder die Signale der Leuchtkäfer zu beobachten. Nur nach einer Steckdose sucht man ebenso vergeblich wie nach einem Netzwerk, um sich mit dem Internet zu verbinden. Ein Entzug, der von den Betreibern durchaus beabsichtigt ist. Man kommt wegen der Natur hierher, nun soll man sich auch ganz darauf einlassen.
Mit elf Bungalows wurde die Öko-Lodge im Jahr 1995 eröffnet und bald zum Vorbild für nachhaltigen Tourismus in Costa Rica. Das Stück Land, auf dem sie sich befindet, grenzt an den von der Unesco zum Biosphärenreservat erklärten Nationalpark La Amistad an. Und seit gut drei Jahren ist das Bananito-Reservat Teil des offiziell anerkannten Biologischen Korridors »Bosque de las Madres« (Wald der Mütter), der zu 50 Prozent bewaldet ist, eine Fläche von 150 Quadratkilometern umfasst und sich von der Küste bis ins Gebirge zieht. Die Korridore, dieser ist der 52., weist die costa-ricanische Regierung als ein Instrument im Kampf gegen den Klimawandel aus. Unter Einbeziehung von Landbesitzern und lokaler Bevölkerung soll in solchen Gebieten Urwald geschützt und Wiederaufforstung betrieben, der Lebensraum für Tiere und Pflanzen vergrößert werden.
Wesentlich vorangetrieben, betont Sofia Stein, habe das Projekt Biologischer Korridor die 1996 von ihrer Familie ins Leben gerufene Wasserschutzstiftung Cuencas de Limón (FCL). Ihr Bruder Jürgen nennt FCL den »sozial orientierten Arm der Öko-Lodge«. Hauptanliegen der Nichtregierungsorganisation ist der Schutz der Wassereinzugsgebiete der Flüsse Banano und Bananito im Regenwald des Biosphärenreservats La Amistad. Sie stellen das Rückgrat der Wasserversorgung der Bevölkerung in Puerto Limón dar. Nach dem schweren Erdbeben von 1991 wurden sie für Costa Ricas drittgrößte Stadt mit heute 100 000 Einwohnern zur rettenden Möglichkeit, weiter an sauberes Trinkwasser zu gelangen.
Die Stiftung sitzt auch in einer Wasserschutzkommission, an der staatliche und kommunale Entscheidungsträger sowie weitere NGOs beteiligt sind. In diesem Jahr konnte FCL zur Freude von Sofia Stein den in Frankfurt am Main ansässigen Verein Tropica Verde als Unterstützer gewinnen. Derzeit ist man auf der Suche nach deutschen Professoren und Studenten, die evaluieren wollen, was die Umsetzung der Konzepte des Biologischen Korridors bringt.
Neben ihrer Tätigkeit als Organisatorin bei der Stiftung ist Sofia Inhaberin der kleinen privaten Organisation First Hand Costa Rica, die überwiegend jungen Menschen, darunter viele Deutsche, den interkulturellen Austausch in Form von Freiwilligenarbeit bei Umwelt- und Tierschutzprojekten – von Meeresschildkröten über Faultiere bis Papageien – vermittelt.
Mit Blick auf Banananito liegt der Mutter eines 21-Jährigen ein Angebot besonders am Herzen. Eine alte Küche der Farm hat man in eine Schule für Umweltbildung verwandelt. »Damit die Kids hierherkommen.« Denn etwas sei klar, betont Sofia: »Es darf nicht nur intellektuell sein. Das nützt nichts. Die Teilnehmer müssen es spüren, sie müssen eine Verbindung zur Natur herstellen, nur dann sind sie motiviert.«
Mit den Einnahmen der Lodge werden nicht nur Aufforstungen oder Studien zum Schutz von hier lebenden Wildkatzen wie Pumas und Jaguaren finanziert, sondern auch solche Besuche von Schülergruppen subventioniert. Ein Programm richtete sich speziell an Teenager, die bereits Mütter sind.
Während Sofia die meiste Zeit in der Hauptstadt San José lebt und arbeitet, ist ihr Bruder Jürgen mit Frau und Kind auf der Regenwald-Ranch ansässig. Er leitet Biofarm und Öko-Lodge, koordiniert die Arbeit der »guardabosques«, der Waldwächter, die immer wieder auch Wilderern auf die Spur kommen.
Bevor es für Gäste losgeht mit Reittouren, Vogelbeobachtung oder naturhistorischen Wanderungen zu Wasserfällen und Wildkameras tief im Urwald, steht ein anderer Punkt fest auf dem Programm. Jürgen Stein lädt in den Rancho, den Speisesaal, zu einem Vortrag ein. In dem spricht der 58-Jährige über die Geschichte seiner Familie sowie der Finca und wirbt für ein Verhältnis zur Natur, bei dem man »Teil der Lösung« ist.
1926 war Steins Großvater Rudolf als Arbeiter im Eisenbahnbau nach Kolumbien gegangen und dort später ins Holzgeschäft eingestiegen. 1974 erwarb Vater Rudi dann in Costa Rica 1400 Hektar Land am Oberlauf des Bananito. Auf 600 Hektar durfte er Bäume ernten. Das lukrative Tropenholz ermöglichte den Haus- und Straßenbau, finanzierte Studien und Reisen für Jürgen und seine Geschwister. Dennoch: »Dass der Fluss heute noch Wasser führt, liegt daran, dass unser Vater schließlich auf uns gehört und den Wald nicht weiter abgeholzt hat.«
Illegalen Holzeinschlag entdeckt Pilot Jürgen Stein immer wieder vom Tragschrauber aus. Gäste können Flüge mit »Selva Air« über den Primärwald des Selva-Bananito-Reservats und entlang der mittelkaribischen Küste buchen. Seine Hinweise an Umweltbehörden bringen dem Ökounternehmer manche Drohung ein. Sorge macht ihm die Lobbyarbeit der Finanzhaie, die alle natürlichen Ressourcen in Renditeobjekte verwandeln wollen. Und er klagt, dass ein Hektar Waldzerstörung 20 000 Dollar einbringe, während es für die Erhaltung gerade einmal 50 Dollar im Jahr gebe. Für Jürgen Stein ist klar: »Wenn wir die Welt retten wollen, muss Umweltschutz so honoriert werden, wie er es verdient.«
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