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Hoffnung Fußball: Das Team der Ukraine und die Premjer-Liha
Die ukrainische Nationalelf ist rund um das Jubiläumsspiel der DFB-Auswahl eine Woche in Bremen zu Gast
Es ist mehr als eine symbolische Geste, dass dieser Tage am Bremer Rathaus eine riesige blau-gelbe Flagge hängt. Vor den prominentesten Sehenswürdigkeiten der Stadt, am Marktplatz mit Roland und Stadtmusikanten, Solidarität mit der Ukraine zu bezeugen, ist ein wichtiges Statement. Gerade, wo sich die Fußball-Nationalspieler der Ukraine in der Hansestadt aufhalten, die hier an diesem Montagabend nicht nur die Benefizpartie gegen die DFB-Auswahl bestreiten, sondern sich dort auch auf die EM-Qualifikationsspiele am 16. Juni in Nordmazedonien und drei Tage später gegen Malta vorbereiten. Auch der Bundesligist SV Werder hilft dabei, stellt dem Nationalteam aus dem kriegsgeplagten Land einen Trainingsplatz zur Verfügung, wo dann auch schon mal geflüchtete ukrainische Landsleute über den Zaun schauen.
Das Ziel: zur EM 2024 wieder nach Deutschland zu kommen, ein Land, »das uns großartig unterstützt«, wie der neue Nationaltrainer Serhij Rebrow betont. Doch das Los hat es nicht gut gemeint: Mit Europameister Italien und Vizeeuropameister England in einer Gruppe wird das EM-Ticket für die Ukraine fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die WM 2022 in Katar verpasste das Team im Playoff-Finale gegen Wales, nachdem der Halbfinalsieg gegen Schottland weltweit große Sympathie ausgelöst hatte.
Und jetzt? »Wir kämpfen um die Qualifikation«, erklärte Rebrow. »Wir repräsentieren die Ukraine in Europa. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir alles geben – und dann werden wir sehen, was passiert.« Der 49-Jährige, der als Profi lange für Dynamo Kiew, zwischenzeitlich auch in der Premier League für West Ham United und Tottenham Hotspur gespielt hat, ließ seinen Vertrag als Trainer in den Vereinigten Arabischen Emiraten auslaufen, um wieder in der Heimat anzuheuern. »Ich habe auf mein Herz gehört.« Derartig großer Patriotismus wird auch von den meisten Fußballern gelebt, die sich in der Rolle sehen, ein bisschen Ablenkung zu vermitteln. Schließlich ist man gerade weit genug weg von der Heimat, wo der russische Angriffskrieg seine blutigen Spuren zieht.
Rebrow, der selbst 75 Mal für die ukrainische Nationalelf aufgelaufen ist, hat den eigenen Auftrag an sich und seine Schützlinge am Wochenende im Weserstadion so formuliert: »Für mich bedeutet der Fußball Emotionen. In unserem Land, unserem Volk fehlen die Emotionen. Im Krieg schaut jeder auf die Nachrichten, auf das, was passiert – wir auch.« Deshalb habe er seinen Spielern gesagt: »Wir müssen den Menschen in der Ukraine Emotionen geben, um sie zu unterstützen. Auf dem Platz müssen wir unseren Charakter zeigen.« Nie aufgeben, weiterkämpfen.
Bei seiner Vorstellung in der vergangenen Woche dankte der Coach zuerst einmal den Streitkräften zu Hause, »dass sie unsere Unabhängigkeit verteidigen und uns ermöglichen, über Fußball zu sprechen.« Auch Andrij Jarmolenko, der Kapitän, spürt eine besondere Verpflichtung in schwierigen Zeiten. »Es ist hart für die Spieler, aber wir müssen stark sein, weil wir Ukrainer sind«, findet der 33-Jährige, der zwar im russischen Sankt Petersburg geboren ist, aber beim ukrainischen Vorzeigeverein Dynamo Kiew Profi wurde. Eine Rückkehr steht im Raum, denn in wenigen Tagen läuft sein Vertrag bei al-Ain FC in den Emiraten aus. »Wir müssen Fußball spielen für unsere Fans, für unser Volk, um ihnen etwas Positives zu geben«, meint der ehemalige Bundesligaspieler von Borussia Dortmund.
Manchmal ist das nur leichter gesagt als getan. Davon berichtete in Bremen Anatoli Trubin, der erst 21-jährige Nationaltorhüter von Schachtar Donezk. Als die Truppen von Wladimir Putin die Krim 2014 besetzten und russische Separatisten die Unruhen im Donbass-Becken schürten, musste der Klub aus Donezk nach Kiew umziehen. Seitdem lebt das Torwarttalent mit seiner Mutter und Schwester in der Hauptstadt, während die Verwandten in Donezk geblieben sind. Spiele im Exil mit dem Verein wie während der Europapokalwettbewerbe in Warschau oder Lwiw sind für Trubin und viele seiner Mitspieler der Alltag geworden, aber Auftritte mit der Nationalmannschaft etwas Besonderes: »Jetzt wollen wir der ganzen Welt zeigen: Die Ukraine ist immer noch da.«
Der russische Einmarsch im Februar 2022 hat alles verändert und unfassbar viel Leid gebracht. Eigentlich erstaunlich, dass die Liga dennoch im vergangenen Sommer wieder startete. Verbandschef Andrij Pawelko leitete schon bald auf oberster Ebene die Wiederaufnahme des Spielbetriebs ein: »Ich habe mit Präsident Selenskyj darüber gesprochen, wie wichtig der Fußball ist, um abzulenken.« Dummerweise wurde danach bekannt, dass Pawelko in einen Korruptionsskandal verwickelt ist, was auch auf ein Kardinalproblem der jungen Nation verweist. Die aufgedeckte Veruntreuung von Hilfsgeldern gefährdet jedenfalls auch die gemeinsam geplante Bewerbung mit Spanien und Portugal für die WM 2030.
Die ukrainische Liga hat eine skurrile Saison mit alarmbedingten Unterbrechungen, erhöhten Sicherheitsvorkehrungen und vor leeren Rängen hinter sich. Meister wurde erneut Schachtar Donezk. Der Klub bildet weiterhin das wichtigste Gerüst der Nationalelf, weil Milliardär Rinat Achmetov ihn nicht hat fallen lassen. Wurde früher über seine zu enge Bindung an russische Separatisten geargwöhnt, hat er sich inzwischen klar zur Ukraine bekannt. Als Mychajlo Mudryk im Winter für 100 Millionen Euro Donezk zum FC Chelsea ging, floss ein Teil der Summe für die Verteidigung der Stadt Mariupol.
Schachtar buhlte in der Heimat lange vergeblich um Rückhalt, doch seit Kriegsausbruch empfängt das Team große Unterstützung. Doch die Albträume hören nicht auf: Torwart Trubin hat erzählt, dass es in den vergangenen Monaten in Kiew permanent Luftangriffe gegeben hätte, fast jede Nacht. »Du wirst immer wieder aus dem Schlaf gerissen.« Da sei es schwierig, seine Form zu halten. Wenn er auf dem Platz stehe, sei nur das Spiel in seinem Kopf. Aber wenn er den Platz verlasse, komme der Krieg zurück in den Kopf. Der 24. Februar 2022, der Tag, an dem Russland seine Heimat überfiel, werde er nie mehr vergessen: »Mein Leben hat angehalten in diesem Moment.«
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