Kachowka-Staudamm: Erst das Wasser, dann die Bakterien

Bernhard Clasen warnt vor dem Ausmaß des Kachowka-Dammbruchs in der Ukraine

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 3 Min.

Als »größte Umweltkatastrophe dieses Jahrtausends« bezeichnet die ukrainische Parlamentarierin Wiktoria Wagner auf dem Portal »nv.ua« die Zerstörung des Kachowka-Staudammes. Dabei sei man im Augenblick erst in der Anfangsphase des Unglücks, in der Menschen vom Ertrinken bedroht und Siedlungen dem Untergang geweiht seien.

Doch schon bald sei man in Phase Zwei, in der den Bewohnern des linken Dnjepr-Ufers im Gebiet Cherson tödliche Infektionen durch Agrochemikalien, Viehkadaver, übergelaufene Latrinen, Klärgruben und Friedhöfe drohten. Nur wenige Menschen seien aus diesen Gebieten evakuiert worden, die meisten müssten weiter in diesem verseuchten Gebiet leben, so Wagner. Besonders gefährlich sei eine Zunahme von Botulismus als Folge des Dammbruches: eine durch das Bakterium Clostridium botulinum verursachte Vergiftung. Das von diesem Bakterium gebildete Gift zählt zu den stärksten natürlichen Nervengiften: Beim Verzehr von damit infiziertem Fisch gelangt es in den menschlichen Organismus. Botulinumtoxin führt zu Lähmungen und, wenn der Patient nicht behandelt wird, zum Tod. Ein Risiko einer solchen Infektionen besteht zum Beispiel nach einem Massensterben von Fischen, wie es jetzt schon am Dnjepr der Fall ist.

Bernhard Clasen
ist Journalist und Übersetzer.

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Langfristig muss die Region mit einer schweren ökologischen Katastrophe leben, so Wagner. Die Austrocknung des südlichen Festlands der Ukraine und der Krim habe unmittelbare und langfristige Folgen. Die Fauna sei bedroht, wahrscheinlich wird sich ein großes Gebiet im Süden des Landes in eine Wüste verwandeln, in der keine Landwirtschaft mehr betrieben werden kann.

UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sieht die Trinkwasserversorgung von 700 000 Menschen bedroht, berichtet die ukrainische Fernsehstation »TSN«. Das ukrainische Umweltministerium meldete am Montagmorgen, dass der Kachowka-Stausee mittlerweile mehr als 72 Prozent oder 14.395 Kubikkilometer Wasser verloren hat. Griffiths fürchtet einen Rückgang der Getreideexporte, weltweit höhere Lebensmittelpreise und eine Verringerung der für Millionen von Menschen verfügbaren Nahrungsmittelmenge.

Angesichts des jetzt schon eingetretenen Wassermangels fordert Oleksandr Vilkul, Chef der Militärverwaltung der Stadt Kryvyi Rih, die Einwohner auf, ihren Wasserverbrauch um 40 Prozent zu reduzieren. Nachdem die Fabriken ihren Verbrauch bereits auf ein Minimum eingeschränkt und die Dörfer im Umfeld der Stadt nur noch vier Stunden pro Tag fließendes Wasser haben, müsste sich auch die Stadtbevölkerung einschränken, so Wilkul. 95 000 Tonnen Fisch seien verendet, 46 Ortschaften überflutet, 3624 Häuser zerstört, 31 landwirtschaftliche Bewässerungssystem vernichtet, 2352 Bewohner evakuiert worden, berichtet »nv.ua«. Und Umweltminister Ruslan Strilez fürchtet den Tod von 160 000 Vögeln und 20 000 Wildtieren. 333 Tier- und Pflanzenarten, so Strilez, seien vom Aussterben bedroht, zitiert der Telegramkanal der Umweltgruppe Save Dnipro den Minister.

Unterdessen hat die ukrainische Atomaufsichtsbehörde die Kaltabschaltung des fünften Reaktors von Saporischschja angeordnet. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob Rosatom, das aktuell das AKW kontrolliert, diese Anordnung umsetzen wird. Gleichzeitig heißt es täglich auf dem Telegram-Kanal des ukrainischen Atomkonzerns Energoatom, die Lage im AKW sei aktuell unter Kontrolle, die Kühlbecken ausreichend mit Wasser gefüllt. Man habe ja auch noch andere Kühlwasserquellen wie mobile Pumpenanlagen und Grundwasserreserven, so Petro Kotin, der Chef von Energoatom. Fragt sich nur, was »aktuell unter Kontrolle« bei einer Technik bedeutet, deren Müll noch tausende von Jahren strahlen wird.

Die russische Armee habe nach Angaben eines ukrainischen Armeesprechers den Damm am Fluss Mokri-Jali an der Grenze zwischen den Regionen Saporischschja und Donezk gesprengt. Offensichtlich wolle man so den Vormarsch der ukrainischen Streitkräfte verhindern, so der Armeesprecher.

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