Stadtentwicklung in Berlin-Mitte: Aus Neu mach Alt

Bevor der Molkenmarkt aufgeteilt wird, haben Altstadt-Lobbyisten schon an anderen Orten in Berlin Fakten geschaffen

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 6 Min.
Blick in die Zukunft des Molkenmarkts? Am Friedrichswerder entstanden in den 2000ern luxuriöse und für die allermeisten Berliner*innen unbezahlbare Townhouses.
Blick in die Zukunft des Molkenmarkts? Am Friedrichswerder entstanden in den 2000ern luxuriöse und für die allermeisten Berliner*innen unbezahlbare Townhouses.

Zwischen den Plattenbauten am Alexanderplatz, der viel befahrenen Grunerstraße und den Verwaltungsgebäuden rund um den U-Bahnhof Klosterstraße in Berlin-Mitte geht die Ruine der Backsteinkirche des Franziskanerordens aus dem 13. Jahrhundert ein wenig unter. Doch am vergangenen Samstag war sie gut besucht. Rund 40 Personen hatten sich in den Überresten eines der ältesten erhaltenen Relikte des alten Berlin versammelt. Anlass war ein Stadtrundgang, den das Forschungsprojekt »Rechte Räume« der Architekturtheoretiker Stephan Trüby und Philipp Krüpe in Kooperation mit dem Veranstaltungsort Klosterruine Berlin organisiert hatte. Das Interesse an der Frage, ob Berlin eine neue Altstadt bekomme, schien größer als offenbar erwartet. Längst nicht alle Teilnehmer*innen konnten einen Audioguide ergattern.

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Nach den ersten Stationen der rund dreistündigen Tour könnte sich allerdings der Eindruck eingeschlichen haben, die Frage sei weitestgehend zugunsten einer Rekonstruktion in Anlehnung an das verklärte einmal Dagewesene entschieden. Denn nach einer Fahrt mit der U2 führte der Rundgang zunächst vom Hausvogteiplatz über den Friedrichswerder zum Humboldt-Forum.

An all diesen Orten wurden mittlerweile Fakten geschaffen. Spätestens seit den 90er Jahren, erzählt die Architekturtheoretikerin Verena Hartbaum in einer eingespielten Audiosequenz, sei die »kritische Rekonstruktion ein rein konservatives Hegemonieprojekt geworden«. Mit der Benennung des 2002 fertiggestellten »Memhard-Ensemble«, einem Komplex aus Wohn- und Geschäftshäusern im historischen Gewand, sei eine »Remineszenz an die Geburtsstunde Preußens« erbracht worden, so Hartbaum. Das Memhard-Ensemble liegt an der per Gutachten ausgewiesenen »Traditionsinsel« des Hausvogteiplatz. Der Militärangehörige Johan Gregor Memhard war im 17. Jahrhundert unter anderem als Hofbaumeister für Kurfürst Friedrich Wilhelm für Teile der Verteidigungsanlagen Berlins verantwortlich.

Auch gegenüber dem Auswärtigen Amt habe auf Basis des 1999 beschlossenen Stadtentwicklungsplans »Planwerk Innenstadt« eine Orientierung an der Idee eines Besitzbürgers, der sein »Eigentum in das Stadtbild einbringt«, stattgefunden. Anfang der 2000er wurden am Friedrichswerder kleine Parzellen geschaffen, auf denen dann luxuriöse Townhouses entstanden. So habe man finanzstarke Privatinvestoren in die Innenstadt locken wollen. Zehn Jahre sollten die Häuser von den Eigentümer*innen selbst genutzt werden, um Spekulation vorzubeugen. Mittlerweile muss man, um dort heimisch zu werden, mitunter zweistellige Millionenbeträge in die Hand nehmen.

Dass das deutschlandweit beliebte retrospektive Bauen nicht nur politisch und ästhetisch eine konservative Schlagseite haben kann, sondern auch das Geld dafür von Fans der preußischen Monarchie kommt, wurde vor dem westlichen Portal des Humboldt-Forums diskutiert. Denn dieses ist nicht nur wegen der dort untergebrachten kolonialen Raubkunst umstritten. Der Kasseler Architekturprofessor Philipp Oswalt hat im Oktober 2021 die Spendenpraxis des Fördervereins Berliner Schloss ins Rampenlicht gerückt, als er auf antisemitische und antidemokratische Aussagen des Millionenspenders Erhardt Bödecker hingewiesen hatte. Dieser war bis dahin mit einer Tafel im Gebäude für seinen Beitrag geehrt worden. Im Verlauf der Debatte ließ seine Familie diese entfernen.

An der letzten Station des Rundgangs ist die Auseinandersetzung um das begehrte öffentliche Bauland hingegen noch nicht vorbei. Der Molkenmarkt, in unmittelbarer Nähe zur Klosterruine an der Grunerstraße gelegen, ist derzeit wenig ansehnlich. Bauzäune und Schutthaufen prägen das Bild des ältesten Platzes der Stadt. Nach dem zweiten Weltkrieg entstand hier eine überdimensionierte Straßenkreuzung mit Parkplätzen. Dass sich daran etwas ändern soll, darüber scheinen sich alle einig zu sein.

Im vergangenen Herbst hatte die Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt für Aufregung gesorgt, als sie das Werkstattverfahren zur Bebauung entgegen der ursprünglichen Auslobung ohne die Festlegung auf einen Siegerentwurf beendete. Stattdessen sollen nun auf Basis einer verwaltungsintern erstellten »Charta Molkenmarkt« erneut Wettbewerbe für die Gestaltung stattfinden.

Matthias Grünzig, der als Bürgervertreter im Wettbewerbsverfahren zur Neugestaltung des Molkenmarkts beteiligt war, beklagte während des Rundgangs eine zunehmende Intransparenz. Tatsächlich war es nach dem Ende des Verfahrens zu einem Disput zwischen Kahlfeldt und Teilen der Wettbewerbsjury gekommen. Letztere hatten bemängelt, dass Empfehlungen zur Transparenz und Beteiligung im weiteren Prozess um den Molkenmarkt vonseiten der Senatsverwaltung aus den Grundlagen für die Charta gestrichen worden seien.

Geplant war ursprünglich zudem eine Bebauung ausschließlich durch die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen Degewo und WBM, die für bezahlbare Innenstadtwohnungen sorgen sollten. Im Koalitionsvertrag des CDU-geführten Senats wurde das aufgeweicht. Auch »gemeinwohlorientierte Bauherren« sollen den Plänen von Schwarz-Rot zufolge am Molkenmarkt zum Zug kommen können. Zudem ist die Möglichkeit des Verkaufs von öffentlichen Liegenschaften an Genossenschaften im Koalitionsvertrag verankert.

Wohin die Reise gehen könnte, sollten sich auch um den Alexanderplatz herum die Verfechter*innen des rekonstruierenden Bauens durchsetzen, lässt sich sowohl in Friedrichswerder als auch auf der Homepage der im vergangenen Jahr gegründeten »Stiftung Mitte Berlin« erahnen. Nicht nur der Molkenmarkt, auch die gesamte Fläche zwischen Alexanderplatz und Spree soll den Wünschen der Stiftung nach »auf dem Stadtgrundriss der 1920er Jahre« bebaut werden. Eine kostenintensive kleinteilige Parzellierung, wie sie für den Molkenmarkt von Stiftungsvorstand Benedikt Goebel bereits 2021 in einer Petition gefordert wurde, würde laut Matthias Grünzig bezahlbaren Wohnraum unwahrscheinlich machen. Lange Zeit war Goebel mit Petra Kahlfeldt in der privatisierungsfreundlichen »Planungsgruppe Stadtkern« vernetzt.

Auch dass das Rathausforum 1999 von Senat und Abgeordnetenhaus in einem Kompromiss um die im »Planwerk Innenstadt« enthaltenen Privatisierungspläne als »grün geprägter städtischer Freiraum« festgeschrieben wurde, ist laut Grünzig durch die neuerlichen Bebauungsvorhaben gefährdet. Hier steht eigentlich die Realisierung des 2021 gekürten Siegerentwurfs für eine grüne Umbauung mit Versickerungsflächen an. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist davon aber keine Rede mehr und auch in Vergabeunterlagen des Masterplans für die »Historische Mitte« fehlen die grünen Vereinbarungen.

Dass es den Fans einer Altstadtrekonstruktion um weit mehr als eine historisierende Neubebauung zu gehen scheint, zeigt der Ankündigungstext eines Vortrags von Benedikt Göbel bei der exklusiven »Kammergesellschaft« am vergangenen Samstag. Neben einem Lamento über den großflächigen Besitz an Liegenschaften und Gebäuden durch das Land Berlin und die landeseigenen Gesellschaften, der eine Vielfalt der Eigentümer verhindere, findet sich dort ein Eindruck davon, was hinter vorgehaltener Hand als das eigentliche Problem aufgefasst wird: bezahlbarer Wohnraum in attraktiver Lage. Dass nur »Sozialmieter« in der zentralen Innenstadtlage lebten, sei »unnatürlich und kontraproduktiv«, heißt es dort. Ein »lebendiges und nachhaltiges Zentrum« sei nur durch den Zuzug von Wohlhabenden möglich. Angestrebt ist nicht weniger als die »überfällige Zivilisierung, im Wortsinne Verbürgerlichung«.

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