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»Ich bin Rabbiner, kein Prophet«

30 Jahre Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Potsdam. Die Geschichte sitzt immer mit am Tisch

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Feierstunde in der Universität Potsdam ließ die Teilnehmer am Mittwochabend mit der Gewissheit zurück, dass der 30. Jahrestag der Gründung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Potsdam Anlass zur Freude, aber auch Anlass für viel Nachdenklichkeit ist.

Der Haupttrakt des Universitätskomplexes, in dem diese Feier stattfand, repräsentiert wie wenig andere die Nazi-Architektur in Potsdam. Darauf machte Brandenburgs Kulturstaatssekretär Tobias Dünow (SPD) in seinem Grußwort aufmerksam. Er nannte das offensichtliche Umnutzen von einstigen Herrschaftsgebäuden der Nazizeit »mindestens die zweitbeste Lösung«. Heute entstehe in der Stadt nicht nur eine neue Synagoge, vielmehr sei Potsdam ein »sichtbares Zentrum der jüdischen Gelehrsamkeit«. Das sei eine »erfreuliche Pointe«.

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Das Judentum habe eine große Vergangenheit und werde eine große Zukunft haben, sagte Dünow. Er warnte davor, die heutige Situation mit einem »Zuckergüsslein« zu überziehen und so zu tun, als wäre alles irgendwie gut. »Nein, es ist nicht alles gut.« Gelegentlich entstehe in der Öffentlichkeit der Eindruck, »dass wir das Judentum nach unseren Vorstellungen neu erfinden« und dass die »Enkel der Mörder« das Judentum so definieren, wie sie sich das wünschen. Aus den staatlichen finanziellen Zuwendungen leite sich jedoch keinerlei Mitgestaltungsanspruch ab, wie – angesichts deutscher Schuld – übrigens auch kein Anspruch auf Dankbarkeit. »Mich als Teil der Mehrheitsgesellschaft geht das überhaupt nichts an«, so Dünow.

Die GCJZ hat in Potsdam 30 Mitglieder und ist eine von 80 gleichnamigen Gesellschaften bundesweit. Für die jüdischen Gemeinden sprach Evgeni Kutikov von einem guten Beispiel dafür, was erreicht werden könne, wenn Menschen Brücken bauen. Rabbiner Max Feldhake wies darauf hin, dass laut Bibel der Mensch mit 30 Jahren auf dem Gipfel seiner Stärke stehe und er mit diesem Alter imstande sei, Verantwortung und Führungspositionen in der Gemeinde zu übernehmen. Kutikov dankte dem Landtag und der Staatskanzlei nicht zuletzt für die stetige finanzielle Unterstützung. Sie ermögliche unter anderem, Allianzen zu schmieden und die Namen jüdischer Naziopfer vor dem Vergessen zu bewahren.

Von einer Zeit der Geschichtsvergessenheit, in der »Enkel ihren Großeltern sagen, wie sie gut durchs Leben kommen«, und in der »Fehler sehenden Auges wiederholt werden«, sprach Generalsuperintendent Kristóf Bálint, der Repräsentant der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz an diesem Abend. Schon wieder sei ganz offen davon die Rede, dass »Minderheiten dem deutschen Volk nicht guttun würden«. Verletzungen aufseiten der Betroffenen werden Bálint zufolge bewusst in Kauf genommen. Er zitierte den Dramatiker Bertolt Brecht über Ursache und Nachwirkung der Nazizeit: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.«

Von einer »erschreckenden Zunahme von Populismus und Antisemitismus« war im Grußwort des katholischen Erzbischofs Heiner Koch die Rede. Es wurde bei der Feier verlesen. »Die Stärke der AfD ist für mich höchst alarmierend«, hatte auch Rabbiner Feldhake gesagt.

In einem Podiumsgespräch mit Rabbiner Andreas Nachama verwies Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) darauf, der Kampf gegen Antisemitismus in Brandenburg Verfassungsrang besitze und in der Landesverfassung als »Staatsziel« formuliert sei. Im Bundesland werde demnächst ein Landesbeauftragter oder eine Landesbeauftragte gegen Antisemitismus berufen. Angesichts wachsender antijüdischer Umtriebe sagte Liedtke: »Das Schweigen der Mehrheit ist fürchterlich.« Die Parlamentspräsidentin machte die DDR für die Zunahme des gegenwärtigen Antisemitismus mitverantwortlich, denn in der DDR sei der Antisemitismus nicht aufgearbeitet worden. »Das ist nicht von heute auf morgen gekommen, wir müssen uns mit den Wurzeln auseinandersetzen«, meinte Liedtke.

Bei der Feier hatte ansonsten niemand gesagt, dass der Antisemitismus heute auch nur einen indirekten Zusammenhang mit der SED-Ideologie oder der DDR-Schule habe. In Deutschland waren die Organisationen der sozialistischen und der Arbeiterbewegung die ersten, in denen Juden halbwegs gleichberechtigt mitwirken durften. Lange Zeit waren dies auch die einzigen Organisationen. Der christliche Antijudaismus »sitzt ziemlich tief«, hatte Staatssekretär Dünow gesagt.

»Ich bin Rabbiner, kein Prophet«, erklärte Andreas Nachama auf die Frage, wie er sich den weiteren Weg der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit vorstelle. »Wir sollten einander nicht bekehren wollen, sondern zusammenarbeiten.« Sein Appell an die Anwesenden: »Verbreitern Sie die Basis, auf der wir stehen.« In einem Gespräch mit dem einstigen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) habe dieser ihm gesagt, nunmehr gebe es in Deutschland keine Mehrheit der christlichen Bevölkerung mehr, berichtete Nachama. »Willkommen im Klub der Minoritäten« habe seine Antwort gelautet. Bis zu 25 Prozent der in Deutschland lebenden Einwohner sind Nachama zufolge Antisemiten. Inzwischen mache ein großer Teil daraus auch keinerlei Hehl mehr. Der Anspruch, sich damit auseinanderzusetzen, sei »aktuell wie nie«. Ihm bleibe zu hoffen, dass in fünf oder zehn Jahren »wenigstens einige von den Brocken beiseitegerollt sein werden, die heute vor uns liegen«.

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