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Zukunft der Linkspartei: Queer geht nur sozial
Was Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für eine moderne linke Partei bedeuten
Politik in einer modernen sozialistischen Partei zu machen bedeutet für uns, dass der Schwerpunkt unserer Partei, die Verbesserung der sozialen Situation von Menschen ist. Den Kampf gegen Armut, hohe Mieten, prekäre Arbeit, für eine offene Einwanderungsgesellschaft, für Geschlechtergerechtigkeit und für den Stopp des Klimawandels sowie für eine friedliche Welt verbinden wir mit dem Kampf für die Rechte queerer Menschen.
Derzeit wird im Bundestag über einen Gesetzentwurf der Ampel zur Selbstbestimmung diskutiert. Jede und jeder soll künftig das Recht haben, sein Geschlecht per Eintragung beim Standesamt unbürokratisch eintragen bzw. bei Bedarf den Eintrag ändern zu lassen. Die Linke unterstützt das Anliegen im Grundsatz. Ihre Abgeordnete Sahra Wagenknecht hat zuletzt mehrfach eine konträr andere Position vertreten, unter anderem bei Bild-TV. In einem »Spiegel«-Interview bezeichnete sie den Entwurf jetzt als absurd und »von Ideologie getrieben«. So werde das Geschlecht »zu einer Frage der Gemütsverfassung« gemacht. Jeder könne dann »nach Laune einmal im Jahr seinen Geschlechtseintrag ändern lassen«. Sie frage sich, «wie stark Frauenräume noch geschützt sind, wenn sich jeder Mann beliebig zur Frau erklären kann«. Dabei gehe es nicht nur um Gewalttäter, sondern auch um Männer, die Frauenumkleiden oder Frauensaunen aufsuchten. nd/dpa
Doch wir sehen uns mit dem Vorwurf konfrontiert, wir würden »Identitätspolitik« betreiben und von den »wahren« Problemen ablenken. Dieser Vorwurf ist nicht neu. Er wurde nach der Wahl Donald Trumps u.a. von dem US-Politikwissenschaftler Mark Lilla gegenüber den Demokraten geäußert, und in anderen Parteien, auch in Deutschland, gibt es ähnliche Positionen. Antidiskriminierungspolitik wird dabei als Lifestyle-Frage diskreditiert. Auch wir haben Kritik an einer Antidiskriminierungspolitik, die Armut nicht zur Kenntnis nehmen möchte oder nur Sprache zum alleinigen Politikfeld erhebt. Doch jeder Mensch hat ein Recht auf ein diskriminierungs- und angstfreies Leben. Armut und Diskriminierungen stehen in einem Zusammenhang.
Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass Die Linke sich wandelt zu einer modernen Gerechtigkeitspartei. Doch eine alleinige Ausrichtung auf eine Klassenfrage, die andere Widersprüche dem unterordnet, so wie wir z.B. den Text von Michael Brie und Heinz Bierbaum (»Die Klassenfrage ist das Modernste«, »nd« vom 5. Juni) verstehen, halten wir für unzureichend. Diskriminierung ist harte materielle Unterdrückung, die Gesundheit, Lebensqualität und Einkommen massiv beeinflussen und im Konkreten von größerer Bedeutung sein kann, wie der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Es sei hier an Marx’ Satz aus dem »Kapital« erinnert: »Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird.« Queerpolitik betrifft ebenso arme und abgehängte Menschen. Gerade die Grünen übersehen dies. Aktuell fordert die Linke-Bundestagsfraktion eine Studie zur sozialen Lebenslage queerer Menschen, damit Queerpolitik sich gerade den Schwächeren und weniger Privilegierten zuwendet. Bei den linken Regierungsbeteiligungen in Bremen und Berlin haben wir »queersozial« ausbuchstabiert. Es geht z.B. um lokale Zugänge zu einer queersensiblen Gesundheitsversorgung – denn queere Menschen haben andere Bedarfe. Es geht um queere Obdach- und Wohnungslosigkeit – denn gerade queere junge Menschen sind davon überproportional betroffen. Es geht explizit auch um gleiche Rechte und adäquaten Schutz für queere Geflüchtete. Dies ist konkrete queere und soziale Politik und sie ist nicht »liberal«.
Der Neoliberalismus hat die Welt verändert. Finanzmärkte blähten auf und dies führte zu einem hemmungslosen Reichtum bei Wenigen und es entstand ein Heer aus arbeitenden Armen. Der Sozialstaat wurde gerodet und das heilige Mantra aus Privatisierung, Deregulierung und Flexibilisierung wirkte sich verheerend auf weite Teile des gesellschaftlichen Lebens aus. Gewerkschaften und ihren Errungenschaften wurde der Kampf angesagt. Zugleich wurden die Fesseln einer konservativen und rigiden Gesellschaft gesprengt. Nicht nur der heterosexuelle weiße deutsche Mann sollte Karriere machen dürfen. Jeder Mensch gilt als ihres*seines Glückes Schmied. Dass es dabei unfaire und ungleiche Startvoraussetzungen gibt, blieb weitgehend unerwähnt.
Es begann ein Aufstieg des Konzepts der Identität und der individuellen Menschenrechte. Zum Teil arrangierte sich der Neoliberalismus mit dem Kampf der Frauenbewegung, der Inklusion von Menschen mit Behinderung, der Sichtbarkeit von nicht-weißen Menschen und eben auch der queeren Bewegung. Die US-amerikanische Soziologin Nancy Fraser hat dies treffend als »progressiven Neoliberalismus« bezeichnet. Dies war aber eben auch Ergebnis harter Kämpfe. Queere Menschen erlangten mehr Rechte, als sich der Neoliberalismus auch in den Köpfen verfestigte. Es wäre allerdings Unfug zu behaupten, dass alle queeren Menschen Neoliberale sind oder dass es keine Diskriminierungen mehr gebe.
Die Toleranz gegenüber queeren Menschen wuchs gesellschaftlich an, aber sie ist selektiv. Die (queeren) Suchtkranken, Sexarbeitenden oder Wohnungslosen oder die ohne Schulabschluss werden kaum zur Kenntnis genommen. Die Solidarität der Zeit von Stonewall und der Aids-Krise existiert so nicht mehr, auch ein Ergebnis von durchsetzungsstarken meist schwul-geprägten Interessenvertretungen.
Der Rechtspopulismus und das derzeitige Umfragehoch für die AfD haben die Karten für Politik neu gemischt. Es bedarf kluger Strategien. Der Rechtspopulismus operiert mit einer Freund-Feind-Unterscheidung. In der Analyse fällt häufig unter den Tisch, dass die Überhöhung des traditionellen Familienbilds von herausragender Bedeutung ist. Dies ist der Brückenkopf zum Konservatismus. Der Rechtspopulismus gedeiht auf dem Boden des Neoliberalismus und gerade auch der sozialen Verwerfungen, die sich im Osten Deutschlands krass niederschlugen.
Der Kampf gegen Frauenrechte und queere Menschen gehört zur zweiten Natur des globalen Rechtspopulismus. Die Erfolge der queeren Bewegung sind ihnen ein besonderer Dorn im Auge. Wir sind seine Feinde und wir sind zunehmend von Gewalt bedroht, wie kürzlich auch das ARD-Magazin »Monitor« berichtete. Die Rechten in den USA verbreiten transfeindliche Hetzkampagnen und Putin verknüpft seine Kriegsrhetorik mit dem Kampf gegen queere Menschen, sie seien »moralisch degeneriert« und stünden für einen »dekadenten Westen«. Legitime Fragen von Menschen, die nicht in queeren Communities sozialisiert sind, werden mit Ängsten und Hass verbunden. Eine politische und gesellschaftliche Linke steht vor der Herausforderung, auf Fragen verständliche Antworten zu geben, aber inhaltlich klare Kante gegen rechts zu zeigen.
Wir brauchen eine Fehlertoleranz im Umgang miteinander. Wenn Genoss*innen mal nicht die richtigen Worte finden, sind sie nicht an den Pranger zu stellen. Wer nicht gendert, ist kein schlechter Mensch. Politik nur für ein akademisches Klientel ist falsch. Daraus folgt, dass eine linke Partei in der Pflicht steht, Strukturen zu hinterfragen und Dynamiken für Veränderung zu schaffen, und die kommen bekanntlich nicht aus der Verwaltung oder nur den Parlamenten. Sie bedarf unbedingt einer pointierten Ansprache, die gegen die Herrschenden austeilt. Eine Linke sollte populäre Politik betreiben und wieder »kneipenfähig« werden, wie es Jan Korte richtig anmerkte. Kneipenfähigkeit ist dabei vom Fischen am Stammtisch zu scheiden.
Mit großer Sorge verfolgen wir die geäußerten »Ängste« zum Selbstbestimmungsgesetz. Es gibt legitime Fragen. Aber es ist reaktionär, wenn diese Fragen mit einer rechten Debatte verbunden werden. Die Linke und ihre Quellpartei PDS streiten seit mehr als einem Vierteljahrhundert für die Rechte von queeren, und explizit auch für trans* und inter* und nichtbinäre Menschen. Der Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes ist das Ergebnis von gesellschaftlichen Kämpfen, an denen sich auch Die Linke beteiligt hat.
Betroffene und ihre Verbände führten rechtspolitische Kämpfe. Sie fochten strategisch Prozesse bis in die höchsten Instanzen durch. Das Bundesverfassungsgericht hat das alte Transsexuellengesetz in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt und es zwang den Gesetzgeber 2017 dazu, dass intergeschlechtliche Menschen im Recht anerkannt werden müssen. Zudem geht in der jetzigen Debatte unter, dass bereits 2011 das Bundesverfassungsgericht feststellte, dass eine Änderung des Personenstands auch ohne Angleichung der körperlichen Merkmale möglich sein muss und dies gesetzliche Bindung erhielt.
Die so hochgekochte Diskussion von trans* Frauen, die angeblich in Schutzräume, wie Frauenhäuser oder in eine Frauensauna eindringen wollten, ist absurd. Denn eigentlich existiert dieses vermeintliche Problem mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits seit zwölf Jahren, Klagen sind nicht bekannt. Die internationalen Vorbilder zeigen, es gibt weder einen gefährlichen »Trend«, noch »falsche« trans* Menschen, noch ein dramatisches Toilettenproblem und das Selbstbestimmungsgesetz ist keine Gefahr für das Kindeswohl oder die Frauenrechte, wie es jüngst wieder Sahra Wagenknecht sowie vereinzelte identitäre Frauengruppen, religiöse Dogmatiker, Rechtskonservative oder die Rechtspopulisten behaupten. Hier werden Ressentiments bedient, die die Rechten schon gegen die lesbisch-schwule Emanzipationsbewegung der 70er und 80er in Stellung brachten.
Die Lebenswirklichkeit vieler trans- und intergeschlechtlicher sowie nichtbinärer Menschen ist prekär. Nach Zahlen der EU-Grundrechteagentur kommt die Hälfte aller trans* und inter* Menschen EU-weit finanziell nur mit Mühe über die Runden. Ein Leben unter staatlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung hinterlässt Spuren, auch gesundheitlich. Der Jobverlust während der Transition ist Normalität. Trans- und intersensible Gesundheitsversorgung ist meist nicht vorhanden. Die Ampel-Parteien, gerade auch Die Grünen, vernachlässigen diese sozialen Missstände. Wir hätten uns einen Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz gewünscht, der mehr vom Gedanken der Teilhabe geprägt ist. Leider ließ das Justizministerium Vorurteile hineinschreiben.
Wir wollen die soziale Wirklichkeit der Menschen zum Besseren verändern, dies muss Kern linker Politik sein. Dass wir als »skurrile Minderheit« verunglimpft werden, können wir nicht akzeptieren. Wir sind ein starker Teil der Linken, der noch stärker sein könnte. Die Linke verfügt über versierte queere Genoss*innen; viele haben wir allerdings schon durch Austritt verloren. Diesen Genoss*innen kommt eine Mittlerfunktion gegenüber einem zahlenmäßig großen Teil der Gesellschaft zu: Sie tragen linke Ideen in queere Communities hinein und queere Belange in die Partei. Diese »doppelte Repräsentation« ist wichtig – und hat noch Potenzial. Dies gilt auch für andere Communities.
Wir sind wütend, wenn Genoss*innen rechte Debatten befeuern und das Engagement der letzten Jahrzehnte diskreditiert wird. Wir stehen für eine Queerpolitik, die sozial und Teil einer gesellschaftlichen Linken ist, die ebenso gegen Rassismus und für eine humane Migrationspolitik sowie für Feminismus streitet. Dies gehört für uns organisch zusammen mit einer starken Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und einer deutlichen Kritik am Kapitalismus. Wir wollen Die Linke nicht grüner als die Grünen machen und wir sind nicht Teil einer postmodernen Partei, sondern einer demokratisch-sozialistischen Partei. Für einen »Linkskonservatismus« stehen wir nicht zur Verfügung.
Die Autor*innen beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Fragen zu Minderheiten. Daniel Bache ist Bundessprecher von Die Linke.queer. Wiebke Fuchs ist Inklusionsreferentin der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft. Bodo Niendel ist Referent für Queerpolitik der Linke-Bundestagsfraktion. Maja Tegeler ist Abgeordnete in der Bremer Bürgerschaft und Mitglied im Parteivorstand der Linken.
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