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- »Bis ans Ende der Nacht«
Im Kino: »Bis ans End der Nacht«: War ich gut?
Sitzt, wackelt, hat Luft: Christoph Hochhäuslers normal queerer Kriminalspielfilm »Bis ans Ende der Nacht«
Bedenkt man’s genauer, besteht Aufklärung letztlich darin, den Wert des Urteils »normal« in Zweifel zu ziehen. Moderner Sozialkonstruktivismus lehrt, »normal« sei bloß Konvention, wobei der Einwand naheliegt, dass zehn Finger normal sind und elf oder neun nicht, aber derlei Diskussionen werden heute erbittert geführt, und hier ist weder der Ort noch die Zeit.
Queersein im Film wird sich bis auf Weiteres dem Dilemma aussetzen, dass die Normalität, um die es geht, durch die bloße Setzung des Themas schon untergraben wird. Doch Christoph Hochhäuslers »Bis ans Ende der Nacht« (Drehbuch: Florian Plumeyer) profitiert von seiner Grundidee. Die junge Leni, die als Lennart ins Gefängnis musste und, in der Hoffnung auf Reststraferlass, als trans Frau die Freundin des verdeckten Ermittlers Robert spielt, damit der dem Gastronomen Victor auf die Drogenschliche kommt, ist zwar unübersehbar die Hauptfigur (trotz des Silbernen Bären für Thea Ehre als »beste Nebendarstellerin«), doch das Identitätsthema steckt so selbstverständlich in der Krimihandlung um die verdeckte Ermittlung (wie ja schon in der Knastmetapher), dass Pädagogik gar nicht nottut.
Robert ist dabei eine nahezu karikierte Version des ansehnlich verkommenen Machobullen in Lederjacke, aber Robert ist schwul, und er liebt Leni, allerdings als Lennart. »Der ganze Scheiß, der entsteht doch, weil die Leute Namen brauchen. Wir brauchen Aufkleber«, wird ihm Victor erläutern, als sie, wie es die Genreregeln wollen, Vertrauen zueinander fassen, und wer weiß, dass es queere Einwände gegen schwule Hypermännlichkeit gibt, wird den Witz goutieren, dass Robert seine Chefin bitten muss, ihm für den Drogentest mit Urin auszuhelfen.
Als es dann hart auf männlich kommt, ist Leni, die mit Victors geplagter Freundin über »die Männer« jammert, nicht im Film. Als sie wieder auftaucht, wird um einer Pointe willen das doppelt verhandelte Thema von Liebe und Verrat etwas gewaltsam mit dem Label »Selbstermächtigung« versehen. Hier opfert sich der Film gewissermaßen als noir, um ein politischer zu sein, und das ist schon darum nicht klug, weil Leni am Ende viel binärer ist als Robert.
Da reden wir aber von den letzten zwei Minuten, und vorher tut »Bis ans Ende der Nacht« alles, um nicht mit einem »Tatort« verwechselt zu werden, der ja immer zur Stelle ist, wenn gesellschaftspolitisch Relevantes auf die Schirme soll. Vom Handlungsort Frankfurt am Main sieht man so gut wie nichts, und was man sieht, sieht aus wie von Fauser geschrieben, und wenn Robert Leni eingangs die Fußfessel anlegt und sie warnt: »Du bist nicht draußen. Deine Zelle ist nur ein bisschen größer«, dann bedienen die enge Kadrierung, die lauernde Kamera und das Halbdunkel sommerwarmer Innenräume die Allegorie gern.
Dagegen ist verblüffend, wie die bald dünn, bald dick aufgetragene Darstellung (schwer zu vergessen: Timocin Ziegler als Robert) den Subtext ins Licht rückt, dem es ja um ein Ende des Verstellens und der ewigen Schauspielerei geht, ein Ende, das in der real existierenden Männerwelt noch mit dem Tod bestraft wird; dass Victors Nachname Arth lautet (»Sieger Kunst«), hat dann was zu bedeuten. »Sag, dass ich gut war!«, bittet Leni Robert nach einem gemeinsamen Undercover-Auftritt, denn eigentlich, findet Robert, ist Leni schlecht im Lügen. Aber Roberts Liebe zu sein, das ist ja keine.
Der Film sitzt, weil er wackelt und Luft hat, und wenn es in Kim de l’Horizons »Blutbuch« heißt, von Natürlichkeit zu reden sei immer Propaganda, dann rehabilitiert »Bis ans Ende der Welt« Normalitätsvorstellungen insoweit, als er die queere Figur der Leni nicht nur in einem Genrefilm etabliert – Genre, das ist die Regel selbst –, sondern sie das Spiel sogar gewinnen lässt.
Dass das, was der Norm widerspricht, gute Chancen hat, seinerseits zur Norm zu werden, ist eine alte (pop-)kulturelle Erfahrung – deswegen dürfen den Soundtrack unter anderem Heidi Brühl und Howard Carpendale bestreiten –, und nicht nur darum ist Lenis Triumph zugleich ein doppelter und zwiespältiger. Denn was siegt, ist nicht die (universale) Liebe, sondern Lenis (individuelle) Freiheit, und wenn Linke bisweilen argwöhnen, queer sei die Erfüllung des Individualitätskapitalismus, dann kehren wir wieder zum Eingang zurück: Normal ist scheiße, aber eben – die Norm.
»Bis ans Ende der Nacht«: Deutschland 2023. Regie: Christoph Hochhäusler, Buch: Florian Plumeyer. Mit: Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris. 119 Minuten, Start: 22.6.
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