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CSD in Bernau: Gegen diese abgefuckte Welt
Queere Jugendliche demonstrieren beim ersten CSD in Bernau für ihre Rechte
»Ich war in der dritten Klasse und ich dachte: Ich bin falsch, ich bin der Fehler«, berichtet Riley. Der 15-Jährige, der im Körper eines Mädchens geboren wurde, besucht die Grund- und Oberschule in Schwanebeck (Barnim). Er sei damals schon, als Achtjähriger, von seinen Mitschüler*innen angeschrien, angespuckt und gewalttätig angegangen worden, sagt Riley. Viel geändert habe sich seither nicht. Es regt ihn auf, »wie abgefuckt diese Welt ist, queeren Jugendlichen keine Hilfe anzubieten«.
Riley will sich nicht unterkriegen lassen. Und er ist nicht allein, wie man am Samstagnachmittag in Bernau erleben konnte. Rund 350 Menschen – wie Riley vor allem Schüler*innen – beteiligten sich am ersten Christopher Street Day der 44.000-Einwohner-Stadt nördlich von Berlin. Selbst die Organisator*innen vom CSD-Bündnis Bernau sind überrascht von der Resonanz. Angemeldet hatten sie 80 Teilnehmer*innen.
»Es ist ja schön und gut, wenn es einen großen CSD in Berlin gibt. Aber es bringt nichts, wenn die Sichtbarkeit queeren Lebens hier bei uns in Bernau, im Barnim nicht gegeben ist«, sagt Johanna Seeger von der Partnerschaft für Demokratie Bernau, die die Demonstration einmal quer durch die Innenstadt gemeinsam mit der örtlichen Linken und dem Jugendtreff »Dosto« auf die Beine gestellt hat. »Treibende Kraft waren aber tatsächlich die Jugendlichen von ›Dosto‹. Denen war es immens wichtig, dass der CSD hier bei ihnen stattfindet«, sagt Seeger zu »nd«.
Schon zu Beginn der Demonstration am S-Bahnhof Bernau wird dabei deutlich, dass dieser CSD anders ist als die inzwischen recht zahlreichen und weitaus größeren Pendants im nahen Berlin. So gibt es vorab einen expliziten Aufruf an alle Teilnehmer*innen: »Wenn ihr von der Demo geht, bleibt in Gruppen, ruft Freund*innen oder eure Familie an, damit sie euch begleiten. Wir haben hier zu viele rechte Vollidioten, die uns nicht mögen.« Dazu die klare Regel: kein Alkohol, keine Drogen, denn: »Das ist keine Party, sondern eine Demo.«
Während sich ein Teil der politischen Berliner CSD-Gruppen seit Jahren ausgiebig und zuvorderst als Speerspitze antiisraelischer Bewegungen geriert und auch ansonsten gern Probleme adressiert, die mit denen vor der Haustür nur bedingt viel zu tun haben, geht es den Jugendlichen in Bernau genau darum. Es geht ihnen um die Diskriminierung, die sie in der Schule und auf der Straße erleben, um Mobbing- und Gewalterfahrungen, um den Kampf gegen Hakenkreuze und Hitlergrüße.
»Wir wollen zeigen, dass wir mehr sind als dieser blaue Dreck, der uns einengen und vernichten will«, ruft Jirka Witschak den Teilnehmer*innen auf dem Bahnhofsvorplatz zu und erntet dafür viel Jubel und Applaus. Witschak ist Projektleiter der vom Sozialministerium in Potsdam geförderten Landeskoordinierungsstelle Queeres Brandenburg. »Wir haben viele kleine und mittelgroße Städte in Brandenburg, in denen es kein öffentlich sichtbares queeres Leben gibt, nicht die Bar, die Kneipe, keine Community«, sagt Witschak zu »nd«.
Nicht zuletzt Jugendliche stelle das vor enorme Herausforderungen: »Die laufen da herum und wissen eigentlich nicht wohin, denn in Berlin ist es für sie zu teuer oder sie dürfen noch nicht, weil sie zu jung sind.« Allein deshalb seien Veranstaltungen wie der erste CSD in Bernau Gold wert, denn, so Witschak weiter: »Das ist für viele, viele queere Jugendliche auch ein Anlass und eine Möglichkeit, das erste Mal sichtbar zu werden. Und umso mehr in den kleinen Städten sichtbar werden, desto besser, weil sie dann ein Gefühl dafür bekommen, dass sie nicht allein sind.«
Die Reaktionen der Passant*innen und Anwohner*innen auf den bunten Marsch zu lauter Musik zwischen obligatorischem Abba-Schlager und Antifa-Rap sind zum Teil erwartbar verhalten. Eine Frau mittleren Alters lässt sich am Rand wortreich darüber aus, dass sie ja nichts »gegen die da« habe, und alle sollten ja machen, was sie wollen, sie zum Beispiel wolle Frieden. »Aber so etwas hier, das muss doch nicht sein. Da muss man doch auch an die vielen alten Menschen denken«, sagt sie zu »nd«.
Nun ja, die vermeintlich so schreckhaften »alten Menschen«, die an der Bürgermeisterstraße vor dem »Kaffeehaus Madlen« sitzen, scheinen damit keinerlei Probleme zu haben. Jedenfalls winken sie den vorbeiziehenden Demonstrant*innen fröhlich zu. Auch ansonsten bleibt es – entgegen der Sorgen im Vorfeld – friedlich. Der Alltag vieler queerer Jugendlicher in Bernau und Umgebung sieht wie bei dem 15-jährigen Riley gleichwohl anders aus. »Wenn man an der falschen Stelle, am falschen Ort ist, dann kann immer was passieren«, sagt Jirka Witschak von Queeres Brandenburg.
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