- Berlin
- Stadtentwicklung
Berlins Kneipen saufen ab
Das »Höher’s Eck« in Prenzlauer Berg steht vor dem Aus – doch Gäste geben die Kneipe noch nicht auf
Es sind der Geruch von altem Rauch, der Stammtisch der alten Hasen und jemand mit großem Herzen und klarer Kante hinterm Tresen, die den Charme von Kiezkneipen ausmachen. Das »Höher’s Eck« im Prenzlauer Berg ist eine von ihnen. Nun droht der 100-jährigen Pinte das Aus: Wegen Lärm-Beschwerden einer einzelnen Anwohnerin zögert die Hausverwaltung mit dem Verlängern des Mietvertrags. Für ihren Erhalt hat die Kneipe eine Unterschriftenkampagne gestartet. Welche Bedeutung Orte wie das »Höher’s« für Menschen im Kiez haben und wie sie Widerstand gegen Verdrängung leisten, zeigt ein Besuch im Gleimviertel.
Linkssein ist kompliziert. Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen. Jetzt abonnieren!
»Come as a friend and leave as family« steht auf dem Schild direkt über dem Tresen des »Höher’s«. Dietmar ist Teil dieser Family und zusammen mit Gunnar ist er Stammgast seit den 80ern: »Zu DDR-Zeiten war das die einzige Kneipe im Kiez, die bis 24 Uhr geöffnet hatte und in der man auch noch spät was zu essen bekam«. An der Ecke Gleimstraße/Rhinower Straße hat die Kneipe eine besondere Lage: Zwischen Gleim- und Brunnenviertel, unweit vom ehemaligen Grenzübergang Bornholmer Straße, trennt sich hier das alte Ost- von Westberlin. »Da stand man kerzengrade im Bett bei dem Waffenlärm, den die Grenzer zum Schichtwechsel gemacht ham‘.« Doch Dietmar spricht nicht nur von alten Zeiten. Nachdem seine Frau kürzlich verstarb, ist das »Höher’s« für ihn heute als alleinstehenden Rentner besonders wichtig.
Auch Gunnar ist Stammgast und Alt-P-Berger. Er zeigt auf das Foto von dem langjährigen Kellner Ralf überm Tresen. »Ich hab‘ ihn noch ein paar Tage vor seinem Tod auf der Straße gesehen – der sah schlecht aus! Da ham‘ wir ihm ‘ne Tüte Schrippen an die Wohnungstür gehangen.« Gunnar spricht auch von der Nachbarin, welche die Existenz des »Höher’s« bedroht. Persönlich gesprochen oder getroffen habe sie im »Höher’s« niemand, aber von ihr gehört: »Die Asozialen sollen weg«, habe sie gesagt.
Während die sogenannten Asozialen einander Brötchen vorbeibringen, zeigt der Ausverkauf der Stadt, wie sozial die drauf sind, die neu dazukommen. Selbstverwaltete Hausprojekte weichen Eigentumswohnungen, in denen drei leben, aber zehn Platz hätten. Unkommerzielle Räume wie das Tacheles werden für Luxusimmobilien mit Spa geräumt und der Zeltplatz Wohnungsloser an der Rummelsburger Bucht für ein einzelnes Aquarium-Hotel. Prenzlauer Berg war der Anfang der Verdrängung in Berlin. Zu DDR-Zeiten wurde bis in die 80er statt auf Sanierung der Altbauten auf das Errichten neuer Plattenbausiedlungen gesetzt. So war der Prenzlauer Berg mit dem größten zusammenhängenden und von den Bombardements der Alliierten weitgehend verschontem Gründerzeitgebiet gefundenes Fressen für die Investoren nach der Wende.
»Für einen von Rassismus Betroffenen ist es nicht selbstverständlich, in Eckkneipen mit bezahlbaren Preisen willkommen zu sein.« Randy, einer der jüngeren Stammgäste im »Höher’s« ist vor drei Jahren hier reingestolpert und geblieben: »Damals wohnte ich allein, und mir fiel die Decke auf den Kopf.« Während viele Eckkneipen für ihr Kokettieren mit Rechten bekannt sind, wird im »Höher’s« der CSD gefeiert und eine offene Tür für alle Menschen fernab von Herkunft, sexueller Orientierung oder sozialem Kapital gepriesen.
Ähnlich wie dem »Höher’s« erging es dem nahe gelegenen »Tomsky« im Winsviertel. Nach 31 Jahren im Kiez sollten sie Platz machen: Eine Anwohnerin klagte, ihre Kinder würden vom Rauch aus der Kneipe drogenabhängig werden. Das »Tomsky« startete eine Unterschriftenkampagne, und die Nachbarschaft machte erfolgreich Druck: Der Mietvertrag wurde nun um zehn Jahre verlängert. Das haben sich die Gäste des »Höher’s« zum Vorbild genommen: »Weil über Jahrzehnte gewachsene und gelebte Kiezkultur nicht den Animositäten einiger weniger und dem Streben nach Profit geopfert werden darf!«, schreibt Raimund Fleischer auf der Petitionsplattform »change.org« für den Erhalt des »Höher’s«.
Doch es scheint ein neueres Phänomen als die Gentrifizierung zu sein, welches die Kulturkämpfe um Kiezkneipen weiter anfacht. »Seit Corona gibt es keine Toleranz mehr«, sind sich die Stammgäste im »Höher’s« einig. Das »Tomsky« berichtet, dass die Pandemie eben vielen Anwohnenden gezeigt habe, wie schön ruhig es ohne Kneipe im Kiez sei. Der im Zuge der Pandemie gegründete Verein »Bars of Berlin« versucht als Zusammenschluss von mehreren Dutzend Kneipen, die Interessen von Barbetrieben in Politik und Öffentlichkeit zu vertreten. Denn hinter der sozialen Bedeutung des verlängerten Wohnzimmers im Viertel stehen auch Arbeitsplätze, von denen 2021 pandemiebedingt fast die Hälfte weggebrochen sind.
Eckkneipen sind kritische Infrastruktur. Sie sind Orte, an denen manche arbeiten und viele, die arbeiten müssen, ihrer Arbeit entfliehen. Sie sind Zuflucht für einsame Seelen und Refugium für gesellschaftliches Miteinander. Einige wollen sich hier vergessen, aber viele können sich in Kneipen auch erinnern, dass sie soziale Wesen und nicht nur arbeitende Masse sind.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.