Universitäten in Berlin: Daueraufgaben ohne Dauerstellen

Wissenschaftler protestieren gegen Aussetzen von Entfristungsregelung

Die Sommerhitze traf den Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses mit voller Wucht: Im Tagungssaal wurde es so heiß, dass sich die Abgeordneten mit provisorischen Fächern aus Dokumenten Luft zuwedeln mussten. Auch inhaltlich ging es in dem sonst betont ruhigen Parlamentsausschuss am Montag heiß her. Die Abgeordneten beschäftigten sich erstmals mit dem Plan des schwarz-roten Senats, das Inkrafttreten der Entfristungsregelung für Postdoktoranden im Berliner Hochschulgesetz um anderthalb Jahre zu verschieben.

Offiziell heißt es, der Senat wolle damit die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Bund abwarten. Doch CDU und SPD sind sich grundsätzlich uneinig. Während die SPD die Regelung unbedingt will, ist die CDU strikt gegen die Entfristung und hat Klage vor dem Landesverfassungsgericht eingereicht.

Vor dem Abgeordnetenhaus hatten am Montag zwei Dutzend Betroffene gemeinsam mit Gewerkschaften demonstriert. Für viele von ihnen könnte sich die Verschiebung auf die weitere Karriere auswirken. »Die Wissenschaftler fühlen sich von der Unsicherheit zerrieben«, sagte Constanze Baum bei der Anhörung im Ausschuss. Sie ist Literaturwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität (HU) und engagiert sich in der Landesvertretung Akademischer Mittelbau. Das 2021 vom damaligen rot-rot-grünen Senat novellierte Berliner Hochschulgesetz sieht vor, dass aus Grundmitteln finanzierte Postdoktoranden Dauerstellen angeboten werden. Bislang sind Stellen dieser Beschäftigten zum übergroßen Teil befristet.

»Wir leben das neue Gesetz noch nicht«, stellte Baum resigniert fest. Tatsächlich war das Inkrafttreten der Regelung bereits von Rot-Grün-Rot verschoben worden. Dann sollte die Regelung zu Beginn des Wintersemesters im Oktober kommen. Doch die Universitäten hatten beklagt, dass sie die Regelung nicht umsetzen könnten, und sahen ihre Funktionsfähigkeit in Gefahr. HU-Präsidentin Sabina Kunst trat infolge des Streits sogar zurück. Dabei warten viele Postdoktoranden sehnsüchtig auf die Vorgabe. »Wir brauchen gute Arbeitsbedingungen für exzellente Forschung« sagte Baum. Befristete Stellen schadeten der Forschungstätigkeit nachweislich. Dabei würden die wissenschaftlichen Mitarbeiter für viele Daueraufgaben gebraucht. »Wer macht denn die Aufgaben, die kein Professor machen möchte?«

Abonniere das »nd«

Linkssein ist kompliziert. Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen. Jetzt abonnieren!

»Berlin war mit der Regelung eigentlich Vorreiterin bei fairen Arbeitsbedingungen«, sagte Jule Specht. Die umtriebige Psychologieprofessorin ist Mitglied im Akademischen Senat der HU. Derzeit gebe es aber noch Unklarheiten. Zwar sei die Verschiebung ein Rückschritt für faire Arbeitsbedingungen. Aber man müsse auch sagen, dass man in drei Monaten noch nicht hätte loslegen können, so Specht.

Sie hoffe, dass die zusätzliche Zeit genutzt werde, um die Professoren zu überzeugen. Bewegt hatte sich bei den Unis bisher wenig. Eine Maßnahme, um sie zu überzeugen, könnte es sein, dass Professoren, die Mitarbeiter für institutsübergreifende Daueraufgaben abgeben, mit einer Reduktion des Lehrdeputats belohnt werden.

Als Hürde sieht Specht zudem, dass einige Verordnungen pragmatischen Lösungen im Weg stünden. So befinde sich das an der HU diskutierte Modell einer Zwei-Pfade-Entfristung, bei der sich Postdoktoranden als Lecturer oder Researcher spezialisieren könnten, im Widerspruch zur Mitarbeiterverordnung der Senatsverwaltung. Auch FU-Präsident Günter M. Ziegler forderte eine Reform von Kapazitätsverordnung, Lehrverpflichtungsverordnung und Mitarbeiterverordnung »aus einem Guss«. Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) zeigt sich für eine Reform offen. Sie könnte sich sogar vorstellen, die Mitarbeiterverordnung ersatzlos zu streichen. »Die Verordnung engt gerade mehr ein, als dass sie nutzt«, so Czyborra.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.