Radwege-Ausbau: Berlins Verkehrssenatorin unter Druck

Grüne setzen Ultimatum im Radwege-Streit und fordern Entschuldigung von CDU-Senatorin Schreiner

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

Berlins Grüne lassen nicht locker im aktuellen Streit um den von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) angeordneten »vorübergehenden« Planungsstopp für neue Radwege-Projekte. »Wir fordern, dass sich Frau Schreiner korrigiert und entschuldigt. Und es wäre schön, wenn sie endlich mal mit dem versprochenen Miteinander beginnt. Bisher gibt es ja nur Blockade«, sagt Antje Kapek, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, am Dienstag am Rande eines Pressetermins zu »nd«.

Auch der Termin selbst drehte sich ausschließlich um das Radwege-Moratorium beziehungsweise die von Schreiner als ganz normal verteidigte »Überprüfung und Priorisierung« von Projekten des Vorgängersenats. Die Grünen-Verkehrsstadträtinnen von fünf Bezirken hatten in die Landesgeschäftsstelle ihrer Partei in Mitte geladen – und dies vor allem aus einem Grund: um der Senatorin ein klares Ultimatum zu setzen.

Die Hauptforderung der Bezirkspolitikerinnen: Die von der Senatsverkehrsverwaltung in der Vergangenheit bereits »angeordneten und akut zur Umsetzung anstehenden Radwege« sollen noch an diesem Mittwoch freigegeben werden. Spätestens eine Woche darauf soll das Haus von Schreiner dann auch über all jene noch nicht angeordneten Projekte entschieden haben, für die von den Bezirken schon Planungsunterlagen eingereicht wurden.

Die Zeit dränge, heißt es von den Grünen. Sollte sich die Verkehrsverwaltung für die Prüfung zu viel Zeit lassen, drohten Bundesfördermittel und Landesmittel in Millionenhöhe zu verfallen. Nach ihrer »sehr konservativen Schätzung« rede man für alle Bezirke zusammen von mindestens 10 Millionen Euro, die bereits für Radwege-Projekte eingeworben wurden, nun aber nicht verbaut werden könnten, sagt Mittes Verkehrsstadträtin Almut Neumann. »Ich nehme an, dass es sich tatsächlich um eine höhere Summe handelt.«

Neumann spricht mit Blick auf den Planungsstopp von einem »verantwortungslosen Handeln«, und zwar in mehrfacher Hinsicht. So habe man in Berlin »ein riesiges Problem bei der Radverkehrssicherheit«, die bei der Verkehrsverwaltung eingereichten Projekte seien dabei längst intensiv geprüft und abgewogen worden. Vor allem aber, sagt Neumann: »Nur die Senatsfinanzverwaltung kann eine solche Haushaltssperre erlassen.« Genau darauf liefe das Moratorium aber hinaus.

1,1 Millionen Euro für die Grunewaldstraße in Schöneberg, 800 000 für das Adlergestell in Treptow, 582 000 für die Beusselstraße in Moabit: Die Liste der betroffenen Radwege-Projekte ist lang, die Verwirrung in den Bezirksämtern groß. »Das Ganze ist ein einmaliger Vorgang, der in den letzten zwei Wochen für ein einziges Verwaltungschaos gesorgt hat«, sagt Saskia Ellenbeck, Verkehrsstadträtin von Tempelhof-Schöneberg. Auch sie macht deutlich: »Wenn wir nicht ganz schnell die Zusagen kriegen, dann verfallen die Gelder.«

Der aus Sicht der Grünen, aber auch der Linken für das Chaos verantwortlichen Senatorin wird unterdessen vom Chef der Rücken gestärkt. »Ich stehe zu 100 Prozent hinter der Verkehrssenatorin«, sagt Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am Dienstag im Anschluss an die wöchentliche Senatssitzung. Er verstehe auch »die ganze Aufregung gar nicht«, erklärt Wegner. Um dann mit dem Finger auf den rot-grün-roten Vorgängersenat zu zeigen: »Die Bilanz nach sechs Jahren Grünen ist alles andere als gut in der Stadt, auch bei den Radwegen.« Manja Schreiner werde es jetzt also richten.

Die Senatorin selbst bleibt bei ihrer in den vergangenen Tagen eingeübten Argumentationskette: Sie wolle doch nur prüfen und priorisieren und »Ruhe in den Kiezen« und Hauptstraßen, auf denen der Autoverkehr »fließen« kann. Und überhaupt sei die Angelegenheit kompliziert: »Wir haben ja links und rechts die Häuserkanten. Das heißt, der Straßenraum ist begrenzt. Da wollen sehr viele darauf zurückgreifen«, sagt Schreiner. Jedenfalls wolle sie sich jetzt erst einmal den jeweiligen Radwege-Bedarf vor Ort anschauen, sie sei eben noch in der »Sortierungsphase«. Schreiners Credo steht dennoch fest: »Wir brauchen mehr Flexibilität.«

Genau diese angekündigte Flexibilität dürfte bei Verkehrswende- und Fahrrad-Aktivisten den Puls hochtreiben. Nahezu im Tagestakt werden aktuell Demonstrationen gegen Schreiners Radwege-Politik angemeldet. In einer Online-Petition wird schon der Rücktritt der CDU-Politikerin gefordert.

So weit sind die Grünen noch nicht. Aber auch sie haben eine kurze Lunte, wenn es um den Radwege-Ausbau geht. Dass, wie der »Tagesspiegel« berichtet, von dem Planungsstopp nun auch die ambitionierten Radschnellwege vom Stadtrand ins Zentrum betroffen sein sollen, heizt die Stimmung weiter an.

Die aufgeladene Radwege-Debatte dürfte auch einen Vorgeschmack liefern auf die anstehenden Verhandlungen für den Doppelhaushalt 2024/25. »Man wird als Finanzsenator doch dafür bezahlt, der Buhmann zu sein«, hatte der letzte Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) die Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr kommentiert. Zur Erinnerung: Wesener musste sich damals für seine »Überprüfung und Priorisierung« der Gelder für Schulsanierungen prügeln lassen.

Welche Überraschungen oder Zumutungen der nun von Weseners CDU-Amtsnachfolger Stefan Evers verantwortete kommende Doppelhaushalt für die Bezirke bereithält, ist bislang unbekannt. Klar scheint: Die Grünen-Bezirkspolitikerinnen- und -politiker laufen sich schon mal warm, um Finanzsenator Evers das Leben schwer zu machen. »Der Etat für Radwege-Ausbau darf weder gekürzt noch beibehalten, sondern er muss erhöht werden«, fordert am Dienstag Friedrichshain-Kreuzbergs Verkehrsstadträtin Annika Gerold.

Die Linke wird sich dem nicht verschließen. Und zuletzt könnte auch auf die SPD Verlass sein – hier insbesondere auf Landes- und Fraktionschef Raed Saleh, der ein Händchen dafür hat, Empörungswellen weiterzureiten. 2022 gab es am Ende dann auch mehr Geld für die Schulen. »Über das Kommunikationsdesaster des Senats der vergangenen Tage zum Radverkehr in Berlin kann man nur den Kopf schütteln«, hatte Saleh vor ein paar Tagen bereits kritisiert. Es könnte noch ungemütlich werden.

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