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AfD: Der Osten sehnt sich nach Führung
Studie beobachtet verbreitete rechtsextreme Einstellungen und »ausgeprägtes Fremdeln mit der Demokratie«
Die Debatten um Rechtsextremismus in Ostdeutschland flammen seit Jahrzehnten regelmäßig wieder auf: nach den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen 1991, nach dem Mord an Alberto Adriano in Dessau im Jahr 2000, nach dem Auffliegen des NSU im Jahr 2011 oder den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Heidenau, Freital und anderswo ab 2015. Über Ursachen und Antworten geredet wurde viel, geändert aber hat sich nichts. Die »öffentliche Auseinandersetzung über antidemokratische Ressentiments« sei intensiv gewesen, resümiert eine jetzt vorgestellte Studie des Else-Frenkel-Brunswick-Instituts (EFBI) für Demokratieforschung an der Universität Leipzig. Die Debatte habe aber »auf die Einstellung der Menschen so gut wie keinen Einfluss«.
Es ist ein ernüchternder Befund in einer wissenschaftlichen Analyse, die auch ansonsten erschreckende Einsichten liefert. Extrem rechte Ressentiments sind demnach in Ostdeutschland weit verbreitet und blieben über die Jahre stabil. Mehr als die Hälfte der Bürger hegt Vorurteile gegen Migranten. 62 Prozent fürchten eine »Überfremdung« durch Zuwanderung, 69 Prozent meinen, Ausländer kämen nur, um hiesige Sozialsysteme auszunutzen. Auch Chauvinismus, also die Aufwertung des Eigenen und die Abwertung von »Anderen«, grassiert. Zwei Drittel meinen, es brauche »Mut zu einem starken Nationalgefühl«. Nennenswerte Teile plädieren für ein Recht des Stärkeren in der Gesellschaft.
Die Befunde sind nicht gänzlich neu. Sie finden sich auch in seit rund zwei Jahrzehnten bundesweit angestellten Untersuchungen wie den »Deutschen Zuständen« einer Bielefelder Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer oder der Leipziger Autoritarismus-Studie eines Teams um Oliver Decker, der einer der Leiter des EFBI ist. Zudem stehen sie in länderspezifischen Erhebungen wie dem Sachsen- oder dem Thüringen-Monitor. Allerdings erlauben erstere wegen der kleinen Zahl ostdeutscher Befragter nur bedingt Aussagen zu den Ursachen der spezifischen politischen Kultur in Ostdeutschland; letztere ließen wegen unterschiedlicher Fragestellungen keine Ländervergleiche zu. Die Lücke wurde durch die jetzige Arbeit geschlossen, an der neben dem EFBI auch Wissenschaftler aus anderen Ost-Bundesländern beteiligt waren. Für die repräsentative Studie wurden 3546 Menschen in Interviews befragt und gaben zudem schriftlich Antworten, um eine »Verzerrung im Sinne der sozialen Erwünschtheit« zu vermeiden.
Sozial erwünscht sind sicherlich viele der Erkenntnisse nicht. Um zu erfahren, wie verbreitet extrem rechte Einstellungen sind, fragten die Forscher 18 Punkte ab. Rund sieben Prozent der Befragten stimmen allen zu und offenbarten damit ein »geschlossen rechtsextremes Weltbild«. In Sachsen-Anhalt sind es sogar fast zwölf Prozent. Im Westen liegt der Wert bei nur zwei Prozent. Aber auch jenseits dieses harten Kerns gibt es viel Zustimmung. Ein Beispiel: Verharmlosung des Nationalsozialismus. Knapp 23 Prozent der Befragten sind mehr oder weniger fest der Ansicht, der Nationalsozialismus habe auch »seine guten Seiten« gehabt. Ein Fünftel meint, die NS-Verbrechen würden übertrieben. Ein anderes Beispiel: die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur. Mehr als die Hälfte der Ostdeutschen sehnt sich nach einer »starken Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert«. 30 Prozent der Befragten denkt, eine Diktatur sei »unter Umständen die bessere Staatsform«.
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Die Demokratie hat im Vergleich dazu einen schweren Stand. Zwar finden über 90 Prozent diese »als Idee« gut; mit der praktischen Umsetzung in der Bundesrepublik aber hadert weit mehr als die Hälfte. Die »Unzufriedenheit mit Demokratieerfahrungen im Alltag ist besonders ausgeprägt«, schreiben die Forscher und sprechen von einem »Fremdeln mit der Demokratie«. Sie verweisen auf ein hohes Maß an »Deprivationserfahrung«. Rund drei Viertel der Befragten meinen, Menschen wie sie hätten keinen Einfluss im politischen System, zwei Drittel finden es sinnlos, sich in diesem zu engagieren. Für viele Ostdeutsche sei die Demokratie »kein Ort, an dem sie sich aufgehoben sehen«, konstatiert das Papier. Das sei »ein Warnzeichen«; schließlich berühre es »unmittelbar die Legitimation des politischen Systems«.
Die Forscher konstatieren einen »ostdeutschen Sonderweg«, der mit den Jahren immer deutlicher hervortrete. Sie versuchen auch, Ursachen zu benennen. Manche bestätigen sich seit Jahrzehnten: Rechte Ressentiments sind stärker bei Menschen mit geringer Bildung ausgeprägt, bei Arbeitslosen, bei Menschen in schwieriger ökonomischer Lage. Erstmals sucht die jetzt vorgelegte Studie auch nach einer Korrelation zwischen dem hohen Maß an Ressentiments und Erfahrungen aus DDR und Transformationszeit oder einer »ostdeutschen Identität«. Zwar weist diese Besonderheiten auf. Ein Viertel der Ostdeutschen erlebe sich als Verlierer der Einheit, weniger als die Hälfte als Gewinner. In den Bundesländern mit der höchsten Zustimmung zu antidemokratischen Ressentiments würden Menschen auch häufiger auf »verweigerte Anerkennung« verweisen und seien enttäuscht vom »erhofften Freiheitsversprechen« des Westens. Unter dem Strich kommen die Forscher aber nach komplexen Analysen zum Schluss, dass die Herkunft Ost nicht der entscheidende Faktor sei.
Dieser liegt ihren Erkenntnissen zufolge vielmehr in einem ausgeprägten »autoritären Syndrom«, konkreter in einem verbreiteten Hang zu einer Verschwörungsmentalität und in »autoritärer Unterwürfigkeit«. Viele Ostdeutsche wünschten sich eine »starke Führung, der sie sich unterordnen und an deren Stärke sie durch Identifikation teilhaben können«, heißt es. Der Vorstellung eines »Führers, der zum Wohle aller mit starker Hand regiert«, stimmt jeder Dritte Ostdeutsche mehr oder weniger explizit zu. Die Demokratie mit ihren langwierigen Aushandlungsprozessen wird im Vergleich als schwach erlebt. Folglich sehnen sich viele Ostdeutsche nicht nach mehr demokratischer Teilhabe, sondern nach der »scheinbaren Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit«. Der Hang zum Autoritären, betonen die Wissenschaftler, sei »nicht allein individualpsychologisch zu verstehen«, sondern »Folge von gesellschaftlichen Bedingungen«. Welche das sind, formulieren sie nicht.
Mit Blick auf Parteipolitik gibt es einen klaren Profiteur der starken Verbreitung von Ressentiments: die AfD. Von den Menschen mit ausgeprägt rechtsextremem Weltbild gehen derzeit knapp zwei Drittel wählen, 57,8 Prozent von diesen geben ihre Stimme der AfD. Ein Fünftel nimmt (noch) nicht an Wahlen teil, 15 Prozent sind unsicher. Wenn es der AfD gelinge, diese Gruppen anzusprechen, sei das ein »großes Reservoir« für sie, schreiben die Forscher. Sie könne zudem die generelle Stimmung in der Gesellschaft für sich nutzen, die von wachsender Polarisierung und einer »Radikalisierungsspirale« gekennzeichnet sei. Antidemokratische Ressentiments würden »im Alltag wieder wichtiger und führen zu Taten«. Der AfD-Sieg in Sonneberg war wohl nur ein Anfang. Die nächsten Landtagswahlen in Ostdeutschland, die 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg anstehen, könnten laut der Studie zu »Kipppunkten der Entwicklung« werden.
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