• Berlin
  • Sexualisierte Gewalt im Kulturbetrieb

»Keine Show für Täter«: Das ganze System angreifen

Kundgebung gegen sexualisierte Gewalt im Showbusiness fokussiert sich nicht auf einzelne Täter

»Keine Bühne für sexistischen Dreck! Iris Spranger, schauen Sie nicht weg!« Etwa 20 Aktivist*innen stehen vor dem Gebäude der Senatsinnenverwaltung im Bezirk Mitte und appellieren an die SPD-Senatorin. Der Grund: Sie wollen verhindern, dass die Band Rammstein am 15., 16. und 17. Juli im Berliner Olympiastadion auftritt. Deshalb übergeben sie am Dienstag über 60 000 Unterschriften einer Petition gegen die Konzerte an die Innenverwaltung.

»Es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir sichergehen können, dass das Olympiastadion nicht zu einem Ort sexualisierter Gewalt wird. Und Senatorin Iris Spranger hat es jetzt in der Hand: Als verantwortliche Senatorin und Aufsichtsratsvorsitzende der Olympiastadion GmbH kann und muss sie die drei Rammstein-Konzerte in Berlin absagen«, sagt Ronja, eine Aktivstin des Bündnisses »Kein Rammstein in Berlin«, während der von »Campact« organisierten Kundgebung. Die Initiatorin der Petition, Britta Häfemeier, sieht das genauso. Sie habe die Petition gestartet, weil sie zu 100 Prozent an der Seite der Betroffenen stehen wolle. »Till Lindemann darf sich nicht feiern lassen und nicht dreimal das Olympiastadion voll machen«, sagt sie zu »nd«.

Rammstein-Sänger Lindemann bestreitet die Vorwürfe. Seine Anwälte teilten dazu am Montag mit, dass »bislang keine objektiven Beweismittel, die für eine Tatbegehung unseres Mandanten sprechen, vorliegen«.

Dass sich Betroffene sexualisierter Gewalt nicht auf das Rechtssystem verlassen können, ist vielen Feminist*innen längst bewusst. Genau deshalb versuche auch die Gruppe »Keine Show für Täter«, die sich in Folge der Missbrauchsvorwürfe gegen den Komödianten Luke Mockridge gegründet hat, den Fokus weg von den einzelnen prominenten Tätern und hin zum patriarchalen System zu bewegen. Das sagen zwei Aktivistinnen der Gruppe, die sich Karla Klee und Maria Mohn nennen, vor der von ihnen geplanten Kundgebung »You will not silence us« (Ihr werdet uns nicht zum Schweigen bringen) gegen sexualisierte Gewalt im Showbusiness und patriarchale Strukturen in der Justiz.

In Fällen von Prominenten werde deutlich, wie die patriarchalen Machtstrukturen auch in der Justiz dazu führten, Betroffene zu benachteiligen. »Täter, die Bekanntheit, Geld und Ressourcen haben, wissen das gut auszunutzen«, sagt Mohn. Das sehe man beispielsweise auch daran, dass sie sich wie im Fall Lindemann und Mockridge von denselben Anwälten vertreten ließen. »In diesen Fällen zeigen sich Strukturen deutlicher, die aber sonst auch da sind.« So zeige gerade in den sozialen Medien eine aggressive Verteidigungshaltung von Fans zugunsten ihrer Idole, wie Täterschutz funktioniere – auch im eigenen Bekanntenkreis.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Fälle wie der von Mockridge machten deutlich, dass Täter oft nichts zu befürchten hätten, Betroffene und Unterstützer*innen hingegen systematisch zum Schweigen gebracht würden, so Feministin Klee. Das Gerichtsverfahren gegen Mockridge wurde aufgrund mangelnder Beweise eingestellt, der Artikel des »Spiegel«, in dem viele verschiedene Frauen gegen den Komiker Vorwürfe erheben, ist nicht mehr vollständig einsehbar und Ines Anioli könne nicht mehr öffentlich über ihre Erfahrungen sexualisierter Gewalt mit Mockridge sprechen. »Das sind keine Einzelfälle. Das sind Machtstrukturen, die zu so etwas führen«, sagt Klee.

Bei prominenten Fällen von Missbrauchsvorwürfen sei es oft so, dass die Stimmung kurz hochkoche, aber dann wieder abebbe. »Mockridge hatte die erfolgreichste Comedy-Tour des Jahres. Ich bin gespannt, wie viele der Kooperationen, die jetzt gerade auf Eis gelegt werden, in einem Jahr wieder aufgenommen werden«, sagt Klee über den Fall Lindemann. »Solche Fälle schaden den Tätern nicht, aber Betroffene haben jahrelang damit zu kämpfen«, so die Aktivistin.

»Trotz der scheinbar aufgeklärten Gesellschaft ist es so etabliert, dass so etwas immer wieder passiert«, sagt Aktivistin Mohn. Betroffenen werde stets vorgeworfen zu lügen, und Täter könnten sich auf die Komplizenschaft ihres Umfelds verlassen. »Keine Betroffene macht sich irgendwelche Hoffnungen oder Illusionen, dass es tatsächliche Konsequenzen gibt, wenn sie ihre Erfahrungen öffentlich macht.« Vielmehr gehe es um Selbstbehauptung und darum, sich nicht mundtot machen zu lassen, so Mohn.

Weil diese Muster der Abwertung von Betroffenen und der Täterschutz gesellschaftlich verankert seien, halten es die Aktivistinnen für sehr wichtig, sich feministisch gegen das patriarchale System als Ganzes zur Wehr zu setzen. »Wir richten uns nicht gegen eine Person, sondern wollen das ganze System angreifen«, so Klee.

»Uns ist es wichtig, dass es einen ganz anderen Umgang mit Betroffenen geben muss. Gerade, wenn man nicht auf die Justiz vertraut.« Vor Gericht sei es etwa kaum möglich, sexualisierte Gewalt tatsächlich nachzuweisen. »Von 100 Vergewaltigungen wird eine verurteilt. Es braucht eine andere Instanz für Betroffene als Bullen und Justiz«, sagt Klee.

Trotz alledem bestehe der Bedarf, Aktionen zu organisieren, wenn Prominente, denen Misogynie, Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt vorgeworfen werde, öffentliche Auftritte hätten. »Wir werden immer wieder angefragt, ob wir etwas machen, wenn Person XY in die Stadt kommt«, sagt Klee. Um wirklich in jedem Fall zu reagieren, habe man aber als kleines und recht junges Kollektiv gar nicht die Kapazitäten. Trotzdem habe man sich dazu entschieden, die Kundgebung am Tag des Auftritts von Luke Mockridge in der Nähe der Mercedes-Benz-Arena im Bündnis mit anderen Gruppen zu organisieren.

»Der Tag und der Ort sind natürlich sehr nahe an Mockridge, aber es geht uns um die breiteren Themen wie Machtmissbrauch, strukturelle Gewalt, Patriarchat und Justiz«, sagt Klee. »Wir wollen aber keine persönliche Hetzjagd gegen eine Person machen.« So sind auch Titel und Anlass der Kundgebung nicht auf eine Person fokussiert.

Als Gruppe unterstütze man auch das Bündnis, das gegen die Rammstein-Konzerte in Berlin eine Demonstration am 15. Juli organisiere. »Wir werden da sein und auch mobilisieren«, sagt Klee. Ebenso sagt »Kein Rammstein in Berlin«-Aktivistin Marlena zu »nd«, dass ihr Bündnis zur Kundgebung von »Keine Show für Täter« kommen und dort einen Redebeitrag halte werde.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -