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Berliner Schwimmbäder: Die Lebensretter vom Wedding
Das Kombibad Seestraße bietet im Sommer wie im Winter genügend Platz für Schwimmsüchtige. Die Bademeister müssen dabei immer auf der Hut sein
Ein Arm schwingt hektisch aus dem Wasser, dann der andere. Ich schwimme Brust und bin in der Mitte der 50-Meter-Bahn, als ich den Ruf höre: »Sie kann nicht schwimmen!« Von der Gruppe der drei Mädchen, die eben noch am Beckenrand hingen, ist eine etwa vier Meter vom Rand entfernt im tiefen Wasser und rudert mit den Armen, geht unter; eine andere schreit. Wie schnell könnte ich dort sein? Es ist zu weit. Von rechts kommen Bademeister angerannt, eine überholt ihre Kollegen, streift ihre Jacke ab und springt. Es geht sehr schnell, wenige Sekunden später hat sie das Mädchen gegriffen und an den Rand gebracht.
Ein kühler Tag Mitte Juni in Berlin. Es nieselt. Im Kombibad Seestraße stehen Pfützen auf Wegen und Tischen des Restaurants »Seepferdchen«, das vom Freibadbereich und der Schwimmhalle aus betreten werden kann. Außer mir sind noch eine Handvoll Schwimmerinnen im Bad und eine Schulklasse. 14- und 15-Jährige einer Weddinger Schule, Mädchen meist in Leggins und T-Shirts, die Jungs in langen Badeshorts. Sie chillen im geräumigen Kinderareal, dann wechseln sie in das große Becken, einige queren die Bahn im Rudel. Ein paar Jungs springen vom Rand, alle haben ihren Spaß. Bis das Mädchen gerettet werden muss.
Einen Moment herrscht absolute Stille. Der Lehrer, der abseits in einem haltestelleähnlichen Häuschen auf dem Handy daddelt, schaut auf. Langsam erhebt er sich und läuft hinüber, wo jetzt ein Bademeister laut mit dem geretteten Mädchen schimpft. Ihre Widerrede, sie könne doch schwimmen, wird überprüft. Der Bademeister schickt sie ins Kinderbecken und steht mit verschränkten Armen dort, schüttelt den Kopf. Schimpft weiter. Als ich das Becken verlasse, hat der Lehrer endlich seine Schutzbefohlenen erreicht.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Das Kombibad Seestraße wurde 1980 als Badekomplex im Berliner Bezirk Wedding unweit der Straßenkreuzung Reinickendorfer/Seestraße am Louise-Schroeder-Platz eröffnet. Ich liebe das Bad, vor allem im Winter, wenn die Traglufthalle die beiden Becken des Sommerbades überspannt und genug Platz für Dutzende Schwimmsüchtige bietet. Die Umkleiden des Freibadbereiches sind mit Vorhängeschloss oder Münzen verschließbar, die Duschen separat, alles blitzblank. Als ich dusche, kommen die drei Mädchen dazu, die Gerettete ist noch aufgewühlt: »Hab ich escht Schock, Alter!« Dann lachen sie um die Wette, ich lächle mit.
Seit über 100 Jahren verrichten Wasserretter ihre Arbeit, und sie ist überlebenswichtig. 1912 stürzte eine Seebrücke auf Rügen ein, 17 Menschen kamen ums Leben – daraufhin gründete sich die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Der Wasserrettungsdienst im Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) entstand nach einem Unglück beim Sängerfest am Berliner Weißen See im August 1900. Zwei Ruderboote kenterten, nur fünf Menschen konnten gerettet werden. Heute bemängelt die DLRG die hohe Quote der Nichtschwimmer in Berlin. Pandemie- und heizkostenbedingt hat sich die Anzahl der Kinder, die nicht schwimmen können, zuletzt alarmierend verdoppelt – auf 20 Prozent.
Als ich die Umkleide verlasse, kreuzt die Bademeisterin meinen Weg, die Haare noch nass. Auf meine Nachfrage sagt sie: »Wir sind schon öfter am Rausholen. Der Lehrer hat uns eben versichert, dass alle Eltern unterschrieben haben, dass ihre Kinder schwimmen können!« Wir schauen auf das Becken, in dem die Jugendlichen kreischen. Es hat aufgehört zu regnen. Ich hole mir einen Kaffee und sehe durch die Scheibe des »Seepferdchens« eine Gruppe Kinder, die in der Halle schwimmen lernt.
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