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Brandenburg: Von Intoleranz befreite Zone
Bundesland feiert 25 Jahre Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg«
Winfriede Schreiber war einst eine untypische Chefin des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Sie stellte die Geheimhaltung nicht über alles, und sie beschönigte schon damals nichts. »Es war nicht einfach«, sagt sie. Noch deutlicher wird Theologe Heinz-Joachim Lohmann, der früher das Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit leitete. Er sagt: »Wir hatten national befreite Zonen.« Diesen Begriff prägten Neonazis. Andere sprachen eher von No-go-Areas, Gebieten also, von denen sich Schwarze, Punks und Obdachlose besser fernhalten, weil sie dort ihres Lebens nicht sicher sind. Solche Zustände herrschten in den 1990er Jahren in Ostdeutschland. Der Begriff Baseballschlägerjahre hat sich dafür eingebürgert.
»Es herrschte ein Klima der Angst und der Gewalt«, erinnert Ministerpräsident Dietmar Woidke am Freitagnachmittag. Mindestens 23 Todesopfer rechter Gewalt waren bis 2008 im Bundesland zu beklagen. Dazu kommen noch die Menschen, die so brutal misshandelt wurden, dass sie sich nie wieder davon erholten. Etwa der 1996 in Blankenfelde-Mahlow von Rassisten angefallene Noël Martin, der bis zu seinem Tod 2020 vom Kopf abwärts querschnittsgelähmt war.
Wenn es wieder eine Attacke gab, versuchte so mancher Bürgermeister, dies als bedauerlichen Einzelfall zu verharmlosen. Das Image der Kommune sollte nicht leiden, damit die Touristen nicht wegbleiben und vielleicht einmal ein Investor kommt und Arbeitsplätze bringt. »Mit jeder Gewalttat spitzte sich die Frage zu, ob man den Rechten überlassen wolle, wer im Land leben dürfe und wer nicht«, sagt Ministerpräsident Woidke.
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Endlich sah der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) ein, dass es so nicht weitergehen kann. 1998 beschloss Stolpes Kabinett – die SPD regierte seinerzeit mit absoluter Mehrheit allein – das Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg«. Die Idee habe die Ausländerbeauftragte Almuth Berger gehabt, sagt Regierungschef Woidke am Freitag bei einem Festakt zum 25-jährigen Jubiläum. Brandenburg sei das erste Bundesland mit so einem Handlungskonzept gewesen. Woidke betrachtet das als die »entscheidende Weichenstellung«. Inzwischen gebe es 46 Kooperationspartner, darunter Gewerkschaften, Kirchen, der Sportbund – und seit Neuestem auch der Landesverband der Imker.
»Das ›Tolerante Brandenburg‹ funktioniert, und es funktioniert sogar so gut, dass wir Vorbild sind«, freut sich Woidke. 2009 verpasste die neonazistische DVU ihren Wiedereinzug in den Landtag. Bis 2013 war die Zahl der Neonazis in Brandenburg auf einen Tiefstand gesunken. Woidke weiß aber, dass noch einiges im Argen liegt und die Verhältnisse wieder schwieriger geworden sind, nachdem die AfD 2014 in den Landtag einzog. 2855 Personen rechnet der Verfassungsschutz heute dem rechten Spektrum zu. Davon sind 820 Mitglieder der AfD oder ihrer Jugendorganisation Junge Alternative. 2855 Personen – das ist der zweithöchste Stand in Brandenburg in den vergangenen drei Jahrzehnten.
»Niemand hat gesagt, dass es irgendwann endet, nicht mehr notwendig sein wird«, erklärt Woidke. Er ist dem Landtag dankbar für den Beschluss, dass Handlungskonzept an die aktuellen Herausforderungen anzupassen. Alle Fraktionen, Koalition wie Opposition, haben dafür gestimmt – nur die AfD nicht.
»Wir haben viel erreicht. Wir haben nicht mehr die Situation wie in den 1990er Jahren«, ist Staatskanzleichefin Kathrin Schneider (SPD) überzeugt. Manche sagten zwar heute, dass sie sich wieder wie in den 1990er Jahren fühlen. Schneider schüttelt entschieden den Kopf: »Das stimmt nicht.«
Auch die Schriftstellerin Maja Präkels bestätigt, dass es heute anders sei. Mit ihrem Roman »Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß« (2017) hat Präkels die Zustände in den 1990er Jahre eindrücklich beschrieben. Sie war damals Reporterin einer Zeitung in der brandenburgischen Provinz und musste ihren Job aufgeben und wegziehen, weil sie von Nazis bedroht wurde. Heute werden Journalisten zwar wieder bedroht, weiß Präkels. »Aber man ist nicht allein.«
Mit dem Handlungskonzept und der Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg« habe die Regierung die Notwendigkeit erkannt, nicht länger die Augen zu verschließen, wie es Sachsen noch lange getan habe, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. »Die DDR hatte den Antifaschismus als Staatsdoktrin ausgegeben«, doziert er am Freitag beim Festakt in der Potsdamer Staatskanzlei. Der faschistische Ungeist schien sich mit dem Sozialismus erledigt zu haben. Doch »unter dem Radar« lebten solche Einstellungen weiter, so wie auch in der alten Bundesrepublik, wie Schroeder mit Blick auf das Münchner Oktoberfest-Attentat von 1980 bemerkt. Dann in Brandenburg nach der Wende sei das Problem lange als Jugendphänomen fehlgedeutet worden. »Schwierigkeiten wurden geleugnet oder kleingeredet. Die Polizei schritt häufig nicht ein. Die Zivilgesellschaft war noch schlecht entwickelt.«
Seit 2015 habe es wieder Kampagnen gegen Flüchtlinge mit mindestens »klammheimlicher Zustimmung« aus der Bevölkerung gegeben, bedauert Schroeder. Täter schreckten auch nicht vor Brandanschlägen zurück. Wie mit den neuen Rechten umzugehen sei, die nicht mehr in Springerstiefeln daherkommen, werde in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert, berichtet Schroeder. Keinesfalls aber dürften deren Forderungen und Sprache übernommen werden. Seite 9
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