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Roma in Berlin: Diskriminierung nimmt kein Ende
Vor allem durch die Behörden, in der Schule und im öffentlichen Raum erfahren Roma Ausgrenzung, Rassismus und Angriffe
»Die Bedrohung durch Rechtsextreme nimmt zu«, sagt Valerie Laukat. Sie ist Mitarbeiterin der Berliner Dokumentationsstelle Antiziganismus (Dosta). Dort können Betroffene und Zeug*innen rassistische Vorfälle melden, die sich gegen Roma richten. Laukat stellt im Rahmen der Vorstellung des Jahresberichts 2024 dar, dass es im vergangenen Jahr zu zahlreichen antiziganistischen Angriffen, Beleidigungen und Gewaltandrohungen im öffentlichen Raum kam. »Öffentliche Hassreden von Rechtspopulisten, die Rom*nja in ihren rassistischen Narrativen als Problem der Dominanzgesellschaft, als Kriminelle, als Bedrohung darstellen«, wirkten sich »im Umkehrschluss extrem bedrohlich auf die Menschen aus, die als Rom*nja wahrgenommen werden«.
Dosta ist ein Projekt des Vereins Amaro Foro und inzwischen Teil der bundesweiten Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (Mia). Seit elf Jahren dokumentieren die Mitarbeiter*innen Fallmeldungen, seit elf Jahren steigen die Zahlen – der Hauptgrund dafür dürfte allerdings die wachsende Bekanntheit von Dosta sein. Im Jahr 2024 hat Dosta 247 Vorfälle aufgenommen. »Die Dunkelziffer ist viel höher, wir können nur einen kleinen Teil der Lebensrealtität von Rom*nja in Berlin abbilden«, sagt Projektleiterin Violeta Balog. In der Kategorie »Alltag und öffentlicher Raum« hat Dosta im vergangenen Jahr 45 Fälle aufgenommen, im Bereich Bildung 47 und im Bereich »Kontakt zu Behörden« 49, darunter vorrangig die Jobcenter mit 27 Vorfällen.
Von rechter Hetze zu Angriffen auf der Straße
Vor allem Frauen seien im öffentlichen Raum Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt, sagt Projektmitarbeiterin Laukat. Eine Romni sei beispielsweise auf der Straße angegriffen worden, als sie Pfandflaschen sammelte. Sie habe schwere Verletzungen erlitten und operiert werden müssen.
Antiziganismus auf offener Straße sei aber längst nicht nur auf Rechte zurückzuführen. »Die rassistische Fremdbezeichnung wird weiterhin viel benutzt und ist nach wie vor normalisiert«, sagt Laukat. Gerade die AfD befeuere einen antiziganistischen Diskurs auch durch Reden im Parlament. Deshalb hat Dosta im Jahr 2024 erstmalig den Bereich Politik aufgenommen und dort neun Vorfälle dokumentiert. Zum Beispiel sei es durch AfD-Mitglieder in einer öffentlichen Anhörung des Abgeordnetenhauses zu Beleidigungen gegen Sinti und Roma gekommen, diese seien etwa »Bettelbanden« genannt worden.
Politik und Verwaltung müssen handeln
Abgesehen von dieser Neuerung und der höheren Anzahl an Fallmeldungen bleibt aus Sicht Dostas alles beim Alten – leider. »Wir haben in den vergangenen Jahren quasi dieselben Sachen belichtet. Es ändert sich einfach kaum etwas an der Situation«, sagt Projektleiterin Balog.
»Wir dokumentieren seit über zehn Jahren und machen auf strukturelle Ausschlussmechanismen aufmerksam, die durchaus verändert werden können.«
Violeta Balog Dokumentationsstelle Antiziganismus
Das heißt: Noch immer erfahren Roma in Berlin eine Diskriminierung durch die Behörden, die ihnen vor allem bei der Beantragung von existenzsichernden Leistungen Kriminalität unterstellen, unverhältnismäßig viele Dokumente einfordern und Verfahren verzögern. Immer noch erleben Schüler*innen rassistisches Mobbing durch Mitschüler*innen, Ablehnung von Lehrkräften und einen erschwerten Zugang zu Schulplätzen. Noch immer haben viele Roma auf dem Berliner Wohnungsmarkt kaum eine Chance auf eine bezahlbare eigene Wohnung, landen entweder in Unterkünften oder müssen sich auf teure Mietverträge und informelle Praktiken in heruntergekommenen Wohnungen einlassen. Noch immer werden viele Roma in prekären Arbeitsverhältnissen ausgebeutet.
»Wir appellieren dringend an Politik und Verwaltung, unsere Handlungsempfehlungen umzusetzen, die wir im vergangenen Jahr in unserem Zehn-Jahres-Bericht formuliert haben«, sagt Balog. Dazu gehören etwa sensibilisierende Schulungen von Mitarbeiter*innen in Schulen, Behörden, Polizei und Justiz, unabhängige und ausreichend ausgestattete Beschwerdestellen, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, mehr Unterstützungs- und Beratungsangebote und eine Sanktionierung von ausbeuterischen Arbeitgebern. »Wir dokumentieren seit über zehn Jahren und machen auf strukturelle Ausschlussmechanismen aufmerksam, die durchaus verändert werden können«, sagt Balog.
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