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Unangenehme Wahrheiten der Inflationsbekämpfung
Eine überzogen harte Notenbankpolitik kann neue Inflationsrisiken erzeugen, betont Jörg Goldberg
Die diesjährige Fachtagung der Europäischen Zentralbank (EZB) im portugiesischen Sintra Ende Juni war prominent besetzt: Anwesend waren nicht nur die Chefs der neben der EZB wichtigsten Notenbanken des Westens (USA, Großbritannien, Japan), sondern auch prominente Vertreterinnen des Internationalen Währungsfonds (IMF). Obwohl die Themen ökonomische Stabilität und Inflationsbekämpfung ein globales Problem behandeln, war der globale Süden nicht geladen. Dieser ist zwar betroffen, immer noch aber wird so getan, als hätten die alten Wirtschaftsmächte die alleinige Entscheidungskompetenz.
Inhaltlich waren die fachlichen Debatten von großer Unsicherheit über die ökonomischen Zusammenhänge geprägt. Nichts scheint mehr voraussehbar zu sein. Mangels Alternativen aber wird weiter unterstellt, dass die Inflationsrate durch die Zinspolitik der Notenbanken gesteuert werden könne. Insbesondere deutsche Medien werden nicht müde, einen direkten Zusammenhang zwischen Leitzinsen und Inflation zu behaupten und weitere Zinserhöhungen zu fordern, ohne die damit verbundenen Risiken auch nur zu erwähnen.
Tatsache ist, dass die Steuerung der Inflation durch die Notenbankpolitik in der Vergangenheit selten funktioniert hat: Vergleicht man zum Beispiel EZB-Leitzinsen und Inflationsraten seit 1999, so ist ein Zusammenhang zwischen den beiden Größen kaum nachzuweisen. Nicht nur, dass der Leitzins bis 2010 stets höher war als die Inflationsrate, seither aber deutlich darunter liegt. Vor allem die Periode nach 2014 belegt, dass Notenbanken kaum etwas tun können, um die Inflation zu steuern: Bei anhaltender Nullzinspolitik stieg die Inflation zunächst leicht an, um ab 2018 wieder in die Nähe von Null abzusacken. Diese kam erst ab 2021 auf Trab (als Folge von wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen), während die EZB-Zinsen bis Juni 2022 bei null blieben. Seither wurden sie in raschen Schritten erhöht und liegen derzeit bei vier Prozent. Wie die Notenbanker in Sintra feststellten, hat dies aber bislang kaum Einfluss auf die Inflation gehabt, die im Übrigen nach Aussage von EZB-Chefin Lagarde weder auf höhere Nachfrage noch auf steigende Löhne, sondern überwiegend auf die Preispolitik der Unternehmen und somit auf höhere Profitansprüche zurückzuführen sei.
Jörg Goldberg ist Ökonom und Autor zu den Themen Wirtschafts- und Entwicklungspolitik.
Angesichts der unsicheren Ausgangslage überrascht die Hartnäckigkeit, mit der weitere Zinserhöhungen gefordert und angekündigt werden. Im Kern steht dahinter die alte Erfahrung, dass niedrige Notenbankzinsen wenig wirksam sind, sehr hohe Zinsen aber durchaus: Geldpolitische Lockerungen wirken kaum, wenn es um die Belebung von Konjunkturen und den Kampf gegen Arbeitslosigkeit geht; umgekehrt aber kann zu rigide Geldpolitik dazu führen, Konjunkturen abzuwürgen, Arbeitsplätze zu vernichten und Krisen hervorzurufen.
Genau das steckt hinter den drei »unbequemen Wahrheiten«, die Gita Gopinath, ehemalige Chefökonomin und aktuelle Vize-Direktorin des IMF, in Sintra den versammelten Notenbankern übermittelte: Erstens könne überhaupt nur eine sehr harte und langanhaltende Hochzinspolitik die Inflation senken, was zweitens das Risiko von Finanzkrisen erhöht und drittens dazu führen könnte, dass strukturelle Krisenfaktoren, inklusive Verzögerungen bei der Energiewende, weiter an Gewicht gewinnen. Letzteres aber – und das ist der eigentliche Clou von Gopinaths Ausführungen – könnte sogar neue inflationäre Schocks befördern.
Letzten Endes stecken die Notenbanken in einem unlösbaren Zielkonflikt: Nur eine sehr rigide Geldpolitik könnte mittelfristig dazu beitragen, die aktuelle Inflation auf die gewünschte Zielrate (zwei Prozent) herunterzubringen. Der Preis dafür wäre die Auslösung neuer Finanz- und Wirtschaftskrisen. Die Lösung struktureller Widersprüche wie zum Beispiel der Klimakrise würde aufgehalten. Dies könnte angebotsseitig neue Inflationsschocks nach sich ziehen.
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