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Supreme Court in Gottes Händen
Mit einer Reihe von Grundsatzurteilen erfüllt der Oberste Gerichtshof der USA konservative Träume
In den vergangenen Wochen ging es Schlag auf Schlag: Die konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof der USA peitscht ihre Agenda in einem Urteil nach dem anderen durch. Die Richterinnen und Richter erklärten Regeln zum Schutz von rassistisch Diskriminierten und sexuellen Minderheiten für ungültig, schwächten die juristische Position von Gewerkschaften und erklärten Präsident Joe Bidens Schuldenschnitt bei Studienkrediten für nichtig.
Im Fall einer Webdesignerin aus Colorado urteilte der Gerichtshof, dass diese keine Aufträge zur Gestaltung von Seiten für die Hochzeiten homosexueller Paare annehmen müsse, da sie dies als konservative Christin ablehne. Colorados Antidiskriminierungsgesetzgebung verstoße in diesem Fall gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung der Frau. Zudem beschnitten die Richterinnen und Richter die Befugnisse der Umweltschutzbehörde EPA. Auch entschied das Gericht, dass Gefangene in bestimmten Fällen selbst dann keinen Anspruch auf ein neues Verfahren haben, wenn sie vor ihrer Erstverurteilung nicht adäquat verteidigt wurden.
Die institutionelle Autorität des Obersten Gerichts leidet aufgrund seines Rechtsdralls schon seit Jahrzehnten: Vor allem das Urteil, das die Wiederauszählung der Stimmen im Bundesstaat Florida bei der Präsidentschaftswahl von 2000 stoppte und so George W. Bush die Präsidentschaft zusprach, offenbarte die parteiische Natur der dortigen Rechtsprechung. Seither wird der Supreme Court von Liberalen argwöhnisch beäugt. Dabei ist seine Parteinahme für die Reichen und Mächtigen nichts Neues: Schon Präsident Franklin D. Roosevelt konnte seine New-Deal-Agenda erst durchsetzen, als er androhte, den Gerichtshof zu erweitern und mit Richtern zu besetzen, die ihm wohlgesonnen gewesen wären. Zuvor waren zahlreiche seiner Sozialreformen für verfassungswidrig erklärt worden.
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Zu den Vorbehalten von linker und liberaler Seite gegen das Gericht haben in den vergangenen Wochen Korruptionsaffären um die Richter Samuel Alito und Clarence Thomas beigetragen. Beide gehören zu den konservativen Hardlinern am Supreme Court und stehen oft sogar rechts von Kolleginnen und Kollegen wie Amy Coney Barrett und Brett Kavanaugh, die von Donald Trump an den Gerichtshof berufen wurden. Alito und Thomas wird vorgeworfen, Zuwendungen von Milliardären akzeptiert zu haben. Alito erklärte sich etwa nicht für befangen, als der Hedgefonds des Investors Paul Singer sich vor dem Gericht im Fall »Republic of Argentina versus NML Capital« mit Argentinien um die Katalogisierung und mögliche Konfiszierung von Staatseigentum in den USA stritt, wie das Portal »Pro Publica« berichtet. Singer hatte Alito offenbar zu teuren Reisen eingeladen. Auch die Kontakte von Richter Thomas zum Immobilieninvestor und Sammler von Nazi-Memorabilien Harlan Crow werfen Fragen auf.
Dennoch scheint der Supreme Court darauf bedacht zu sein, bestimmte Grenzen einzuhalten: So urteilten die Richterinnen und Richter vor kurzem, dass der Zuschnitt der Wahlkreise für das Repräsentantenhaus in Alabama unzulässig sei: Er räume Afroamerikaner*innen zu wenig Stimmgewicht ein, was nach einem Gesetz aus den 60er Jahren verboten ist. Auch entschieden die Richterinnen und Richter, dass die Parlamente der Bundesstaaten keine alleinige Hoheit über die Ausgestaltung der Regeln zu Wahlen für Ämter auf Bundesebene haben; die Verfassungsgerichte der Staaten dürfen mitentscheiden. Ein anderslautendes Urteil hätte es den Republikanern deutlich einfacher gemacht, Wahlen in ihrem Sinn zu beeinflussen; ein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen von 2024 wäre für die Demokraten praktisch außer Reichweite gerückt.
Der Oberste Gerichtshof legt die Verfassung stramm konservativ aus und verschiebt die bestehende juristische Ordnung immer weiter nach rechts. Dennoch schreckt die Mehrheit der Richterinnen und Richter, insbesondere der Vorsitzende Richter John Roberts, bislang davor zurück, die Grundfesten der repräsentativen Demokratie auszuhöhlen. Damit folgen sie der politischen Linie des Parteiestablishments der Republikaner, das die Demokratie formal erhalten, die Befugnisse und den Zuständigkeitsbereich der US-Bundesregierung aber stark einschränken will. Von offen autoritärem Gebaren, wie es Ex-Präsident Trump an den Tag legte, will man hingegen Abstand halten.
»Roberts hat über Monate mit scheinbar zentristischen Urteilen institutionelles Kapital angesammelt: (Nun) gibt er es wieder aus, indem er der Rechten dramatische Siege beschert«, analysiert das Magazin »Politico« die jüngste politische Dynamik am Supreme Court. Insbesondere mit den Urteilen gegen Antidiskriminierungsregeln erfüllt das Gericht den Konservativen lang gehegte Träume und rüttelt am Staatsverständnis des liberalen Amerika. Weitere Konflikte sind vorprogrammiert. Anders als sein Amtsvorgänger Franklin D. Roosevelt scheut Präsident Biden aber die direkte Konfrontation mit dem Gerichtshof und gab bisher stets klein bei.
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