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Streumunition aus den USA – koste es, was es wolle
US-Präsident Joe Biden verteidigt seine Entscheidung, der Ukraine Streumunition zu liefern – auch gegen die Kritik seiner Nato-Bündnispartner
Wochenlang war darüber spekuliert worden, am Freitag gab Präsident Joe Biden die Entscheidung auch offiziell bekannt: Die USA werden der Ukraine Streumunition liefern. Bei den Geschossen handelt es sich um Projektile, die in der Luft zerbersten und eine Vielzahl kleinerer Bomben zu Boden fallen lassen, darunter oft ein hoher Prozentsatz an Blindgängern, die später explodieren können und so das Leben von Zivilist*innen gefährden. 123 Staaten der Welt haben ihren Einsatz in einem internationalen Vertrag ausgeschlossen und ihre Produktion verboten, so auch Deutschland. Die USA, die Ukraine und Russland fallen nicht unter die Vertragsparteien. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan gab auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus am Freitag zu, man wisse, dass von Streumunition ein Risiko ausgehe, dass Zivilist*innen zu Schaden kommen könnten.
In einem Interview mit dem Fernsehsender CNN sagte Biden, es habe »eine Weile gedauert«, bis er überzeugt gewesen sei, der Lieferung zuzustimmen. Der Beschluss sei zuvor mit Bündnispartnern abgestimmt gewesen. Der US-Präsident nannte offen den Grund für seine Entscheidung: »Der Ukraine geht die Munition aus«, so Biden.
Die meisten Beobachter sprechen zwar nicht von unmittelbaren Engpässen, jedoch von einer langfristigen Mangellage. Die gegenwärtige ukrainische Offensive sei ohne die westlichen Munitionslieferungen, insbesondere das Material aus Südkorea, undenkbar gewesen, so auf Twitter der Militärexperte Michael Kofman vom US-Thinktank Carnegie Endowment for International Peace. »Sie schreitet nur langsam und mit Schwierigkeiten voran, anhaltende Durchbrüche konnten bislang nicht erzielt werden«, so Kofman. Der Verbrauch an Artilleriegeschossen sei höher als erwartet, vor allem im Zermürbungskrieg der letzten Wochen. »Hieraus ergibt sich, dass der wichtigste limitierende Faktor für die Ukraine weder Personal noch Ausrüstung, sondern Artilleriemunition ist«, erklärt der Analyst.
Durch die Lieferung von Streumunition seien »die USA in einer sehr viel besseren Position, die Kriegsführung der Ukraine bis ins kommende Jahr zu unterstützen, wofür jeden Monat eine signifikante Menge an Artilleriemunition benötigt wird«, so Kofman, der die Entscheidung über den Einsatz der international geächteten Geschosse »letztlich bei der Ukraine« sieht.
Die Ankündigung der USA rief internationale Ablehnung hervor und wurde teils scharf verurteilt. Selbst enge Bündnispartner äußerten Kritik. Der britische Premierminister Sunak betonte, sein Land »rate von der Verwendung von Streumunition ab«. Deutlicher wurde die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles. »Nein zu Streumunition, ja zur legitimen Verteidigung der Ukraine«, so Robles. Beim Nato-Gipfel in Vilnius von Dienstag bis Mittwoch wird das Thema sicher für Gesprächsstoff sorgen.
Auf größeres Verständnis trifft Biden mit seiner Entscheidung hingegen in Deutschland. Im ZDF-Sommerinterview sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Bundesrepublik solle die Lieferung von Streumunition durch die USA nicht blockieren, obwohl ihre Ächtung richtig sei. Deutschland könne »in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen«, so Steinmeier. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sprach von einer »besonderen Konstellation« in der Ukraine und verwies auf den Gebrauch von Streumunition durch Russland.
Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wird Streumunition im Ukraine-Krieg bereits routinemäßig eingesetzt. Sowohl ukrainische als auch russische Streitkräfte hätten die Geschosse bereits verwendet, letztere »großflächig«, erklärte die Organisation. Dies habe auf beiden Seiten zu zivilen Todesopfern und Verletzten geführt, was aufgrund von Blindgängern auch noch »für viele weitere Jahre« der Fall sein werde. Beide Seiten müssten den Einsatz der Geschosse sofort einstellen. Auch dürften die USA der Ukraine keine solchen Waffen liefern.
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