Erstes »Sondertribunal« für Letzte Generation gescheitert

Gericht lehnt das von der Berliner Staatsanwaltschaft beantragte Schnellverfahren gegen einen Klimaaktivisten ab

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Man kann es wohl als Niederlage der Berliner Staatsanwaltschaft bezeichnen, die Strafprozesse gegen Aktivist*innen der Letzten Generation gerne im beschleunigten Verfahren abgewickelt hätte: Beim ersten Prozess dieser Art am Dienstag lehnte die Richterin Lola Petersen dieses Verfahren als ungeeignet ab, da die Beweislage nicht klar sei. Schon zu Beginn hatte die Verteidigung des Angeklagten Julian L. die Aussetzung des Verfahrens beantragt und Petersen zugegeben, dass die Akte »sehr dünn«, der Straftatbestand, eine Straßenblockade, »nicht gut dokumentiert« sei.

L.s Anwalt Tobias Krenzel sieht in dem Schnellverfahren einen »Verzicht auf zentrale rechtsstaatliche Grundsätze«. Da der Beschuldigte erst einen Tag vor dem Gerichtstermin Akteneinsicht erhalten habe, habe Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gefehlt – obwohl die Tat schon acht Monate zurückliege, was bei einem beschleunigten Verfahren ohnehin unüblich sei. Zudem seien keine Ermittlungen zugunsten des Angeklagten geführt worden. Das sei »ein Affront gegen die Rechtsstaatlichkeit« und eine »Kriminalisierung friedlicher Umweltproteste«, schließt Krenzel seinen 20-minütigen Monolog zu Prozessbeginn.

Verteidiger Alexander Gorski äußert zudem den Vorwurf: »Die Berliner Justiz beugt sich den Wünschen der Politik.« Der Ankündigung der Staatsanwaltschaft, beschleunigte Verfahren gegen Klimaaktivist*innen zu beantragen, ging nämlich eine entsprechende Erklärung von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) voraus. Dennoch will die Richterin Petersen zunächst drei Zeugen von der Polizei anhören, um zu schauen, ob diese »die Schwäche der Akte ausgleichen« könnten. Ein »Opening Statement« des Angeklagten lehnt sie ab.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 35-jährigen Geoökologiestudenten vor, sich am 11. November an einer Straßenblockade der Letzten Generation an der Kreuzung Warschauer Straße, Frankfurter Tor in Friedrichshain beteiligt und somit Nötigung begangen zu haben.

Krenzel widerspricht – erfolglos – der Vernehmung des ersten Polizisten. Diesem sei die Vorgangsnummer mitgeteilt worden, weshalb dessen Erinnerungen durch die Informationen der Akte hätten verfälscht sein können. Doch der 28-jährige Zeuge gibt zu, sich an vieles nicht erinnern und zu manchem keine Aussage machen zu können. Unter anderem habe die Verkehrspolizei vor seinem Eintreffen bereits sämtliche Fahrzeuge umgeleitet, ein einziger Lkw habe noch »allein auf weiter Flur« gestanden. An der Kreuzung seien an dem Tag vier Straßenblockaden gewesen, sodass unklar bleibt, welche Aktion welche Autofahrenden wie lange genötigt hat.

Die beiden weiteren Polizisten werden dann gar nicht mehr angehört, so stark sind die Zweifel der Richterin an der Eignung für das beschleunigte Verfahren. Sie bricht den Prozess ab und gibt das Verfahren zur normalen Hauptverhandlung frei. Das bedeutet: Der Prozess wird noch einmal von vorn losgehen, es sind weitere Ermittlungen und Zeug*innen von der Verkehrspolizei notwendig, wie Gerichtssprecherin Lisa Jani »nd« bestätigt. Wahrscheinlich werde der Prozess dadurch viel länger dauern, als wenn es gar nicht per Schnellverfahren versucht worden wäre, meint Liliane Allgeyer vom Legal Team der Letzten Generation.

Das bedeute jedoch nicht, dass das beschleunigte Verfahren für Klimaaktivist*innen nicht mehr angewendet werde. Die Staatsanwaltschaft beantrage für sie weitere Schnellverfahren, die vom Gericht alle einzeln geprüft würden, erklärt Jani. Das Amtsgericht Tiergarten hat eigens dafür fünf neue Abteilungen eingerichtet, zwei davon sind bereits besetzt, jeweils mit Richter*innen auf Probe. Lola Petersen hatte 13 dieser Fälle auf dem Tisch, lehnte zwei davon bereits ohne Verhandlung und einen nun im Gerichtssaal ab. Der nächste Versuch steht am kommenden Dienstag an.

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein schätzt diese neue Vorgehensweise in Berlin als »höchst problematisch bis hin zu verfassungsrechtlich bedenklich« ein, »da das Recht auf den gesetzlichen Richter faktisch ausgehebelt wird«. Die Straßenblockaden der Letzten Generation seien grundsätzlich ungeeignet für beschleunigte Verfahren, da die Beweislage in der Regel schwierig und »die rechtliche Würdigung umstritten und uneinheitlich« sei. Schließlich gab es für dieselben Vergehen von Aktivist*innen schon sowohl Freisprüche als auch Haftstrafen.

Die Neue Richtervereinigung warnt vor »einer unzulässigen Einflussnahme der Exekutive auf gerichtliche Verfahren« und den »Anschein einer Sondergerichtsbarkeit«. Für gewöhnlich würden Schnellverfahren nur von Amtsanwaltschaften zum Beispiel bei Ladendiebstählen oder dem Erschleichen von Leistungen beantragt, so Gerichtssprecherin Jani.

Liliane Allgeyer von der Letzten Generation kritisiert gegenüber »nd«, dass die Richterin Petersen von den Prozessen als einem »Testballon« gesprochen habe, mit denen geschaut werde, wie weit man gehen könne. »Ich finde es sehr problematisch, auf Kosten von Bürger*innen zu testen, wie weit man rechtsstaatliche Grenzen ausreizen kann«, sagt sie. Die Letzte Generation feiere die Ablehnung des Schnellverfahrens nicht als Erfolg, denn: »Dass dieses Sondertribunal abgelehnt wurde, sollte eigentlich selbstverständlich sein.«

Unabhängig davon lasse man sich nicht einschüchtern. Die Prozesse »halten die Bewegung nicht davon ab, weiter auf die Straße zu gehen«. Man wolle die Regierung daran erinnern, dass sie mit dem laut Bundesverfassungsgericht unzureichenden Klimaschutzgesetz selbst das Recht breche.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.