Hamburger Regen, Schweizer Käse, jüdischer Exodus und Alternative für Deutschland

Wir haben paar Tausend Jahre Migrationserfahrung auf dem Nasenbuckel. Wir sind so oft hier eingewandert – öfter ist kaum was passiert in diesem Land.

  • Alexander Estis
  • Lesedauer: 4 Min.
Ihr spaltet die Politik; wir spalten das Meer!
Ihr spaltet die Politik; wir spalten das Meer!
Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Da ziehen die Leut von Detmold nach Dortmund und erzählen dir von ihrer grausamen Migrationserfahrung. »Es ist nicht zum Aushalten! Die denken doch wirklich, Detmold sei in Westphalen! Was soll man da überhaupt noch sagen?«

Und wenn einer erst aus dem Osten in den Westen umsiedelt oder aus dem Westen nach Osten, was wird da gejammert! Sodann, was eine größere Schmach ist: gen Norden zu ziehen oder gen Süden – das will überhaupt hundertfach erörtert, ernörgelt und erstöhnt werden. Denn ein Umzug aus dem Norden in den Süden ist zwar deutlich schlimmer; ein Umzug aus dem Süden in den Norden ist jedoch weitaus ärger.

Ganz zu schweigen von der Erschütterung, von Freilassing nach Salzburg zu wechseln oder – Gott behüte! – aus Lörrach nach Basel. Das ist ja eine völlig fremde Kultur! Das sind ja ganz seltsame Sitten! Das sind ja komplett unverständliche Menschen! Die reden dort Schweizerdeutsch, und dann stellt sich auch noch heraus, Schweizerdeutsch ist gar nicht, wenn Schweizer Deutsch mit Akzent reden, sondern, sozusagen, wenn sie Akzent reden fast ohne Deutsch.

Und dann schreiben sie sogar mit Akzent, aber dafür ohne Eszett. Außerdem ist alles so teuer. Die Schokolade ist besser, fraglos, und auch der Käse, natürlich, aber wie spricht man ihn aus? »Khchääs«! Pfui Teufel, da vergeht einem glatt der Appetit, schon bevor man am Appenzeller gerochen hat! Und so teuer ist der überdies, obendrein, zusätzlich auch noch!

Oj, oj, oj, da lachen selbst meine Pantoffeln. Aber ich verstehe es. Ich werde nicht bös. Oder zumindest: Ich bleibe genauso bös, wie ich immer war. Ich hab sogar Mitleid. Mit mir selbst, in erster Linie, aber auch mit den Leuten. Man soll nicht zu streng urteilen. Wie mein Freund Jascha sagt: »Was willst du? Die Leute sind nun mal keine Profis. Sie sind nur Hobbyauswanderer, okkasionelle Kurzstreckenumsiedler, Lifestyle-Asylanten, arglose, gutmütige Amateure!«

Emmes, recht hat er. Und weil er recht hat, sagt er zudem noch dies hinterher: »Stell dir vor, du bist Marathonläufer. Und nun siehst du, wie ein schreibtischgekrümmter Bürohamster zur abfahrenden Tram sprintet. Wirst du ihn belehren, ihn auslachen, dich mit ihm messen? Na also.«

Wahr gesprochen. Wir sind Migrationsprofis. Und da wollen sie uns doch wirklich Migrationsbeauftragte vorsetzen! Sie – uns! Oj, oj, oj, da lachen sich meine Pantoffeln ein Loch! Darf ich daran erinnern: Es ist nicht das erste Mal, dass wir hierher einwandern. Ihr Deutschen aber, wie oft seid ihr, bitte schön, nach Deutschland eingewandert? Ot, da seht ihr! Und ihr wollt uns was erzählen über Migration?

Wir haben paar Tausend Jahre Migrationserfahrung auf dem Nasenbuckel. Wir sind so oft hier eingewandert – öfter ist kaum was passiert in diesem Land. In Hamburg fiel nicht so oft Regen, wie wir hier eingewandert sind. Die Deutsche Bahn ist nicht so oft zu spät gekommen, wie wir hier eingewandert sind. Die Weidel hat nicht so oft »Volk« gesagt, wie wir hier eingewandert sind. Nur ausgewandert sind wir fast so oft, wie wir eingewandert sind. Und wenn Weidel noch öfter »Volk« sagt und die Bahn noch öfter zu spät kommt, dann sind wir bestimmt bald noch öfter hier ausgewandert als ohnehin schon. Und dann geht es uns an unserem migrierten Toches vorbei, ob in Hamburg noch öfter Regen fällt oder nicht.

Ja, dann wird ein großer Exodus sein, dann werden wir uns aufmachen und ausziehen aus allen Gauländern der Republik. Dann suchen wir uns alle eine Alternative für Deutschland. Zum Beispiel die Schweiz. Der Käse dort klingt zwar komisch und kostet viel, aber wir können ihn uns leisten dank all des Weltkapitals, das wir kontrollieren. Die Kinder Isaaks ziehen von dannen, die Kinder von Storch bleiben. Und ich will natürlich nicht drohen, aber so ein paar Plagen haben wir immer noch drauf. Wohlan! Ihr spaltet die Politik; wir spalten das Meer.

Und, wenn es sein muss, sogar das Haar: Gebt uns besser einen Bleibebeauftragten – aber der Weidel gebt einen Migrationshelfer; sie kann hier ja ohnehin nichts mehr leiden. Dann wird es vielleicht sogar reichen, wenn wir nicht aus Deutschland in die Schweiz, sondern lediglich aus Raguhn-Jeßnitz nach Dittelsheim-Heßloch auswandern, ganz amateurhaft, ganz unprofessionell, ganz arglos. Dort, in Dittelsheim-Heßloch, gibt es zwar keinen Appenzeller, aber noch immer genug Stoff, um zu nörgeln, zu mäkeln und die Nase zu rümpfen.

Und wo jede Nase genug Stoff hat zum Rümpfen und genug Luft hat zum Atmen, da lässt sich’s gut aushalten.

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