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DFB-Frauen zwischen Spinnen und Koalas
Weit weg vom Schuss bereiten sich die deutschen Fußballerinnen auf die WM vor
Irgendwann hat sich Anthony Leslie selbst unter das Podest gestellt und mit seinem Smartphone Aufnahmen gemacht. Ein Nachfahre der australischen Ureinwohner war vom öffentlichen Training der deutschen Fußballerinnen am späten Sonntagnachmittag nach eigenem Bekunden so angetan, dass er selbst Erinnerungen für die Nachwelt festhielt. »Es geht viel fairer zu als beim Australian Football«, erklärte der 61-Jährige, der zuvor am Anstoßkreis im Mittelpunkt gestanden hatte. Mit seinem bemalten Didgeridoo beschallte er bei einem eingeübten Ritual das Areal am Tuggerah Lake. Der Einsatz des traditionellen Musikinstruments der nordaustralischen Aborigines vertreibe die bösen Geister, erzählte der Ehrengast – und lächelte sanft. Da wusste einer, dass die offizielle Begrüßungszeremonie für die am 20. Juli beginnende Frauen-WM in Australien und Neuseeland offenbar einige Klischees bedienen soll. Dazu rief der lokale Ratsverwalter Rik Hart aus, die Gäste aus Germany seien an der Central Coast so willkommen, dass sie am besten bis zum Finale im Australia-Stadion von Sydney bleiben sollten.
Martina Voss-Tecklenburg verfolgt exakt einen solchen Plan, wobei die Bundestrainerin ihre Spielerinnen erst auf den Rasen des ebenso weitläufigen wie schlichten Sportkomplexes führte, als sich der Rauch von den verbrannten Eukalyptusblättern verzogen hatte. Zwar waren wegen des regnerischen Wetters nur gut die Hälfte der eingeladenen 700 Zuschauer gekommen, aber die Kinder blieben bis zum Einbruch der Dunkelheit und gingen bester Stimmung. Ihnen gefiel ein intensiv geführtes Turnier dreier Siebener-Teams; bei jedem Wechsel gab es unter Aufsicht von Voss-Tecklenburg ein Elfmeterschießen. Vielleicht ahnt die 55-Jährige, was nach der Vorrunde gegen Marokko am 24. Juli, Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August) gefragt sein könnte.
Insofern vielleicht hilfreich, dass nicht nur Bumerangs als Glücksbringer von den lokalen Organisatoren überreicht wurden, sondern der von Klara Bühl gehäkelte Koala im Deutschland-Trikot endlich einen Namen trägt. Kapitänin Alexandra Popp habe über den Team-Chat eine Abstimmung initiiert: Herausgekommen ist »Waru«, was der Außenstürmerin gleich gefiel: »Waru steht für Feuer: Das passt gut zu uns.« Die bodenständige 22-Jährige hatte zuvor wie alle anderen sämtliche Autogramm- und Selfie-Wünsche erfüllt, obwohl es längst empfindlich kühl geworden war.
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Erst als Lena Oberdorf auf einer Deutschland-Fahne im schwarzen Teil signieren wollte, gab es Einwände – und da musste die am Oberschenkel verletzte Mittelfeldspielerin doch selbst herzlich lachen. »Fokus, Obi!« Ihre Anwesenheit hellte die Stimmung sichtlich auf. Die wegen ihrer physischen Präsenz unverzichtbare Abräumerin scheint bis zum Auftakt gegen Marokko nächsten Montag in Melbourne fit zu werden. So absolvierte die 21-Jährige erstmals Sprint- und Ballübungen. Ihre ebenfalls angeschlagene Kollegin Marina Hegering saß wegen ihrer Fersenprellung allerdings lediglich auf dem Fitnessrad.
Dieser Montag steht allen Spielerinnen zur freien Verfügung, um die vor allem in den Sommermonaten stark von heimischen Touristen frequentierte Region nördlich von Sydney näher zu erkunden. Die nach eigener Aussage noch unter dem Jetlag leidende Stürmerin Lea Schüller hat sich beispielsweise für eine Bootstour zum Whale Watching angemeldet. Nach Ablenkung wird im Basiscamp im 4500-Einwohner-Ort Wyong wohl noch häufiger gerufen. Man sei schon »weit weg vom Schuss«, merkte Mittelfeldspielerin Lina Magull in einer improvisierten Medienrunde vor dem Hoteleingang an.
Von der unkomplizierten australischen Lebensart bekommen die Deutschen recht wenig mit. Immerhin hat ein Ausflug zum Shelly Beach am Samstag erste Eindrücke vermittelt. Bei kleinen Spielchen im Sand herrschte bei Sonnenschein beste Laune, die meisten spazierten barfuß in den Pazifik. Vielleicht geht es in den nächsten Wochen sogar noch weiter südlich an der Küste entlang bis nach Gosford, dem Hauptort dieser Küstenregion, wo sich der größte Reptilienpark Australiens befindet. Dort gäbe es alle Arten von gefährlichen Spinnen und Schlangen zu besichtigen, vor denen bereits die ausgebildete Tierpflegerin Popp in einer selbst erstellten Präsentation gewarnt hat. Seitdem hat ein Großteil des Teams noch mehr Furcht. Gut, dass die 32-Jährige auch hier keine Berührungsängste kennt. Die Spielführerin wird inzwischen schon gerufen, wenn nur ein Ball ins Gebüsch fliegt und noch ein Zweig raschelt. Das passiert, wenn mit zu vielen Klischees gespielt wird.
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