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Endlagersuche: Schelte zum Jubiläum
Atomkraftgegner kritisieren Schein-Beteiligungen und Unwissenschaftlichkeit
Zehn Jahre nach der Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes durch den Bundestag haben Atomkraftgegner den Verlauf der Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Atommüll scharf kritisiert. Das Suchverfahren werde den gesetzlichen und selbst gesetzten Ansprüchen nicht gerecht, erklärte die Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt am Donnerstag. Von der versprochenen Beteiligung gebe es »keine Spur«. Mit dem 2017 noch einmal novellierten Standortauswahlgesetz hatte das Parlament die Endlagersuche neu gestartet.
Dabei hätte man aus den Fehlern und Erfahrungen in Gorleben lernen, Wissenschaftlichkeit in den Vordergrund stellen, von Beginn an Transparenz über die Auswahlschritte herstellen und die Bürger wirksam beteiligen sollen, sagte Helge Bauer von Ausgestrahlt. Das Atommüll-Bundesamt BASE und die mit der Standortsuche beauftragte Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) seien jedoch bis heute an diesen Herausforderungen gescheitert.
Das von den Behörden in Gang gesetzte Verfahren missachtet aus Sicht der Kritik wissenschaftliche Anforderungen. Außerdem findet es laut Bauer zu großen Teilen ohne wirksame öffentliche Kontrolle statt und speist selbst die interessierte Öffentlichkeit mit »Schein-Beteiligungs-Formaten« ab. Die staatlichen Akteure BASE und BGE, so Bauer, verspielten damit das Vertrauen, »dass der Standort, der am Ende herauskommt, tatsächlich der am wenigsten ungeeignete ist«. Bauer prophezeit: »Ändert sich nichts, wird die Suche erneut vor die Wand fahren.« Es seien dann nämlich abermals massive Proteste gegen das Atommüll-Lager zu erwarten »und das völlig zu Recht«. Wackersdorf und Gorleben hätten gezeigt, dass sich gegen die Bürger keine Atommüll-Fabrik und kein Atommüll-Endlager durchsetzen lasse. Vertrauen schaffen gehe nur über Mitbestimmung und echte Beteiligung auf Augenhöhe.
Bis zur Verabschiedung des Gesetzes war einzig der unterirdische Salzstock in Gorleben auf seine Tauglichkeit hin untersucht worden. Unter dem Deckmantel der Erkundung entstand dabei ein fast fertiges Endlager. Im September 2020, als die BGE ihren »Zwischenbericht Teilgebiete« präsentierte, schied Gorleben aus dem Verfahren aus – offiziell wegen geologischer Mängel, auf die Umweltschützer seit Jahren hingewiesen hatten, tatsächlich aber wohl auch wegen des Massenprotests im Wendland.
Gleichzeitig hatte die BGE eine Fläche von mehr als 50 Prozent des Bundesgebietes als potenziell geeignet bezeichnet. Infrage kommen demnach neben Salz auch Ton- und Granitformationen. Die Entscheidungen zum Ausschluss oder Nicht-Ausschluss von Regionen seien bis heute nicht unabhängig nachprüfbar, weil Teile der Daten für die Öffentlichkeit nicht zugänglich seien, bemängelt Bauer.
Auch mit der versprochenen Wissenschaftlichkeit sei es nicht weit her. Denn der BGE-Zwischenbericht weise Gebiete als mögliche Standorte aus, in deren Untergrund die benötigten Gesteinstypen nachweislich gar nicht vorhanden seien. Gleichzeitig blieben möglicherweise gut geeignete Standorte unberücksichtigt, weil die BGE in Gebieten, für die keine Daten vorlägen, mit »Phantasie-Annahmen« zum Untergrund operiere.
Ein Großteil der ursprünglich interessierten ehrenamtlich Aktiven, der Umweltverbände und Bürgerinitiativen sowie der Engagierten aus den Fachverbänden für Mediation haben Ausgestrahlt zufolge den »Schein-Beteiligungs-Angeboten« des Atommüll-Bundesamts inzwischen frustriert den Rücken zugekehrt. Auch ein Großteil der Eingaben des Nationalen Begleitgremiums verstaube unberücksichtigt in den Schubladen des zuständigen Bundesamts. Das NBG, das den Suchprozess vermittelnd begleiten soll, hatte sich bereits Ende 2022 zudem über die Bundesgesellschaft für Endlagerung beklagt. Man habe erst aus der Presse erfahren, dass sich die Suche wohl um Jahrzehnte verzögern werde. Zuvor war durch Medienveröffentlichungen bekannt geworden, dass der Standort für das Endlager wohl frühestens zur Mitte dieses Jahrhunderts feststehen wird. Dagegen steht im Gesetz, dass die Festlegung des Standortes für das Jahr 2031 angestrebt wird.
Der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), der seit März 2020 in dem 18-köpfigen Gremium sitzt, brachte die Kritik auf den Punkt: »Wie kann es sein, dass wir in einem ständigen Austausch mit der BGE und den anderen Akteuren stehen, aber solch eine wichtige Zeitverschiebung erst aus der Presse erfahren?«, fragte er. »Das ist ein Vertrauensbruch – das muss man ganz klar sagen und auch Tacheles reden.«
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