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Berliner Schwimmbäder: Mehr Personal statt Polizei
Gewalttaten in den Freibädern gehen in Wirklichkeit zurück, die Personal-Anzahl aber auch
Sonntagmittag vor dem Kreuzberger Freibad »Prinzenbad«: Sicherheitskräfte am Einlass zum Bad führen Taschen- und Ausweiskontrollen durch, einige Polizist*innen kommen aus dem Schwimmbad heraus und positionieren sich vor dem Eingang und Aktivist*innen rollen Transparente aus und bauen die Technik für eine Kundgebung auf. Ein Badegast geht wütend davon, weil er nicht in das Bad gelassen wurde. Er hatte seinen Personalausweis nicht mitgenommen.
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»Seit der Ausweisregel kam ich hier jeden Tag rein und es war nie ein Problem. Aber heute war die Security stur«, sagt er bei Verlassen des Geländes zu »nd«. Er zeigt sein Verkehrsbund-Sozialticket, mit dem er sich zuvor ausreichend ausweisen habe können, bis heute. »Das ist ein absoluter Skandal, was die sich leisten. Mir steht's bis hier.« Er zeigt auf die sich versammelnden Protestierenden vor dem Bad. »Deswegen sind die ja auch hier heute, um zu demonstrieren.« Kurz darauf wird eine weitere Person vom Badpersonal am Eingang abgewiesen, auch sie zieht wütend davon.
»Mach mal Keine Welle – Kundgebung gegen rassistische Hetze und Bullen in unseren Freibädern«, so lautet das Motto der Veranstaltung, organisiert von Migrantifa Berlin. »Die Gewalt wird nicht mehr, sondern die Hetze«, sagt Malik Martin von Migrantifa in einem Redebeitrag. Er bezieht sich auf die polizeiliche Kriminalstatistik, aus der hervorgehe, dass sowohl Körperverletzungen als auch Hausverbote deutlich zurückgegangen seien im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie. Sowieso seien 90 Prozent der in der Statistik gelisteten Delikte Diebstahl-Vorfälle, keine Handgreiflichkeiten, Prügeleien oder ähnliches.
Es werde also eine Debatte um Gewalt in Schwimmbädern geführt, die keine Faktengrundlage hat. Wie eine Auflistung an Zeitungsüberschriften der letzten zwei Wochen zeigt, wird sie rassistisch geführt. Vor allem migrantisierte Jugendliche werden für die vermeintlich hohe Anzahl an Gewalttaten verantwortlich gemacht. »Der Nationalismus, der hinter solchen Debatten steht, wie um Silvester 2015 in Köln oder letztes Jahr in Berlin oder ganz allgemein die Debatten um die Sonnenallee und Clankriminalität sind jederzeit abrufbar«, sagt Martin.
Auch die Gruppe »Columbiabad für Alle« richtet sich gegen den »rassistischen und klassistischen Diskurs« in Bezug auf die Freibäder. In einem Redebeitrag thematisieren Lia und Pia, dass Politiker*innen nun die Sicherheit, unter anderem von queeren Menschen, als Argument nutzen, um Ausweiskontrollen und Polizeiwachen in den Bädern einzuführen. »Es ist schon interessant, wie viel Eile die Politik darin sieht, Queers vermeintlich schützen zu wollen, wenn es darum geht, von Rassismus und Klassismus betroffene Jugendliche zu schikanieren«, sagt Pia. Doch der Kampf müsse gemeinsam geführt werden. »Die neuen ›Schutzmaßnahmen‹ sind ein Auslese-Verfahren, um nur noch legalisierte, registrierte, finanziell ausgestattete Personen ins Freibad zu lassen.«
Statt der Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen brauche es mehr Personal in den Schwimmbädern, mehr Lohn, mehr Pausen und Deeskalationstrainings. So sieht es auch Migrantifa-Sprecherin Anissa Diop. »Wir haben auch mit Mitarbeiter*innen hier im Prinzenbad gesprochen. Auch sie sagen, dass die Gewalt eigentlich zurückgeht, aber der Personalmangel stark zugenommen hat.« Deshalb brauche es eine bessere Entlohnung der Angestellten. Migrantifa fordert außerdem einen Stopp der sozialen Kürzungen, wie sie durch Sparmaßnahmen drohen könnten. »Wir sind gegen Polizei in Schwimmbädern und verlangen soziale Lösungen für soziale Probleme«, sagt Diop.
Dem Aufruf zur Kundgebung vor dem Prinzenbad sind über Hundert Menschen gefolgt. »Ich bin hier, um gegen den Rassismus zu demonstrieren, mit dem die ganze Debatte aufgeladen ist«, sagt Filiz, eine der Anwesenden, zu »nd«. Eine weitere Teilnehmerin ergänzt, dass sie als Neuköllnerin regelmäßig im Columbiabad sei und die mediale Darstellung nicht ihren eigenen Erfahrungen entspreche. Beide sind sich einig, dass die Polizeipräsenz und die Kontrollen zu Racial Profiling führen, also von Rassismus Betroffene verschärft kontrolliert würden.
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